# taz.de -- Normalität, Fremde und das Dazwischen: Der Sturz ins Unbekannte
       
       > Beim Sinkflug auf ein fremdes Land treffen sich Fantasie und Realität,
       > der Aufprall kann hart sein. Warum Reisen trotzdem überlebenswichtig ist.
       
 (IMG) Bild: Straßenszen in Banjul, Gambia: „Nach ein paar Tagen, einer Woche vielleicht, wird die Fremde zur Normalität“
       
       Das Meer unter mir ist von einem schimmernden Türkisblau. Ich schaue aus
       dem Fenster des Fliegers, während wir über die Kapverdischen Inseln gleiten
       und staune über diese Farbe. Dass es sie gibt. Dass es diesen Ort wirklich
       gibt.
       
       Es ist der Moment auf der Erde, der am nächsten an Raumfahrt kommt. Man
       sieht fremde Länder wie fremde Planeten unter sich. Neue Welten, die doch
       auf dieser Welt existieren; Paralleluniversen, bis wir uns treffen. Ja, ich
       weiß, Fliegen. Und doch: Was für ein Wunder. Was für Freundschaften, Wissen
       und Verständnis er eröffnet, dieser Sturz ins Unbekannte, der das Leben
       verändern kann.
       
       Wir nähern uns der Küste [1][von Gambia], beginnen den Sinkflug hinab nach
       Banjul. Das ist der beste Augenblick. Ich sauge alles auf in diesem
       explosiven Moment, in dem Fantasie und Realität sich treffen. Palmenhaine,
       braunrote Staubstraßen, die Dächer großzügiger Häuser, üppige Gräser an der
       Landebahn, regengesättigt, ein Schwarm weißer Vögel. Es ist wunderschön.
       Das Land ist für mich noch unbeschrieben, frei von Liebe und Wut.
       
       Nach der Landung schieben wir uns durch den Stadtverkehr der Vororte von
       Banjul. Die drückende Tropenluft ist voll von Gerüchen und Lärm. Frauen in
       leuchtenden Kleidern balancieren Waren auf dem Kopf, Händlerinnen am
       Straßenrand brüllen durcheinander, Kinder in zerschlissenen Klamotten
       spielen im Staub oder arbeiten. Kühe stromern an kaputten Häusern und
       Müllbergen vorbei, zerbeulte, überfüllte Minibusse schleppen sich vorwärts.
       Und irgendetwas kippt.
       
       Ich nehme nur Klischees wahr. Auf den Thrill des Falls folgt verlässlich
       der Aufprall. Ich bin nicht mehr berauscht, sondern ängstlich, überfordert.
       Erschrocken über die Armut, das Chaos, beschämt über meine Fremdheit und
       Ahnungslosigkeit. Alles ist mir zu voll, zu laut, zu bedrohlich. What the
       fuck mache ich hier?
       
       Und dann? Wie schnell wir Menschen uns gewöhnen. Nach ein paar Tagen, einer
       Woche vielleicht, wird die Fremde zur Normalität. Reisen lehrt rasend
       schnell, anders als zu Hause ist man wie im Hyperfokus. Was mir bettelarm
       schien, entpuppt sich als gutbürgerlicher Vorort. Was mir eine einzelne
       Sprache schien, entpuppt sich als vielfältig und findet Namen und erste
       Worte: Wolof, Mandinka, Fula. Der kleine Laden, für den ich nicht mal einen
       Blick hatte, wird zum Lieblingslokal. Die fremden Gesichter werden zu
       Nachbar:innen und manche zu Freund:innen, das Viertel zu unserem
       Viertel.
       
       Nur nie ganz, ganz unseres ist es nicht. So geht die Geschichte vom
       intergalaktischen Sturz. Für alle bedeutet er Verschiedenes. Für mich ist
       er wie eine Sauerstoffinfusion. Ich kann wieder atmen.
       
       30 Dec 2024
       
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