# taz.de -- Vertreibung aus Sudan: Zeltreihen unter Olivenhainen
       
       > Wer im tunesischen Sfax landet, will meistens nach Europa übersetzen. Das
       > weiß auch der Staat, die Küstenwache spürt ihre Boote immer wieder auf.
       
 (IMG) Bild: Gestoppt auf dem Weg nach Lampedusa – sie werden es wieder probieren
       
       Sfax taz | Für Migrant:innen aus Westafrika und Flüchtlinge aus Sudan
       ist der 50 Kilometer lange Küstenstreifen nördlich des tunesischen Sfax das
       große Versprechen auf ihrem Weg in ein besseres Leben.
       
       Täglich kommen Hunderte Menschen über die Wüstenlandschaft an der
       algerischen und libyschen Grenze an, schlagen sich bis in die Hafenstadt
       durch und warten auf die Überfahrt nach Lampedusa. Bis zu 20.000 Menschen
       harren derzeit in Lagern inmitten der Olivenhaine aus. Ihre Lebensumstände
       erinnern an ein Kriegsgebiet. Und täglich werden es mehr Menschen.
       
       Denn seit dem Abkommen zwischen der Brüsseler EU-Kommission und dem Anfang
       Oktober wiedergewählten Präsidenten Kais Saied fängt die Küstenwache fast
       alle Boote auf ihrem Weg nach Lampedusa ab.
       
       Die größte Flüchtlingskrise des südlichen Mittelmeers findet unter
       Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Um mit den Geflüchteten zu sprechen,
       benötigt man Hartnäckigkeit und eine Genehmigung des Innenministeriums in
       Tunis. Selbst Gesuche von Abgeordneten aus Brüssel und Berlin, diese zu
       besuchen, wurden bisher strikt abgelehnt.
       
       ## Eine unscheinbare Straße scheint ins Nicht zu führen
       
       Links und rechts der verwaisten Landstraße nördlich von Sfax schleppen
       kleine Gruppen von Migranten Plastiktüten voller Lebensmittel in Richtung
       der Kleinstadt El Amra. Immer wieder suchen sie Schutz vor der stechenden
       Sonne unter den bis an die Straße heranreichenden endlosen Reihen von
       Olivenbäumen. Als Polizeipatrouillen in hohem Tempo vorbeirauschen, suchen
       sie Schutz hinter der Straßenböschung. Doch wo sind die Tausenden
       Migranten, vor denen in Sfax wieder und wieder gewarnt wird?
       
       Eine unscheinbare Straße führt von der trubeligen Provinzmetropole El Amra
       scheinbar ins Nichts. Links und rechts stapelt sich der Müll, Frauen mit
       auf den Rücken getragenen Babys tauchen plötzlich auf. Nach mehreren Kurven
       sind es plötzlich Hunderte. Aus einer defekten Bewässerungsleitung sprudelt
       Wasser. Menschen stehen Schlange, um ihre mitgebrachten Wasserflaschen
       aufzufüllen, daneben waschen sich junge Männer mit Seife. Man ist
       angekommen am Flüchtlingslager „Kilometer 30“.
       
       Aus Holzstöcken und Plastikfolie notdürftig zusammengebaute Zelte soweit
       das Auge reicht. Unter den penibel angelegten Reihen der Olivenbäume
       Matratzen, Kochgeschirr und schreiende Babys. „Ich schätze, wir sind 5.000
       Menschen hier aus mindestens 20 Ländern“, sagt Abubakr Bangui. Darunter
       sind auch Sudaner:innen. Eine Böe wirbelt den Sandstaub auf, der alle Zelte
       bedeckt. Der Ingenieur aus Guinea-Bisseau trägt seine zweijährige Tochter
       im Arm und schaut besorgt nach seiner Frau Leoni. Die seit dem Römischen
       Reich hier angebauten Bäume wirken in der flachen Landschaft wie
       Blickfangmauern.
       
       Am Morgen war sie wie die anderen Frauen des Lagers nach El Amra gegangen,
       um etwas zu essen zu ergattern. Als sie zusammen mit vier anderen Frau
       schwer bepackt hinter einer Biegung erscheint, ist dem 35-Jährigen die
       Erleichterung ins Gesicht geschrieben. „Wir Männer müssen im Lager bleiben,
       die Frauen suchen nach Essen oder Geld“, sagt er. „Wenn mich die Polizei in
       El Amra auf der Straße erwischt, werde ich verhaftet und an der algerischen
       Grenze ausgesetzt.“ Doch die Frauen riskieren, ausgeraubt oder angegriffen
       zu werden, sie berichten von Schlägen und sexuellen Übergriffen.
       
       ## „Kilometer 30“ ist eines von sechs Camps nahe Sfax
       
       Laila Bangui breitet vor dem Zelt der Familie aus, was heute im Topf
       landet, der vor einem kleinen Gaskocher steht. „Meine Ausbeute wird von
       Monat zu Monat weniger, in Tunesien herrscht eine Wirtschaftskrise“, sagt
       die 30-Jährige. „Aber heute war ein guter Tag.“
       
       Seit Sommer letzten Jahres lebt die Familie hier, dreimal wurde ihr Zelt
       von der Polizei zerstört. „Kilometer 30“ ist eines von sechs entlang der
       parallel zur Küstenstraße entstandenen Camps, das erste liegt bei Kilometer
       25, das letzte bei Kilometer 38. Die Zahl bezeichnet die jeweilige
       Entfernung von Sfax und ist auf Steinen verzeichnet.
       
       Seit Oktober haben die Banguis fünfmal versucht, mit dem Boot nach
       Lampedusa überzusetzen, und haben dafür insgesamt 2.500 Euro gezahlt.
       „Jedes Mal hat die tunesische Küstenwache das Boot aufgespürt, uns in den
       Hafen von Sfax gebracht und dann wortlos gehen lassen“, sagt Bangui. „Wir
       werden es auch ein sechstes Mal probieren.“
       
       ## Kein Weg zurück
       
       Doch derzeit hat kaum jemand in dem selbst organisierten Lager Geld für die
       nächste Überfahrt. Seit einer Anordnung vom letzten Juni dürfen Tunesier
       Migranten:innen nicht mehr als Tagelöhner anstellen. Das Ersparte der
       Verwandten in der Heimat war bereits nach der ersten Überfahrt
       aufgebraucht. „Wir warten darauf, dass Tunesien die Boote wieder fahren
       lässt und die Preise sinken“, begründet Bangui ihr vergebliches Warten,
       ohne dass sich an der Lage etwas geändert hätte.
       
       Nach Sonnenuntergang ist es im Lager stockdunkel. Um kleine Feuer sitzen
       Menschen und schweigen. Die Luft riecht nach Meerwasser. Es gebe trotz
       allem keinen Weg zurück, sagt einer am Feuer.
       
       2 Nov 2024
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Mirco Keilberth
       
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