# taz.de -- Sondierungen in Sachsen gescheitert: Was wollte Kretschmer von der AfD?
       
       > Am Dienstag traf Sachsens Ministerpräsident Kretschmer sich mit AfD-Chef
       > Jörg Urban. Nun sind die Sondierungen mit BSW und SPD gescheitert.
       
 (IMG) Bild: Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) traf sich mit AfD-Chef Jörg Urban am Dienstag zu einem vertraulichen Gespräch
       
       Berlin taz | Bereitet der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer
       (CDU) eine von der AfD tolerierte Minderheitsregierung vor? Die
       Sondierungen zur Regierungsbildung mit dem BSW und der SPD sind am Mittwoch
       geplatzt. Das Bündnis Sarah Wagenknecht teilte mit, dass die Gespräche
       ergebnislos abgebrochen wurden. Man habe sich bei der Friedensformel, der
       Migrationspolitik und dem Thema Finanzen nicht einigen können.
       
       Der abrupte Abbruch der bereits zuvor stockenden Gespräche wirft noch
       einmal ein anderes Licht auf ein Ereignis vom Vortag: Am Dienstag hatte
       sich Kretschmer mit dem Chef der extrem rechten AfD Sachsen, Jörg Urban,
       getroffen. Staatskanzlei und AfD bestätigten das Treffen und ein Gespräch
       über „landespolitische Themen“. Mehr verrieten beide Seiten nicht, man habe
       Vertraulichkeit vereinbart, hieß es übereinstimmend. Der taz sagte der
       Sprecher der Staatskanzlei Ralph Schreiber lediglich, dass das Gespräch am
       Dienstag in Kretschmers Landtagsbüro stattgefunden und eine halbe Stunde
       gedauert habe.
       
       Noch am Dienstagabend hatte die sächsische Staatskanzlei ein schmallippiges
       Statement verschickt. Das versuchte, das Treffen mit dem Vorsitzenden der
       AfD, die in Sachsen vom Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextrem“
       eingestuft ist, als vollkommen normal einzuordnen: „Der Ministerpräsident
       spricht grundsätzlich mit allen Abgeordneten und Fraktionsvorsitzenden, die
       dies wünschen“, teilte der Sprecher des Staatskanzlei Ralph Schreiber mit.
       
       Gleichwohl konnte er die Rückfrage, wann er sich denn zuletzt mit Urban
       getroffen habe, nicht beantworten. Die Staatskanzlei blieb am
       Mittwochvormittag dennoch bei der Linie, das Gespräch mit Urban sei ein
       normaler Vorgang: Kretschmer habe ein Treffen nach der Wahl des
       Landtagspräsidenten und der Vizepräsidenten zugesagt. Mit allen
       Abgeordneten zu reden, gebiete der Respekt vor dem Amt und dem Parlament.
       Man habe auch das BSW und die SPD über das Treffen informiert. Eine
       Vorbereitung einer wie auch immer gearteten Zusammenarbeit mit der AfD
       dementierte Schreiber – ein Gespräch sei schließlich keine Zusammenarbeit.
       
       ## Kretschmer dementiert Zusammenarbeit mit AfD
       
       Kretschmer hatte sich stets gegen eine Zusammenarbeit mit der AfD
       ausgesprochen. Allerdings fordern immer wieder CDU-Politiker in Sachsen
       auch [1][Gespräche mit der extrem rechten Partei]. Das erklärte Ziel der
       AfD wiederum ist es, die CDU zu zerreiben – möglicherweise auch als
       lautstarke Treiber einer Minderheitsregierung in Sachsen – oder auch in
       Thüringen. Kretschmer sagte am Mittwoch nach dem Ende der Sondierungen im
       Landtag erneut, dass eine Zusammenarbeit auch nach seinem Treffen mit der
       AfD „nicht infrage kommt“.
       
       Mit dem Abbruch der Sondierungsgespräche allerdings hat Kretschmer wenig
       andere Optionen als eine Minderheitsregierung. Theoretisch würde es für die
       CDU auch für eine Parlamentsmehrheit mit Grünen und Linken reichen –
       allerdings hat die Union zur Linken wie zur AfD einen
       Unvereinbarkeitsbeschluss gefasst.
       
       Ein anderes mögliches Szenario wären Neuwahlen. Laut sächsischer
       Landesverfassung muss es innerhalb von vier Monaten nach Konstituierung des
       Landtags einen neuen Ministerpräsidenten geben, andernfalls ist das
       Parlament aufzulösen. Die Frist läuft bis Anfang Februar.
       
       ## AfD-Terrorverdächtiger arbeitet im Landtag
       
       Der Zeitpunkt des Gesprächs ist nicht nur wegen des Abbruchs der
       Sondierungsgespräche tags darauf bemerkenswert: Denn das Tête-à-Tête
       zwischen Kretschmer und Urban hat nur kurz nach der Festnahme mehrerer
       sächsischer AfD-Politiker wegen Terrorismusverdachts stattgefunden.
       
       Am Dienstag wurden unter anderem drei AfD-Politiker festgenommen, weil sie
       sich in einer [2][Neonazi-Gruppe namens „Separatisten Sachsen“] auf die
       gewaltsame Eroberung Teile Sachsens an einem „Tag X“ vorbereitet haben
       sollen, um ein nationalsozialistische Regime zu errichten. Einer der
       Terrorverdächtigen, der AfD-Stadtrat aus Grimma Kurt Hättasch, war auch
       bereits Gast im neurechten Szenetreff von Götz Kubitschek in Schnellroda –
       wo auch AfD-Chef Jörg Urban regelmäßig auftritt.
       
       Gut möglich, dass auch Ministerpräsident Kretschmer im Landtag just diesem
       Terrorverdächtigen bereits über den Weg gelaufen ist: Hättasch arbeitet
       auch für den AfD-Landtagsabgeordneten Alexander Wiesner, wie
       [3][mittlerweile bekannt wurde]. Er ist Waffenbesitzer und wurde bei der
       Festnahme angeschossen.
       
       ## Breite Kritik an Kretschmer – auch aus der CDU
       
       Das Treffen mit AfD-Chef Urban sorgte für breite Kritik:
       SPD-Generalsekretär Matthias Miersch verlangte eine klare Absage von
       CDU-Parteichef Friedrich Merz an eine Zusammenarbeit mit der AfD. „Jede
       Annäherung ist ein Dammbruch, der die demokratischen Grundwerte unseres
       Landes gefährdet“, sagte er.
       
       Aber auch die CDU-Parteizentrale wirkte überrascht. Generalsekretär Carsten
       Linnemann sah sich zu einer Klarstellung veranlasst: „Für uns, für die CDU,
       ist klar, es gibt keine Zusammenarbeit mit der AfD. Punkt.“
       
       In den Ebenen darunter wurde es noch deutlicher: Dennis Radtke, Chef der
       Christlich-Demokratiscne Arbeitnehmerschaft (CDA), sagte: „AfD-Abgeordneten
       kann man auf dem Flur einen guten Tag wünschen, aber mehr auch nicht. Wenn
       der Eindruck entsteht, die Brandmauer zu einer Partei, in der drei
       Mitglieder gerade bei einer Nazi-Razzia verhaftet wurden, bekommt Risse,
       dann schadet das der Union in ganz Deutschland.“ Auch die
       Bundestagsabgeordnete Anne König sagte: „Wir haben einen
       Unvereinbarkeitsbeschluss auf Bundesebene. Kretschmer sollte daher doch
       auch als Ministerpräsident klar sein, dass jedes Gespräch mit der AfD nur
       zu Missverständnissen führt und deshalb schädlich ist.“
       
       Die Kritik an Kretschmer ist nach dem Treffen über die Parteigrenzen hinweg
       groß. Valentin Lippmann, der parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen,
       sagte: „Es gibt nie einen guten Zeitpunkt sich mit Rechtsextremisten im
       Hinterzimmer zu treffen – dies ausgerechnet an jenem Tag zu tun, an dem
       AfDler wegen Terrorverdachts festgenommen werden, zeugt von besonderer
       Anstands und Verantwortungslosigkeit.“ Auch die Linke Sachsen nannte
       [4][das Gespräch und den Zeitpunkt „absurd“].
       
       Die AfD-Spitze um den sächsischen Chef der Bundestagsfraktion und
       Parteivorsitzenden Tino Chrupalla wollte sich zum Treffen mit dem
       CDU-Ministerpräsidenten nicht äußern. Nervös ist die AfD unterdessen
       allerdings wegen der Beteiligung der drei AfD-Politikern bei den
       „Sächsischen Separatisten“. Am Mittwoch hat der Bundesvorstand in einer
       Sondertelefonkonferenz den Ausschluss der drei Terrorverdächtigen
       beschlossen. Dass [5][schon länger bekannt war], dass etwa Kurt Hättasch
       bei einer Sonnenwendfeier dem Nationalsozialismus huldigte, hatte die
       Partei bisher nicht gestört.
       
       6 Nov 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.mdr.de/nachrichten/sachsen/cdu-offener-brief-afd-gespraeche-100.html
 (DIR) [2] /Festnahmen-von-Neonazis-in-Sachsen/!6046702
 (DIR) [3] https://x.com/ChristianFuchs_/status/1854081262639624645
 (DIR) [4] https://www.mdr.de/nachrichten/sachsen/politik/landtagswahl/gespraech-urban-afd-kretschmer-cdu-100.html
 (DIR) [5] /Rechtsextreme-Netzwerke-in-Sachsen/!6021990
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Gareth Joswig
       
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