# taz.de -- Ruanda und die DR Kongo: Verfeindete Nachbarn
       
       > Der Krieg im Osten Kongos ist eng mit Ruanda verknüpft – vor allem wegen
       > des Völkermordes an den Tutsi. Nirgends zeigt sich das klarer als in
       > Goma.
       
 (IMG) Bild: Wo ist Kongo, wo ist Ruanda? Für Außenstehende schwer zu erkennen – die Fischer im Kivu-See wissen es
       
       Berlin taz | Von den Hügeln der idyllischen ruandischen Kleinstadt Gisenyi
       am Kivu-See aus gesehen, liegt Kongos Kriegsgebiet zu Füßen. Die wuselige
       Millionenstadt [1][Goma] tief unten ist zum Greifen nahe, daneben steigt
       Tag und Nacht Rauch aus dem spektakulären [2][Nyiragongo-Vulkan] aus. Im
       Hintergrund erheben sich majestätisch die kongolesischen [3][Masisi-Berge].
       
       Dass das kleine Ruanda ein unmittelbares Interesse daran hat, was jenseits
       der Grenze passiert, liegt vor Ort auf der Hand. Die Regierungen in Kigali
       und Kinshasa mögen sich offiziell spinnefeind sein, aber am Brennpunkt
       ihres Konfliktes sind sie quasi vereint. Der Feldweg hinter dem Friedhof
       Gisenyi liegt schon auf kongolesischem Gebiet, die UN-Wachposten hinter dem
       Flughafen von Goma können ruandischen Beerdigungen zugucken. Einst bauten
       Kongolesen in Goma Häuser, aus deren Hintertür man Ruanda betrat. Auf
       beiden Seiten der Grenze wird ruandisch gesprochen, es gibt regen Waren-
       und Personenverkehr.
       
       Es war die koloniale Grenzziehung von Belgien und Deutschland, die die von
       ethnischen Ruandern bewohnten Gebiete nördlich des Kivu-Sees zwischen Kongo
       und Ruanda teilte. Später, als das vom Adelsstand der Tutsi geführte
       Königreich Ruanda von Hutu-Revolutionären gestürzt wurde, flohen viele
       Tutsi aus der neuen Republik Ruanda nach Kongo. In Munigi am Nordrand von
       Goma residierte ein Tutsi-König, weiter nördlich in Rutshuru ein
       Hutu-König.
       
       Der [4][Völkermord an Ruandas Tutsi 1994] veränderte alles und wirkt bis
       heute nach. Damals schritt das Hutu-Regime in Ruanda zur organisierten
       Auslöschung der Tutsi, damit die Tutsi-Rebellenarmee RPF (Ruandische
       Patriotische Front) nicht die Macht ergreife. Eine Million Menschen
       starben, bis die RPF Ruanda eroberte und die Hutu-Täter sich nach Kongo
       retteten. Rund um Goma und Bukavu errichteten sie gigantische
       Flüchtlingslager und reorganisierten sich, um Ruanda mit der Waffe
       zurückzuerobern. Die meisten kongolesischen Tutsi wurden verjagt.
       
       Ruanda, nunmehr vom Tutsi-Rebellenführer Paul Kagame regiert, kam dem
       zuvor. Ruandas Armee, gestärkt durch kongolesische Tutsi, marschierte 1996
       in Kongo ein und zerschlug die Hutu-Flüchtlingslager um Goma. Der harte
       militärische Kern mitsamt allen leitenden Tätern des Völkermordes floh quer
       durch Kongos riesige Regenwälder. Ruanda marschierte hinterher und
       installierte 1997 Rebellenführer Laurent-Désiré Kabila als Kongos Präsident
       in der Hauptstadt Kinshasa.
       
       Kabila warf seinerseits Ruanda 1998 aus dem Land, woraufhin Ruanda den
       Osten Kongos besetzt hielt. Kabila suchte Hilfe bei der versprengten
       ruandischen Hutu-Völkermordarmee aus Ruanda, die sich als [5][FDLR
       (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas)] neu gründete. Als 2003 der
       Kongokrieg nach fünf Jahren endete und Ruanda sich zurückzog, ließ sich die
       FDLR im Ostkongo nieder. Zeitweise kontrollierte sie 60 Prozent der
       Kivu-Provinzen, in unmittelbarer Nähe Ruandas.
       
       Kabila hatte zuvor den Hutu-Generälen zugesagt, ihnen im Gegenzug für seine
       Hilfe seinerseits bei der Rückeroberung Ruandas zu helfen. Auf diesen
       „Blutsbund“ berufen sich die Beteiligten bis heute. In Kongos Armee ist
       immer wieder zu hören, man müsse den Krieg nach Kigali tragen.
       
       Daraus zieht Ruanda die Überzeugung, dass nach wie vor eine
       [6][Entschlossenheit auf kongolesischer Seite] besteht, den Völkermord an
       Ruandas Tutsi zu vollenden. Und, dass Ruanda deswegen ein Recht hat, selbst
       für Sicherheit in Ostkongo zu sorgen, auch mit dem eigenen Militär.
       
       Zumal die einst vertriebenen kongolesischen Tutsi bis heute nicht friedlich
       heimkehren konnten. Sie ziehen stattdessen immer wieder in neuen
       Rebellenarmeen in den Krieg gegen Kongos Armee, zuletzt unter der
       Bezeichnung [7][M23 (Bewegung des 23. März)], die jetzt mit tatkräftiger
       Hilfe aus Ruanda spektakuläre Erfolge feiert.
       
       Die Tutsi-Rebellen sagen, sie kehren mit der Waffe in der Hand in ihre
       Heimat zurück und setzen dem Chaos ein Ende, wenn man sie lässt. Sie wollen
       die Sicherheitskontrolle über Ostkongo, von „Föderalismus“ ist die Rede.
       Die nichtruandischen Volksgruppen sehen in ihnen hingegen Besatzer, die den
       bevölkerungsreichen, fruchtbaren und mineralienreichen Ostkongo Ruanda
       übergeben wollen. Ein [8][Hassdiskurs gegen Tutsi und Ruander allgemein],
       aus Ruandas einstiger Völkermordideologie weiterentwickelt, gehört heute
       zum kongolesischen Mainstream.
       
       Aus Sicht Kinshasas sind die Rebellen von Kigali gesteuert. Kongos
       Regierung erkennt als Gesprächspartner nur die Regierung Ruandas an – wenn
       überhaupt. Die M23 fühlt sich aber nicht an Vereinbarungen zwischen den
       Regierungen Kongos und Ruandas gebunden. Ruanda sagt, Kongo müsse direkt
       mit der M23 sprechen. [9][Es ist ein Teufelskreis], und alle beteuern, es
       gehe um Leben und Tod. Alle sind davon überzeugt, dass sie selbst
       vernichtet werden, wenn sie nicht selbst siegen. Alle haben noch Rechnungen
       aus düsteren Zeiten offen.
       
       Dieses Misstrauen lässt sich nicht auf Regierungsebene lösen. Zur
       kongolesischen Realität gehört, dass im Ostkongo längst jede Volksgruppe
       ihre eigene Miliz zum Selbstschutz unterhält. Zwischen Kongos Hauptstadt
       Kinshasa und Goma liegen nicht nur 1.600 Kilometer, sondern auch der
       undurchdringliche Kongo-Regenwald, es gibt keine Straßen quer durch das
       Land, es herrschen unterschiedliche Zeitzonen, es werden unterschiedliche
       Sprachen gesprochen. Ruandas Hauptstadt Kigali kann man hingegen aus
       Ostkongo in wenigen Stunden mit dem Auto erreichen – und umgekehrt.
       
       Am Wochenende entspannten sich Urlauber am Badestrand von Gisenyi, während
       im Hintergrund der Artilleriedonner von Goma zu hören war. In Goma gibt es
       keinen öffentlichen Badestrand – die idyllische Seenküste ist fast
       vollständig in privater Hand, mit Villen zugebaut, die Pfründen
       kongolesischer Generäle und Geschäftemacher. Goma ist im Krieg groß und
       reich geworden. Auch das gehört zu den Widersprüchen dieser Region.
       
       27 Jan 2025
       
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