# taz.de -- Afrikanische Flüchtlinge in Tunesien: Sie haben vom Nötigsten zu wenig
       
       > Zehntausende Flüchtlinge leben um Sfax in Tunesien ohne Schutz oder
       > UN-Hilfe, viele aus Sudan. Jetzt droht ihnen die Abschiebung Richtung
       > Algerien.
       
 (IMG) Bild: Sich selbst überlassen und jederzeit von Räumung bedroht: Geflüchtete in den Hainen bei Sfax im Oktober 2024
       
       Sfax taz | Werden die seit Sommer auf Olivenhainen rund um die tunesischen
       Hafenstadt Sfax hausenden afrikanischen Migranten vor Jahresende alle nach
       Algerien deportiert? Schon das Gerücht sorgte in den neun informellen
       Flüchtlingslagern für Panik. Tausende packten über die Weihnachtsfeiertage
       ihre Holzlatten und Plastikplanen zusammen und versteckten sich.
       
       Nach Schätzungen westafrikanischer Aktivisten [1][leben um Sfax seit einem
       Jahr über 15.000 Menschen im Freien], bis zu 70.000 Migranten und
       Flüchtlinge warten in ganz Tunesien auf eine [2][Überfahrt nach Lampedusa]
       oder Sizilien.
       
       Weil Hilfswerken der Zugang verweigert wird, grassieren in den an
       Flüchtlingslager in Kriegsgebieten erinnernden Zeltstädten
       Tropenkrankheiten. Jede Woche gibt es Tote durch Unterernährung oder
       medizinische Notfälle.
       
       Ibrahima Fofana, ein 24-jähriger Arzt aus Sierra Leone, betreibt eine Art
       Feldkrankenhaus und schildert den Notstand: „Ich bin zusammen mit meinen
       vier Krankenschwestern schon mit den vielen Hautkrankheiten und Geburten
       völlig überlastet. Wir dürfen nun keine Patienten mehr in lokale
       Krankenhäuser bringen. Mit der Räumung kommen viele Knochenbrüche und
       Schlagverletzungen dazu.“
       
       ## „Sie machten alles dem Erdboden gleich“
       
       Am Mittwoch rückte die Nationalgarde mit Bulldozern am [3][„Kilometer 19“]
       an, benannt nach der Entfernung zu Sfax, und zerstörte Zelte. In diesem
       Lager leben vor allem [4][Kriegsflüchtlinge aus Sudan]. „Auch an Kilometern
       27, 31 und 35 rückten Konvois mit Uniformierten an und machten alles dem
       Erdboden gleich“, berichtet Mohamed aus Khartum.
       
       Der 22-Jährige war mit dem Versuch gescheitert, per Boot von Sfax nach
       Italien zu gelangen. Nach zwei Stunden auf dem Mittelmeer stoppte eine
       Patrouille der tunesischen Küstenwache das Boot. Die 45 Passagiere wurden
       zurückgebracht.
       
       „Wir Männer mussten die letzten hundert Meter schwimmen, die Frauen
       brachten die Beamten in den Hafen“, sagt der Sudanese, der seinen Nachnamen
       nicht veröffentlicht sehen möchte. „Drei von uns starben in dem eiskalten
       Wasser.“
       
       Zusammen mit den anderen Überlebenden marschierte er zurück in die
       Olivenhaine, wurde aber auf der Landstraße von einer anderen Patrouille
       angegriffen und am Kopf verletzt. Nun behandelt Dr. Fofanah eine offene
       Platzwunde an Mohameds Hinterkopf. „Wir hatten noch Glück“, sagt der
       Sudanese. „Normalerweise werden alle Migranten auf den Straßen zwischen
       Sfax und den Fischerdörfern verhaftet und mit Bussen in die Grenzgebiete zu
       Libyen oder Algerien gefahren.“
       
       ## Medizinische Hilfe offiziell verboten
       
       Fofana und sein Freiwilligenteam behandeln derzeit bis zu 30 Patienten am
       Tag. Weil die Behörden es untersagen, Migranten zu behandeln, sind seine
       Feldkliniken – ein einfaches Zelt mit drei Räumen, in denen verschmutzte
       Matratzen liegen – die einzigen Orte, an denen sie Hilfe finden.
       
       Dank Spenden und der Hilfsbereitschaft mancher Apotheker gelingt es Fofana,
       Leben zu retten. Lebensmittel spendet die lokale Bevölkerung, manche
       Olivenbauern überlassen den Migranten ihr Bewässerungswasser. „Doch das
       Wasser ist so stark mit Bakterien verunreinigt, dass fast alle hier
       Hautkrankheiten oder Darmkrankheiten haben“, so Fofana.
       
       Derzeit sinken die Temperaturen in den Lagern fast auf den Gefrierpunkt.
       Ein geschwächtes Immunsystem und ständige Unterernährung hat kürzlich einen
       engen Freund von Fofana das Leben gekostet. Mohamed Kargbo hatte aus Angst
       vor einer Räumung unter einem Olivenbaum im Freien übernachtet und sich
       eine schwere Grippe zugezogen.
       
       Wegen Fieberschüben und Schwindel ließ er sich von einem Schmuggler in das
       300 Kilometer entfernte Tunis fahren. „Doch in der von Freunden
       angemieteten Wohnung starb er an Schwäche“, sagt Ibrahima Fofana.
       
       ## In den Bergen an der Grenze liegt Schnee
       
       Sollten Tunesiens Behörden die Schulferien tatsächlich dazu nutzen, die
       Migranten in der Wüste an der algerischen Grenze auszusetzen, dürfte es zu
       vielen Toten kommen. In Ain Draham und anderen tunesischen Grenzorten liegt
       Schnee. Schmugglerringe entführen in dem unwirtlichen Grenzgebiet
       Ausgesetzte und erpressen von Angehörigen Lösegeld.
       
       Fofana ist vor allem über die Tatenlosigkeit von [5][UNHCR] und [6][IOM]
       empört. Er zeigt einen Schuhkarton mit Medikamenten: der gesamte Vorrat für
       neun Flüchtlingslager.
       
       „Ich könnte das Leiden vieler Patienten mit Medikamenten lindern, die es
       hier in jeder Apotheke gibt“, sagt er erschöpft. „In vielen
       Flüchtlingslagern in Sudan ist die Lage besser.“
       
       27 Dec 2024
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) [5] https://www.unhcr.org/countries/tunisia
 (DIR) [6] https://mena.iom.int/tunisia
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Mirco Keilberth
       
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