# taz.de -- Scholz und Pistorius: Journalismus oder Pferdewette?
       
       > Man wundert sich über die Hysterie, mit der manche Medien über die
       > K-Frage innerhalb der SPD berichtet haben. Da war wenig Sachliches und
       > viel Hysterie dabei.
       
 (IMG) Bild: Olaf Scholz soll vom SPD-Vorstand als Kanzlerkandidat für die Neuwahl des Bundestags nominiert werden
       
       Es sind noch etwa 90 Tage bis zur Bundestagswahl. Wie gut, dass die knapp
       bemessene Zeit dazu führt, im Wahlkampf Prioritäten zu setzen. Nur die
       drängendsten Fragen werden diskutiert: Wie kann der Aufstieg der
       Autoritären gestoppt werden? Wie können Rezession und Inflationsangst
       bekämpft werden? Hat der SPD-Kandidat eine randlose Brille oder eine
       Glatze?
       
       [1][Zwei Wochen hat das Land über den Wahltermin diskutiert,] um nun eine
       Personalie durchs deutsche Dorf zu treiben. In der Kandidatendebatte der
       SPD ging es, materiell betrachtet, um die Frage, ob ein konservativer
       Sozialdemokrat oder ein sozialdemokratischer Konservativer die Partei in
       den Wahlkampf führt. Der Eifer wäre verständlich, wenn es zwischen den
       Kandidaten politische Unterschiede gäbe oder wenn Scholz wie Joe Biden
       nicht regierungsfähig wäre. Warum aber sollte der Minister einer
       gescheiterten Regierung erfolgreicher sein als ihr Kanzler – wegen eines
       Beliebtheitsrankings? Ein Wechsel des Kandidaten wäre schnell verpufft,
       WählerInnen sind ja nicht doof.
       
       Die K-Fragen-Hysterie dieser Woche ist ein Beispiel dafür, dass Medien
       nicht einfach Wirklichkeit beschreiben. Man spürte in manchen Beiträgen
       eine Lust, Pistorius hoch- und Scholz runterzuschreiben. Wenn man tagelang
       jede Einzelmeinung eines SPD-Mitglieds aus der dritten und zweiten Reihe
       zur Breaking News aufbläst, wird die Aussage, die SPD sei gespalten, zur
       sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Natürlich hat die SPD-Spitze zur
       Debatte beigetragen. Aber man kann (wie die taz) über die [2][K-Frage] auch
       [3][nüchtern] berichten [4][und feststellen], dass das Rumoren an der Basis
       medial angeheizt und so eindeutig nicht war.
       
       Nun ist einseitige Medienschelte oft etwas billig, denn Meldungen über
       Personalfragen werden auch gern gelesen. Vielleicht ist es ein gemeinsamer
       Eskapismus von uns MedienmacherInnen und Ihnen, den MediennutzerInnen:
       Gerade weil die Herausforderungen erdrückend sind und die Angebote, sie zu
       lösen, so unzureichend, ist es befreiend, sich mit Köpfen zu beschäftigen.
       So aber fehlt nach der ganzen Aufregung die Energie für die größeren
       Fragen. Nicht wer für die SPD antritt, ist doch die spannende Frage,
       sondern: wofür.
       
       Die linksliberalen Parteien, also auch die Grünen, haben ein Problem. Sie
       hoffen weiterhin, dass sie mit einem Kurs auf die Mitte Wahlen gewinnen
       können. Aber die Merkel-Jahre sind vorbei, und ihre Voraussetzungen –
       Wachstum, billiges Geld und Gas, Probleme in die Zukunft verdrängen – sind
       es auch. Die Grünen scheinen dennoch die Fehler von Kamala Harris
       wiederholen zu wollen: Pathetisch von Demokratie sprechen, popkulturelle
       Anspielungen, damit erreicht man keine Mehrheit. Wenn SPD und Grüne
       gewinnen wollen, müssten sie aus der Merkel-Logik ausbrechen. Sie müssten
       mit einer Umverteilungspolitik die Interessen der Mehrheit bedienen, statt
       mit der Union um den kleiner werdenden Kuchen zu kämpfen, der deutsche
       Mitte heißt. Doch dafür sind weder Habeck noch Scholz oder Pistorius die
       geeigneten Kandidaten.
       
       Dennoch sollte der Blick auf den Wahlkampf 2021 Demut lehren. 90 Tage vor
       der Bundestagswahl stand die SPD in Umfragen auch bei 14 Prozent. Nun
       spricht viel dafür, dass Geschichte sich nicht wiederholt. Wie aber kommt
       man dazu, wie manche Kollegen bei den Illustrierten, Minuten nach der
       Nachricht von [5][Pistorius’ Verzicht] in die Glaskugel zu schauen? Im
       Spiegel wird geleitartikelt, dass die SPD ein einstelliges Ergebnis holen
       werde, ein Stern-Kollege legt sich fest, das Kanzlerduell sei nun
       „entschieden“. Derweil jubelt man bei Politico, dass man die Nachricht von
       Pistorius’ Rückzug eine Minute früher vermeldet habe. Ist das noch
       Journalismus oder schon Pferdewette?
       
       23 Nov 2024
       
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