# taz.de -- Historisches Urteil gegen NS-Verbrecher: Die Geschichte irregeleiteter Justiz
       
       > Die Sekretärin des KZ Stutthof darf jetzt laut BGH verurteilt werden. Für
       > den KZ-Kommandanten fanden Richter 1955 vor allem eins: strafmildernde
       > Gründe.
       
 (IMG) Bild: KZ-Prozess Stutthof in Bochum: der Angeklagte Werner Hoppe (auf der Anklagebank) mit seinem Verteidiger Seidenzahn am 07. 11. 1955
       
       Fast 80 Jahre nach Kriegsende ist der Bundesgerichtshof zu einem klaren
       Urteil gekommen. Auch wer wie die heute 99-jährige Irmgard Furchner nur als
       Sekretärin in einem Konzentrationslager tätig war, hat sich der Beihilfe
       zum Massenmord an über 10.000 Menschen schuldig gemacht. [1][Das Urteil]
       zeigt aber auch, wie milde im Vergleich dazu die Justiz in den ersten
       Jahren der Bundesrepublik mit NS-Tätern umgegangen ist.
       
       Ein skandalöses Beispiel unter vielen: Paul Werner Hoppe. Der war der
       Kommandant des KZ Stutthof, dem Furchner damals [2][als Schreibkraft
       zuarbeitete.] Und er kam in den 1950er-Jahren mit einer relativ kurzen
       Haftstrafe davon – mit einer heute unfassbar klingenden Urteilsbegründung.
       
       ## Hoppe erteilte Befehle zur Vergasung
       
       Der 1910 geborene Hoppe war [3][laut Gerichtsunterlagen] bereits im
       November 1932 der NSDAP und im Januar 1933 der SS beigetreten. Ab Mitte der
       1930er war er in unterschiedlichen Positionen auch in Konzentrationslagern
       tätig. 1938 wurde Hoppe zum Stab des Führers der
       „SS-Totenkopf-Verbände-Konzentrationslager“ in Oranienburg versetzt. 1942
       wurde er als SS-Sturmbannführer zum Kommandant des KZ Stutthof und blieb es
       bis Januar 1945, als er die Evakuierung durch einen Todesmarsch begann.
       
       In dieser Zeit wurde Stutthof zum Vernichtungslager ausgebaut. Vor allem
       1944 wurden zehntausende Menschen aus Ungarn oder aus anderen Lagern wie
       etwa Auschwitz hierhin verlegt. Es kam zu einer „rapiden Vergrößerung der
       Häftlingskopfzahl“, wie das Landgericht Bochum 1955 in seinem Urteil gegen
       Hoppe feststellte. „Die Sterblichkeit unter den Häftlingen war um diese
       Zeit besonders gross“, infolge ansteckender Krankheiten wie Ruhr,
       Fleckfieber, Typhus, die sich aufgrund der mangelnden Hygieneeinrichtungen
       leicht ausbreiten konnten.
       
       Im Herbst 1944 wurde eine sogenannte Kleiderentlausungsanlage zur Vergasung
       von Juden genutzt. Die entsprechenden Befehle [4][hatte laut Gericht Hoppe
       erteilt]. „Außer durch Vergasung ist im KL Stutthof mit Billigung des
       Angeklagten Hoppe im Rahmen der von ihm befohlenen Vernichtungsaktion 89
       (Endlösung der Judenfrage) die Tötung jüdischer Häftlinge auch durch
       Erschießungen mittels Genickschusses betrieben worden“, heißt es weiter im
       Urteil.
       
       ## Nur fünf Jahre
       
       Trotz seiner eindeutig belegten Nazi-Karriere wurde Hoppe 1955 in einem
       ersten Prozess vom Landgericht Bochum nur zu einer Haftstrafe von etwas
       mehr als fünf Jahren verurteilt.
       
       Zwar sei „die Massenvernichtung jüdischer Menschen im ‚Dritten Reich‘ (…)
       nach ihrem Ausmaß und Durchführung eine entsetzliche Untat“, schrieben die
       Richter des Landgerichts und kamen zu dem Schluss: „Für alle diejenigen,
       die sich die barbarischen Beweggründe für diese grauenhafte Ausrottung von
       Millionen unschuldiger Menschen zu eigen gemacht und bei der Planung und
       Einleitung an führender Stelle mitgewirkt haben, könnte deshalb nach
       Auffassung des Gerichts keine Strafe zu hoch sein.“ Sie hätten „unter
       Missbrauch ihrer Vorgesetztenstellung zahlreiche Untergebene, die ihrer
       Erziehung und Veranlagung nach an sich jedem Verbrechen fernstehen und
       -standen, in Schuld und Strafe mit hineingezogen.“
       
       Doch genau zu diesem „Kreise der so Irregeleiteten und Verführten gehören
       nach Auffassung des Gerichts auch die Angeklagten“, wie es das Gericht
       formulierte. Ihre Schuld entspringe nicht ihrer eigenen Ideen- und
       Gefühlswelt. „Sie wurzelt vielmehr in einer inneren Entscheidungsschwäche,
       die die Angeklagten daran gehindert hat, sich entsprechend rechtlichem und
       sittlichem Gebot auch fremdem verbrecherischen Willen zu entziehen und
       jeden Beitrag zu dessen Verwirklichung standhaft zu versagen.“
       
       ## Anweisungen von Hoppe „nur weitergegeben worden“
       
       Der „grundlegende Befehl Adolf Hitlers über die ‚Endlösung der Judenfrage‘“
       und die konkrete Anweisung, „die im KL Stutthof befindlichen Juden bis zum
       31. 12. 1944 zu vernichten“, sei von Hoppe eben nur weitergegeben worden.
       Deshalb sah das Gericht von einer lebenslangen Zuchthausstrafe ab.
       
       Selbst Hoppes langjährige Mitgliedschaft in der SS, in der er kurz vor
       Kriegsende noch zum Obersturmbannführer befördert worden war, wertete das
       Gericht als strafmildernd. Dem Angeklagten sei „die Pflicht zu unbedingtem
       Gehorsam in jahrelanger erzieherischer Einwirkung bei der SS, bei der
       absolute Befehlstreue bekanntermaßen als oberstes Gebot galt, immer wieder
       eingeimpft worden“.
       
       Für Hoppe und einen weiteren Angeklagten spreche auch, so hieß es weiter im
       Urteil, dass sie „bisher gerichtlich nicht bestraft und offensichtlich
       keine verbrecherischen Naturen sind. Vielmehr ist dem Angeklagten Hoppe zu
       bescheinigen, dass er als tapferer Frontoffizier auf den
       Hauptkriegsschauplätzen sich bewährt hat“. Kurz muss man an dieser Stelle
       an [5][die aktuelle Diskussion um die Ergänzung des Traditionserlasses der
       Bundeswehr] denken, der es erlauben sollte, einstige
       [6][Wehrmachtsangehörige als Beispiele für Kriegstüchtigkeit anzuführen].
       
       ## „Von den Judentötungen abgesehen“
       
       Aber zurück ins Jahr 1955. Nicht zuletzt hätte den Angeklagten „von den
       Judentötungen abgesehen – sonst keine konkreten persönlichen Verfehlungen
       und Übergriffe gegenüber Lagerhäftlingen nachgewiesen werden“ können,
       urteilte das Landgericht. Deshalb halte es eine „Zuchthausstrafe von 5
       Jahren und 3 Monaten für die erforderliche, aber auch ausreichende Sühne.“
       
       Zwar wurde das Urteil 1956 vom Bundesgerichtshof aufgehoben. Hoppe wurde
       1957 in einem neuen Verfahren zu neun Jahren Haft verurteilt. Aber schon
       1960 wurde er aus dem Gefängnis entlassen.
       
       Paul Werner Hoppe starb 1974 als Rentner in Bochum. So klar und gerecht das
       neue Urteil des Bundesgerichtshofs ist, kommt es bloß zu spät.
       
       20 Aug 2024
       
       ## LINKS
       
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