# taz.de -- Jahrestag Tsunami im Indischen Ozean: Jetzt kommt sie langsam auf dich zu
       
       > Vor zwanzig Jahren war unser Autor noch ein Kind. Die Tsunami-Katastrophe
       > hat sich ihm dennoch tief eingeprägt – vor allem in ihren kulturellen
       > Auswirkungen.
       
 (IMG) Bild: Gedenken zum 20. Jahrestag des Tsunami von 2004 am Marina Beach/Chennai, Indien
       
       Am [1][Morgen des zweiten Weihnachtsfeiertags 2004] liegt ein Pärchen mit
       seiner kleinen Tochter am Strand an der Bucht von [2][Khao Lak] in
       Thailand. Mit einer Digitalkamera filmt der Mann den Horizont, wo sich der
       blaue Himmel und das blaue Meer treffen und sich immer deutlicher eine
       schäumende Welle abzeichnet, die auf den Strand zurollt. „Boah, dahinter
       kommt noch ’ne größere“, sagt der Mann. „Was ist das?“, fragt die Frau,
       „das muss irgendein Seebeben gewesen sein.“ „Nein“, wiegelt der Mann noch
       ab, um kurze Zeit später festzustellen: „Die hauen auch alle ab, die
       Thais.“ Bald beginnt auch das Pärchen seine Sachen zu packen.
       
       Einige hundert Kilometer von Khao Lak entfernt, vor Sumatra im Indischen
       Ozean schiebt sich die Indisch-Australische Kontinentalplatte mit etwa 33
       Millimetern pro Jahr unter die eurasische Platte. Dabei zieht die
       absinkende indische Platte die kleinere Burma-Platte nach unten. Wenige
       Stunden bevor das Video gefilmt wurde, so glauben Wissenschaftler, war ein
       Teil der Burma-Platte plötzlich wieder nach oben zurückgeschossen, hatte
       ihre enorme Energie auf das Wasser übertragen und eine Welle erzeugt, die
       an manchen Küstenorten mit bis zu 50 Metern Höhe (in Khao Lak waren es bis
       zu 10 Meter) auf Land traf. Etwa 230.000 Menschen starben in Indonesien,
       Thailand, Sri Lanka und weiteren Ländern.
       
       In Deutschland war die Anteilnahme groß, wohl auch wegen der Festtage. Ich
       war damals acht Jahre alt und erinnere mich, wie ich und meine Brüder
       unsere Sparschweine knackten, um für die Opfer zu spenden. Insgesamt kamen
       aus Deutschland rund [3][670 Millionen] Euro zusammen.
       
       Die Ergriffenheit wirkte sich gar das Radioprogramm aus. Ein paar Tage nach
       dem Unglück war ich mit meiner Großmutter in einem Kaufhaus, aus den Boxen
       schallte Julis Sommerhit [4][„Perfekte Welle“]: „Jetzt kommt sie langsam
       auf dich zu, das Wasser schlägt dir ins Gesicht, siehst dein Leben wie ein’
       Film, du kannst nicht glauben, dass sie bricht.“ Kunden beschwerten sich,
       forderten die Belegschaft auf, das Lied abzuschalten. Aus Pietätsgründen
       entschieden sich Radiosender freiwillig, den Song „Perfekte Welle“ für
       einige Zeit aus dem Programm zu nehmen.
       
       ## Westlicher Blick
       
       Aus der Anteilnahme wurde mit der Zeit eine morbide Faszination. Schon 2006
       erschien die BBC/HBO-Produktion „Tsunami – Die Killerwelle“, 2012 folgte
       das Melodrama „The Impossible“ des spanischen Regisseurs Juan Antonio
       Bayona. Das ZDF strahlte im Dezember letzten Jahres [5][„Die zweite Welle“]
       aus. Die sechsteilige Serie handelt von einer Freundesgruppe, die ebenfalls
       in Khao Lak Urlaub macht und dort vom Tsunami überrascht wird.
       
       Der westliche Blick auf die Katastrophe war oft der Blick der Touristen.
       Die „Tagesschau“ wies bereits am Abend des 26. Dezember darauf hin, dass
       die Flut auch das „Urlaubsparadies Malediven“ getroffen habe.
       
       Urlauber waren es oft, die das Anrollen und Anbranden der ersten Welle mit
       ihren Digitalkameras festhielten. Dabei verweilten viele zu lange an der
       Küste, nicht ahnend, dass jede weitere Sekunde ihre Überlebenschancen
       schmälerte. Am schlimmsten betroffen waren jedoch nicht die
       „Urlaubsparadiese“, sondern Regionen abseits des westlichen Blicks. In
       Indonesien allein starben nach Schätzung der Regierung 200.000 Menschen. In
       der Provinz Aceh hatten sich eine islamistische Unabhängigkeitsbewegung und
       Regierungstruppen seit Jahrzehnten bekämpft. Der Krieg endete nach dem
       Tsunami, auch weil kaum etwas übrig geblieben war, um das es sich noch zu
       kämpfen lohnte.
       
       Als das Wasser sich zurückzog, wollten die Überlebenden mit dem
       Wiederaufbau beginnen. Doch manche gespendeten Euros und Dollars
       versickerten, landeten in den Taschen von Offiziellen und Geschäftsleuten,
       anstatt der Bevölkerung zugute zu kommen. Investoren witterten ihre Chance,
       an den verwüsteten Küstenstreifen neue Hotels und Ressorts zu bauen, dieses
       Mal noch größer, noch teurer, aber genauso nah am Wasser.
       
       ## Klimakrise macht es schlimmer
       
       Dass so viele Menschen starben, lag auch an [6][fehlenden
       Frühwarnsys]temen, die seitdem aufgebaut wurden. Sie funktionierten zwar,
       als 2018 ein kleinerer Tsunami auf Indonesien zurollte. Allerdings
       versagten buchstäblich auf den letzten Metern viele Lautsprecher an der
       Küste, die die Menschen vor der Welle warnen sollten.
       
       Die Frühwarnsysteme werden sicherlich erneut benötigt werden – zumal die
       Plattentektonik von den Folgen der Klimakrise nicht ausgenommen ist. So
       fanden Wissenschaftler in Potsdam heraus, dass sich mit dem steigenden
       Meeresspiegel der Wasserdruck auf die Erdplatten erhöht, was zu häufigerem
       und stärkerem Erbeben führt und das Tsunamirisiko steigert. Ob die Welt
       wirklich aus der Katastrophe von 2004 gelernt hat, wird sich zeigen, wenn
       die nächste Welle anrollt.
       
       26 Dec 2024
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) [4] https://www.youtube.com/watch?v=gemQlvPimRs
 (DIR) [5] https://www.zdf.de/serien/die-zweite-welle
 (DIR) [6] /!631303/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Leon Holly
       
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