# taz.de -- „Mephisto“ in München: Beklemmendes Gewissensdrama
       
       > Jette Steckel inszeniert an den Münchner Kammerspielen Klaus Manns
       > „Mephisto“-Roman. Das Stück wirkt erschreckend aktuell, erst recht nach
       > der Wahl.
       
 (IMG) Bild: Die „Mephisto“-Augenbrauen scheinen zum Hakenkreuz verrutscht zu sein: Thomas Schmauser als Hendrik Höfgen
       
       Das eine ist der Text. Das andere ist, was man daraus macht. Die kurze
       Szene, in der „Mephisto“ Hendrik Höfgen mit Hitler zusammentrifft, besteht
       auf dem Papier nur aus ein paar Worten. Auf der Bühne der Münchner
       Kammerspiele machen Thomas Schmauser und Erwin Aljukić eine kleine
       Theater-im-Theater-Impro daraus, in der in der Schwebe bleibt, ob sich der
       Führer beim großen Mimen nur ein paar Schauspieltipps abholt oder das schon
       Teil seiner Machtdemonstration ist.
       
       Die Stimmen grollen und pitchen im Pingpong. Schmauser klebt sich eilfertig
       das Führer-Signatur-Bärtchen unters Kinn, weil es Hitler-Darsteller Aljukić
       vorübergehend nicht mehr taugt. Solange alles Theater ist, bleibt alles
       form- und beherrschbar.
       
       Dass einer wie der Schauspieler Gustav Gründgens, der für die Figur Hendrik
       Höfgen [1][in Klaus Manns 1936 erschienenem „Mephisto“-Roman] Pate stand,
       sich während der Nazidiktatur ganz ins Theater flüchtete, ist aus dieser
       Perspektive verständlich. Dass er sich von [2][Hermann Göring] zum
       Intendanten des Preußischen Staatstheaters machen ließ, war für die meisten
       eine Schippe zu viel.
       
       Die Schatten der Wahl 
       
       Gehen oder bleiben, wenn die politische Situation untragbar wird? Ist Kunst
       nur Kunst oder immer auch Verantwortung? Als Jette Steckel sich dafür
       entschied, diesen Stoff zu inszenieren, waren uns derlei Fragen schon
       wieder näher gerückt. Und nochmal näher, als Neuwahlen anstanden. Nun
       scheinen 20,8 Prozent der bundesweit abgegebenen Stimmen zumindest
       vorläufig im AfD-Sumpf zu versickern.
       
       Jedenfalls spricht gerade noch viel gegen eine Regierungsbeteiligung der
       blau getarnten Braunen. [3][Aber es ist auch bekannt, wie ihre
       Kulturpolitik aussähe]: Förderung nur für deutsche Stoffe, „rassisch“
       einwandfreie Schauspieler und aus sich heraus Überlebensfähiges.
       
       Das Inklusionsprogramm der Kammerspiele wäre damit sofort weg. Und wenn es
       nur um die Kunst ginge! Menschen, die in Togo geboren sind wie Bless Amada
       oder im Rollstuhl sitzen wie Erwin Aljukić hätten in einem völkischen
       Deutschland 2.0 keinen Platz. Hier stehen sie auf der Bühne und gleichen
       das Gestern mit dem möglichen Morgen ab.
       
       Die dramaturgische Bearbeitung 
       
       Emilia Heinrich hat den hellsichtigen, aber sperrigen Text von [4][Klaus
       Mann] umgestellt, einige Figuren und Zeitbezüge gestrichen und Gegenwart
       einsickern lassen. In einer Art Vorspiel, bevor wie im Kino der Titel des
       Abends und das Wahljahr 1933 auf den roten Vorhang projiziert werden, geht
       es um die Sehnsucht des Publikums nach Komödien und Operetten, die dem
       Start eines „Revolutionstheaters“ im Wege steht.
       
       Und wenn es heißt: „Berühmte Gäste aus Berlin müssen wir uns einladen,
       damit die Leute ins Theater gehen“, genügt der Zusatz „so wie heute Abend“,
       um im Hier und Jetzt anzukommen. In „Mephisto“ gastiert die wunderbare
       Linda Pöppel.
       
       [5][Bei Jette Steckels kultigem München-Einstand mit Anton Tschechows „Die
       Vaterlosen“] gab Joachim Meyerhoff den Promi aus Berlin. Ob derlei wie in
       der Oper gegen den Zuschauerschwund hilft, wird längst wieder in den
       Feuilletons diskutiert.
       
       Und in der Erklärung für die Ideologisierung des Jung-Nazis Hans Miklas
       muss nur das Wort für die Sündenböcke von „Juden“ zu „Migranten“ geändert
       werden.
       
       Alles im Dauerfluss 
       
       Der Abend ist erschreckend aktuell, ohne historische Unterschiede
       glattzubügeln. Tolle Schauspieler und eine mobile Szenerie aus Stelen, die
       entfernt ans Berliner Holocaust-Mahnmal erinnern (Bühne: Florian Lösche)
       halten alles im Dauerfluss. Das wirkt manchmal fast fahrig, birgt aber auch
       die Hoffnung, alles könnte (noch) veränderbar sein.
       
       Thomas Schmauser als Höfgen versucht erst gar nicht, Gründgens zu kopieren.
       Selbst dessen ikonische weiße Mephistopheles-Maske wird nur zitiert. Ihre
       hochgezogenen Augenbrauen scheinen gerade gen Hakenkreuz zu verrutschen.
       
       Im Spiel aber interessiert sich Schmauser weniger für das äußere Bild des
       von Klaus Mann gnadenlos aufgespießten opportunistischen Karrieristen als
       für das Gefühl, in seiner Haut zu stecken. Er tastet ihn von innen ab,
       sucht nach den Selbstzweifeln und Brüchen im Künstler-Ego.
       
       So sieht man diesen Höfgen sich lust- und fast liebevoll von seiner
       „Schwarzen Venus“ Juliett – hier ein prächtiger Julien –, erniedrigen
       lassen und wie einen Hund heulen, wenn er seinen kommunistischen Freund
       nicht retten kann. Und als er immer mehr von sich selbst für die Nazis
       verleugnen muss, erstarrt sein Gesicht zu einer wächsernen Larve.
       
       Maske hinter einer Maske 
       
       Ein Schauspieler, heißt es irgendwann, „ist eine Maske hinter einer Maske“.
       Das ist so etwas wie das Leitmotiv dieser beklemmenden Gewissensprüfung,
       die aber auch klug unterhält.
       
       Nicht zuletzt mit einem sich selbst übertreffenden Edmund Telgenkämper als
       diabolisch-verbindlichen „Ministerpäsidenten“ und „entarteter“ Jazzmusik,
       unterstützt von Elias Krischke am Schlagzeug. Nach Krischkes Hitlergruß als
       Miklas singt Danger Dan „Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt“.
       
       Und am Schluss sagt die glasklare Linda Pöppel als Höfgens Exfrau: „Es ist
       egal, wie viele Menschen du rettest. Du legitimierst hier Faschisten!“
       Dessen hilfloser Blick geht zur Souffleuse. Sein letztes Wort: „Text?!“
       
       2 Mar 2025
       
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