# taz.de -- Strukturelle Mehrheit für R2G in Berlin: Machen wir doch mit links
       
       > SPD, Grüne und Linke haben immer eine Mehrheit in Berlin. Für die
       > Abgeordnetenhauswahl zeichnet sich ab: Nur R2G wird einen neuen Senat
       > bilden können.
       
 (IMG) Bild: Alles wird rot
       
       Berlin taz | Die rot-rot-grüne Mehrheit steht – wie immer: [1][51,8 Prozent
       der Berliner Wähler:innen haben bei der Bundestagswahl Linken, Grünen
       und SPD ihre Stimme gegeben]. Was im bundesrepublikanischen Maßstab eine
       Besonderheit ist, ist es in Berlin keineswegs. Mag sich das Land auch noch
       so weit nach rechts bewegen, die strukturelle R2G-Mehrheit ist hier seit
       Jahrzehnten unangetastet, auch wenn das angesichts des aktuellen Senats
       nicht unbedingt der politischen Gefühlslage entspricht.
       
       Das Ergebnis vom Sonntag kann derweil Bestätigung und Ermutigung zugleich
       sein: Eine Regierung in Berlin ohne CDU ist möglich, ja wahrscheinlich. Bis
       zur nächsten Abgeordnetenhauswahl sind nur noch anderthalb Jahre zu
       überstehen, dann können die Berliner:innen erneut manifestieren, dass
       ihre Stadt mehrheitlich links und liberal ist, dass die politische Rechte
       strukturell eine Minderheitenposition einnimmt.
       
       Der Blick auf die Zahlen lässt daran keinen Zweifel: Seit der
       Bundestagswahl 1990, bei der CDU und FDP zusammen noch knapp vorne lagen,
       erzielten die Mitte-links-Parteien in Berlin bei jeder Wahl auf Bundesebene
       zumindest eine relative Mehrheit, meist die absolute. Und nicht nur das: In
       jedem Abgeordnetenhaus seit der Wiedervereinigung stellten SPD, Grüne und
       Linke (vormals PDS) eine Mehrheit, mit Ergebnissen zwischen 49 und über 60
       Prozent.
       
       Doch oft wurde diese Mehrheit nicht genutzt. Die dauerhaft in der
       Identitätskrise befindliche Sozialdemokratie sorgte immer wieder dafür,
       dass die Konservativen in Regierungsverantwortung gelangten. Lediglich 5
       von 11 Landesregierungen seit 1990 wurden durch zwei oder alle drei
       Parteien links der Mitte gebildet – unter anderem, weil die PDS in den
       1990er Jahren als nicht regierungsfähig galt. Aber auch weil die SPD ohne
       Not der CDU den Vorzug gab, wie zuletzt bei der Wiederholungswahl 2023, bei
       der R2G mehr Stimmen auf sich vereinigte als CDU und SPD.
       
       ## Schwarz-Rotes Scheitern
       
       So bekam die Stadt Eberhard Diepgen, Frank Henkel oder nun Kai Wegner und
       Stefan Evers statt einer Politik, die auf sozialen Ausgleich, Integration,
       Bürgerrechte oder Ökologie setzt, wie es dem Mehrheitswillen entspricht.
       Selten war das deutlicher als derzeit: CDU und SPD verwalten die Stadt zum
       Schlechteren, ohne Zukunftsvision oder zumindest Antworten auf die
       drängendsten Probleme wie die Mietenfrage.
       
       Selbst hinter seinen eigenen, geringen Ansprüchen bleibt der aktuelle Senat
       zurück: Die Straßen sind nicht sauberer, die Verwaltung nicht effizienter,
       auch sicherer ist es nicht. Von Schwarz-Rot wird nicht mehr bleiben als ein
       massiver Sparkurs, der die Axt an Bildung, Kultur, Wissenschaft und
       Soziales angelegt hat.
       
       Am Sonntag holten CDU und SPD zusammen nur noch ein Drittel der Stimmen,
       was auch als Quittung für diese Senatspolitik begriffen werden kann. Sehr
       viel spricht dafür, dass es die Option eines Rechtsschwenks für die
       Berliner SPD nach der nächsten Abgeordnetenhauswahl nicht mehr geben wird.
       Dass sich die Stimmung angesichts der bereits angekündigten weiteren
       Sparrunden zugunsten der beiden Parteien drehen wird, darf getrost
       bezweifelt werden. Überhaupt dürfte es angesichts von inzwischen fünf
       Parteien, die sich klar im zweistelligen Bereich festgesetzt haben, kaum
       noch für eine Zweierkoalition reichen.
       
       Da für die strukturell eher linken Berliner Grünen eine Koalition mit CDU
       und SPD keine attraktive Option sein dürfte, und da die AfD als
       Koalitionspartner entfällt, ist eine andere Regierungsoption als R2G
       derzeit kaum denkbar. Für die drei Parteien sollte das bedeuten, sich schon
       jetzt darauf vorzubereiten – in vertraulichen Gesprächen, in der Suche nach
       gemeinsamen Projekten. So sehr sie auch Wahlkampf gegeneinander führen
       werden: Am Ende wird es einzig darum gehen, wer von ihnen das Dreierbündnis
       anführen wird.
       
       ## Kandidaten gesucht
       
       Nachdem [2][die Linke mit 19,9 Prozent als stärkste Partei aus der
       Bundestagswahl hervorgegangen ist], träumt sie nun davon, diesen Erfolg in
       Berlin zu wiederholen. Ein Selbstläufer aber wird das nicht. Stark
       profitierte sie von den jüngsten Ereignissen auf Bundesebene. Hinzu kommt:
       Ihre profiliertesten und erfolgreichsten Politiker:innen haben die
       Partei zuletzt verlassen oder ziehen nun in den Bundestag ein.
       
       Aus der Fraktion oder dem Landesvorstand um die bislang blass gebliebenen
       Maximilian Schirmer und Franziska Brychcy drängt sich derweil niemand als
       möglicher Regierender Bürgermeister auf, niemand der stadtweite Bekanntheit
       und Beliebtheit genießt, niemand, der für die jüngsten
       Mobilisierungserfolge wie in Neukölln oder Lichtenberg steht. Die Linke
       wäre gut beraten, über den engen Tellerrand zu schauen und nach einer
       Person mit Strahlkraft zu suchen – etwa der Ex-Sozialsenatorin Katja
       Kipping, zurzeit Geschäftsführerin des Deutschen Paritätischen
       Wohlfahrtsverbands.
       
       Vor einem ähnlichen Problem steht die SPD. Die Landesspitze um Martin Hikel
       und Nicola Böcker-Giannini versprüht wenig Glanz, Ex-Bürgermeisterin
       Franziska Giffey und Fraktionschef Raed Saleh stehen für vieles, nur nicht
       für Aufbruch. Das sieht bei den Grünen schon besser aus, wo es mit Daniel
       Wesener oder Antje Kapek profilierte Landespolitiker:innen gibt und
       auch die Bundestagsspitzenkandidatin Lisa Paus eine mögliche Option sein
       könnte.
       
       Was die Berliner:innen aber deutlich mehr interessieren dürfte als das
       Personal und die Reihenfolge der Parteien, wird sein, wie der Schaden
       aufgeräumt wird, den der jetzige Senat gerade anrichtet. Es wird darum
       gehen, der Explosion der Mieten Einhalt zu gebieten, die Verkehrswende zu
       gestalten, soziale Fragen prioritär zu behandeln und das Regieren von oben
       über die Köpfe der Berliner:innen hinweg zu überwinden.
       
       Die Gestaltungsspielräume werden dabei angesichts der prekären Finanzlage
       der Stadt begrenzt sein. Umso mehr braucht es frische Ideen und Projekte.
       Am besten die Erzählung eines linken Berlins, das inmitten einer rechten
       Republik für eine ganz andere, menschenfreundlichere Politik steht.
       
       27 Feb 2025
       
       ## LINKS
       
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