# taz.de -- Nach dem gescheiterten Migrationsgipfel: Tante Ampels Märchenstunde
       
       > Die Bundesregierung behauptet, es gebe neue rechtskonforme Möglichkeiten
       > der Zurückweisung von Flüchtlingen. Ob ihr das nützt, ist fraglich.
       
 (IMG) Bild: Es war einmal eine Fortschrittskoalition. Und wenn sie nicht abgewählt ist, regiert sie noch heute
       
       Berlin taz | [1][Die CDU/CSU hat den Migrationsgipfel platzen lassen.] Ohne
       die EU-rechtswidrige Zurückweisung von Flüchtlingen an der Grenze wollten
       die Unionsparteien nicht weiter mit der Ampel über eine Reduzierung der
       Flüchtlingszahlen verhandeln. Deshalb stellten Innenministerin Nancy Faeser
       (SPD), Justizminister Marco Buschmann (FDP) und Außenministerin Annalena
       Baerbock (Grüne) das Konzept der Ampel-Fraktionen am Dienstagabend allein
       vor.
       
       Nach den Plänen der Regierung werden wie bisher nur diejenigen
       Migrant:innen an der Grenze zurückgewiesen, die keinen Asylantrag
       stellen. Wer einen Asylantrag stellt, kann wie bisher nach Deutschland
       einreisen, damit der EU-Staat festgestellt werden kann, der für das
       Asylverfahren zuständig ist. Das ganze Verfahren bis zur Rücküberstellung
       in den zuständigen EU-Staat soll aber viel, viel schneller abgewickelt
       werden. Deshalb sollen die Flüchtlinge grenznah untergebracht werden,
       teilweise sogar in Haft.
       
       Zunächst das Positive: Die Brandmauer der Ampel zum Hasardeur Friedrich
       Merz hat gehalten. Die Regierungskoalition will wirklich eine Lösung im
       Rahmen des deutschen Verfassungsrechts und des EU-Rechts finden. In diesen
       verhetzten Zeiten ist das nicht hoch genug einzuschätzen. In solchen
       Momenten könnte man sogar für kurze Zeit das Gefühl haben, dass diese
       Koalition das Vernünftigste ist, was Deutschland derzeit zu bieten hat, und
       hoffentlich noch lange durchhält.
       
       Was die Ampel vorschlägt, ist auch nicht [2][per se falsch]. Aber die
       Dreistigkeit, mit der hier ein neuer effektiver Ansatz behauptet wird, ist
       doch frappierend. Dass sich CDU/CSU verschaukelt fühlen, kann man bei allem
       Unverständnis für deren Ziele durchaus nachvollziehen.
       
       Faesers Taschenspielertrick 
       
       Es fängt schon damit an, dass Faeser von einer „Ausweitung der
       Zurückweisungen“ redet, von neuen „europarechtskonformen, effektiven
       Zurückweisungen“. Was für ein Taschenspielertrick: Es soll das Gleiche
       gemacht werden wie bisher, nur nennt man es nicht mehr „Rücküberstellung“,
       sondern „Zurückweisung“, auch wenn es keine Zurückweisung an der Grenze
       ist. So chaotisiert man die Debatte, bis keiner mehr weiß, wer nun was
       fordert. Ob das der Ampel nützt, ist fraglich.
       
       Unklar ist auch, warum die Feststellung des zuständigen Asylstaats
       ausgerechnet „im grenznahen Raum“ erfolgen soll, wie Minister Buschmann
       sagte. Will man jetzt neue Aufnahmeeinrichtungen und Abschiebehaftanstalten
       an der Grenze bauen, wo bisher keine sind? Was für ein sinnloser Aufwand,
       nur um zu behaupten, die Flüchtlinge blieben grenznah und kämen gar nicht
       richtig ins Land. Eine Beschleunigung wäre das ganz sicher nicht, weil die
       Einrichtungen ja überwiegend erst gebaut werden müssten und die zuständigen
       Bundesländer dazu wohl kaum bereit sind.
       
       Innenministerin Faeser ist da realistischer und erklärte, dass man auch
       abgetrennte Bereiche in bestehenden Erstaufnahme-Einrichtungen nutzen
       könnte. Das ist ehrlich, zeigt aber auch, dass sich kaum etwas ändern wird.
       Außenministerin Baerbock betonte zu Recht, dass man Flüchtlinge nicht
       einfach inhaftieren kann, sondern ein Haftgrund erforderlich ist, etwa die
       Gefahr des Untertauchens. Auch richtig. Die Inhaftierung aller
       Dublin-Flüchtlinge ist damit vom Tisch.
       
       Entscheidender Punkt ist aber, dass die Staaten an den EU-Außengrenzen, die
       nach den Dublin-Regeln fast allein für die Asylverfahren zuständig sind,
       dies nachvollziehbar als höchst ungerecht ansehen. Sie unterlaufen daher
       ihre Pflicht, indem sie ankommende Flüchtlinge oft nicht registrieren und
       weiterreisen lassen und bei der Rücküberstellung nur wenig kooperieren.
       Warum soll das nun plötzlich ganz anders sein, nur weil die Ampel gerade in
       Schwierigkeiten ist?
       
       Innenministerin Faeser verweist auf deutschen Druck durch hochrangige
       Gespräche – so als hätte es solche Gespräche bisher nicht gegeben.
       Außenministerin Baerbock verweist auf eine neue Umverteilung von
       Flüchtlingen im kommenden Gemeinsamen EU-Asylsystem (Geas), die aber erst
       2026 greift und mit 40.000 Personen auch eher symbolisch ist.
       
       ## Pragmatische Lösungen wären effektiver
       
       Die Vorstellung, irgendein Staat der EU-Außengrenzen wollte Deutschland
       dabei helfen, dass es (wie in den Dublin-Regeln vorgesehen) fast gar keine
       Flüchtlinge aufnehmen muss, ist nun wirklich ziemlich abwegig. Vermutlich
       wird sich auch an der Kooperationsbereitschaft der Staaten an der
       EU-Außengrenze wenig ändern.
       
       Solange es kein gerechtes EU-weites Verteilungssystem gibt, wird
       Deutschland nur dann mit solidarischem Verhalten der Staaten an den
       EU-Außengrenzen rechnen können, wenn bilateral eine Lastenteilung
       vereinbart wird. Deutschland könnte etwa Italien zusagen, die Hälfte der
       Flüchtlinge aufzunehmen, für die Italien zuständig ist, wenn Italien
       zuverlässig die andere Hälfte wieder zurücknimmt. Doch von solchen
       radikal-pragmatischen Lösungen ist auch die Ampel leider noch weit
       entfernt.
       
       11 Sep 2024
       
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