# taz.de -- Vor den Wahlen in Österreich: Ein Fünftel darf nicht mitmachen
       
       > 19 Prozent der Menschen im Wahlalter dürfen in Österreich bei der
       > Nationalratswahl nicht abstimmen. Die Politik hat wenig Interesse, das zu
       > ändern.
       
 (IMG) Bild: Wahlen in Österreich: Rund ein Fünftel der Menschen im Wahlalter darf nicht wählen
       
       Wien taz | Am 29. September wählt Österreich, nach fünf Jahren Regierung
       von ÖVP und Grünen, einen neuen Nationalrat. Ein jahrelanger Missstand hat
       sich in dieser Zeit weiter verschärft: Die Zahl der Nicht-Wahlberechtigten
       ist auf einen Rekordwert gestiegen. Mehr als 1,5 Millionen Menschen, rund
       19 Prozent der gesamten Bevölkerung über 16 Jahre, darf [1][mangels
       österreichischer Staatsbürgerschaft] nicht wählen. Fast die Hälfte davon
       lebt seit mindestens 10 Jahren im Land, ein Fünftel gar mindestens 20 Jahre
       lang. Damit ist Österreich das Schlusslicht in der EU.
       
       Ein Missstand, auf den die Nichtregierungsorganisation „SOS Mitmensch“ seit
       elf Jahren mit ihrer [2][„Pass Egal-Wahl“] aufmerksam macht. Ab sofort
       können Menschen in Österreich, ungeachtet ihrer Herkunft, wieder symbolisch
       ihre Stimme für eine der antretenden Parteien abgeben. Abgestimmt werden
       kann in Dutzenden Schulen und auf öffentlichen Plätzen. So soll einerseits
       der Wahlprozess durchgespielt, aber auch auf die zunehmende Kluft zwischen
       Wohnbevölkerung und wahlberechtigter Bevölkerung hingewiesen werden. Fünf
       Tage vor der eigentlichen Nationalratswahl werden die Ergebnisse
       präsentiert.
       
       Ein Grund für die steigende Kluft ist das in Österreich geltende
       Abstammungsprinzip, demnach der Geburtsort der Eltern und nicht jener des
       Kindes über die Staatsbürgerschaft entscheidet. Ebenso wesentlich ist die
       in Österreich besonders niedrige Einbürgerungsrate von knapp 0,7 Prozent.
       Das bedeutet, dass von 1.000 ausländischen Staatsbürgern pro Jahr nur
       sieben die österreichische Staatsbürgerschaft erhalten. In Deutschland
       liegt die Rate mehr als doppelt so hoch bei 1,5 Prozent, im EU-Schnitt bei
       2,1 Prozent.
       
       Tatsächlich sind die Hürden für den österreichischen Pass besonders hoch:
       Neben zehn Jahren Aufenthalt im Land gilt es auch ein regelmäßiges
       Einkommen in beachtlicher Höhe nachzuweisen – 1.380 Euro netto für
       Einzelpersonen, jedoch bereits nach der Bezahlung von Miete und bestimmten
       Fixkosten. Rund 40 Prozent aller in Österreich unselbstständig
       Beschäftigten verdienen weniger als diesen Betrag.
       
       ## In Wien wird 2050 jeder zweite nicht wahlberechtigt sein
       
       Dazu aufwändige Deutschnachweise, das Absolvieren eines schriftlichen
       Integrationstests und Gebühren für den Antrag in vierstelliger Höhe. Weiter
       erschwerend: Österreich akzeptiert bis auf wenige Ausnahmen keine
       Doppelstaatsbürgerschaften. Dabei würden zwei Drittel von jenen ohne
       Interesse an einer Einbürgerung ihre Einstellung ändern, wenn sie ihre alte
       Staatsbürgerschaft behalten könnten – dies zeigt eine Studie der Stadt Wien
       aus dem Jahr 2021.
       
       Bis zum Jahr 2064 werde Österreich nur mehr eine „Zwei-Drittel-Demokratie“
       sein, heißt es von SOS Mitmensch. In Wien sei bereits 2050 jeder Zweite
       nicht wahlberechtigt. Diese Menschen würden „bewusst ignoriert“, heißt es
       von der NGO. Sie fordert das Wahlrecht für alle, die mindestens seit drei
       Jahren ihren Lebensmittelpunkt in Österreich haben.
       
       Doch auch ohne so weit zu gehen, hätte die Politik erheblichen
       Handlungsspielraum: Wenn die Regierung die Einbürgerungsrate auf den
       EU-Schnitt von 2,1 Prozent erhöht, gäbe es mittelfristig eine Stagnation
       oder einen Rückgang der Nicht-Wahlberechtigten, berechnete SOS Mitmensch.
       
       Bisher war dies aber nicht gewollt. Sämtliche Regierungen der letzten Jahre
       hatten kein Interesse, das Einbürgerungsrecht zu liberalisieren. Im
       Gegenteil: Sowohl die [3][rechtsradikale FPÖ], die alle Umfragen anführt
       und auch bei der EU-Wahl auf Platz eins landete, als auch die konservative
       ÖVP leben von der Stimmungsmache gegen Zuzügler.
       
       Doch auch die anderen Parteien gehen ein liberaleres Einbürgerungsrecht
       nicht offen an. Wohl vor allem, weil die Nichtwähler:innen ohnehin
       kurzfristig keine Zielgruppe für sie sind. Diese Menschen aber sind es, die
       am meisten unter den Verschärfungen einer möglichen neuen
       [4][rechts-rechten Regierung] – aus jetziger Sicht die wahrscheinlichste
       künftige Koalitionsvariante – zu leiden haben werden.
       
       Hinweis: In der Originalversion stand, dass „SOS Mitmensch“ seit 14 Jahren
       mit ihrer [5][„Pass Egal-Wahl“] auf die Nicht-Wahlberechtigten aufmerksam
       macht. Die Aktion gibt es aber seit elf Jahren. Wir haben das korrigiert.
       
       2 Sep 2024
       
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