# taz.de -- Verdrängung der Drogenszene in Bremen: Platzangst
       
       > Auf dem Hillmannplatz beim Bremer Hauptbahnhof kreuzen sich die
       > Interessen. Anwohnende suchen die Ruhe im Zentrum – die Drogenszene die
       > vor der Polizei.
       
       Bremen. Wer hier morgens mit dem Zug ankommt, stößt gleich vor dem
       Hauptbahnhof auf Menschen in dreckigen Schlafsäcken – und auf erstaunlich
       viel Polizei. Zu Stoßzeiten patrouillieren hier seit einer Weile sogenannte
       Quattro-Streifen: gemischte Teams aus Polizei, Ordnungsdienst,
       Bahn-Sicherheit und Bundespolizei. Eben haben sie mit blauen
       Gummihandschuhen einen Schlafsack auf der nahen Grünfläche gelupft – wie um
       zu sehen, ob die Gestalt darunter noch lebt –, gerade überprüfen sie die
       Getränkedosen einiger junger Männer auf Alkohol. Während hier heute
       allerdings nur Energydrinks zu finden sind, hockt sich gerade mal hundert
       Meter entfernt eine Frau schwer bestimmbaren Alters in einen Hauseingang,
       um „Stein“ zu rauchen: Crack, für das sie nicht mal zehn Minuten vorher an
       der Kaffeeschlange des Bahnhofsbäckers [1][mit brüchiger Stimme geschnorrt]
       hat.
       
       Hier, in Sichtweite des Hauptbahnhofs, liegt der Hillmannplatz, der in
       letzter Zeit zum Gegenstand öffentlicher Debatten über offenen Drogenkonsum
       wurde – der sich auch wegen der Kontrollen am Bahnhof hierhin verlagert
       hat.
       
       Der Platz ist eine ruhige Ecke im doppelten Sinn: Kommt man ums Eck, fallen
       direkt die zahlreichen Bäume und Sitzgelegenheiten auf. Für Autos gibt es
       an einem Ende des Platzes eine Wendeschleife, ansonsten ist es ein
       verkehrsberuhigter Ort, der zum Verweilen einladen könnte. An warmen Tagen
       versprüht er – für Bremer Verhältnisse – fast mediterrane Stimmung,
       zahlreiche Gastronomiebetriebe und zwei Hotels befinden sich in direkter
       Nachbarschaft. Auch das beliebte Kommunalkino City46 liegt am Rande des
       Platzes. Und während sich hier tatsächlich gerade eine Frau mit Rollkoffer
       zum Durchschnaufen auf eine Bank setzt, gibt es eben auch die andere Form
       von „Ruhe“. Die vor der Polizei nämlich.
       
       Drogenkonsumierende und Dealer sind fast immer vor Ort, „die jungen Männer
       lungern herum“, wie manche Anwohner*innen es ausdrücken. Müll und
       rumliegende Spritzen sind auch ein Thema, es gab teils heftige
       Schlägereien. Im Polizeijargon ist der Hillmannplatz ein Ort „mit erhöhter
       Kriminalitätsbelastung“. Vor allem nachts fühlten sich Menschen nicht mehr
       sicher.
       
       Die negativen Nachrichten prägten die Debatten der letzten Monate um den
       „Angstort“ Hillmannplatz, dessen neues Image ihm inzwischen offenbar bis in
       die Pfalz vorauseilt. Das sonst jährlich auf dem Platz stattfindende
       Weinfest im Rahmen der Wein-Sommer-Tour wurde abgesagt. Ein Teil der Winzer
       wollte nicht mehr, weil die Kundschaft zurückgegangen sei. Das liege vor
       allem daran, dass die Kundschaft sich unsicher fühle, berichtet Michael
       Berger, der Veranstalter des aus der Pfalz kommenden Wein-Sommers. Auch mit
       Personalmangel hätten sie zu kämpfen. Eigentlich wollen sie ohnehin gern
       einen zentraleren Ort für ihr Weinfest haben. Man kann den Eindruck
       gewinnen, die gegenwärtige Debatte um den Platz eröffnet da auch eine neue
       Verhandlungsbasis gegenüber der Politik.
       
       ## Das Ringen um den öffentlichen Raum
       
       So oder so: Das Ringen um den öffentlichen Raum kennt jedenfalls mehr
       Parteien als nur Drogenszene und Anwohnende und Geschäftsinhaber. Die
       organisierten im vergangenen Jahr privat einen Sicherheitsdienst. Der
       alteingesessene Wurstbudenbetrieb Kiefert schloss dieses Jahr seinen
       letzten Verkaufsstand zwischen Hauptbahnhof und Hillmannplatz. Gegenüber
       dem Weser Kurier berichteten die Inhaber, dass das an den Zuständen in der
       Bahnhofsgegend gelegen habe. Die offene Drogenszene sowie Schmutz und
       Kriminalität seien zunehmend auch für die Mitarbeitenden zur Belastung
       geworden.
       
       Vergangene Woche debattierte auch die Bremer Bürgerschaft, das
       Landesparlament, über den Platz. Und während seitens der CDU die
       rot-grün-rote Landesregierung beschuldigt wurde, sich das Problem über die
       im Bundesvergleich hohe Aufnahme unbegleiteter minderjähriger Ausländer
       „selbst eingebrockt“ zu haben, hält die Linke das für „gefährlichen
       Populismus“. Und die Grünen ergänzen, man schaffe eben „keine No-go-Areas“
       – und müsse Leute wieder auf den Platz holen, statt die anderen zu
       vertreiben.
       
       Tatsächlich gibt es das auch schon: den sozusagen gewaltfreien Kampf um den
       öffentlichen Raum. „Tatkraft Hillmannplatz“ ist ein Projekt, in dem
       verschiedene Akteur*innen aus Kultur und Politik in den kommenden
       Monaten ein vielfältiges Programm auf dem Platz präsentieren.
       
       Was das heißen soll, wurde den Anrainer*innen vergangene Woche bei
       einem Kennenlerntreffen erklärt. Und hier und da vielleicht auch
       übersteigerte Erwartungen entschärft: Dass Kulturschaffende nicht im
       Alleingang Sicherheits- und Drogenprobleme lösen könnten, erklärte
       „StadtNeudenken“-Organisatorin Susanne von Essen gleich zu Beginn, es gehe
       vor allem darum, den Platz in ein anderes Licht zu rücken. Das meint sie
       nicht nur metaphorisch, sondern auch wortwörtlich: Lichtinstallationen
       spielen eine zentrale Rolle bei der Bespielung. Ansonsten soll es zum
       Beispiel eine Tanzperformance zum Mitmachen geben. Und jenseits von Kunst
       und Kultur auch einen neuen Polizeistützpunkt im Container, den einige in
       der Runde zustimmend nickend begrüßen.
       
       Ebenfalls vor Ort ist Holger Tepe vom angrenzenden Kino City46: „Wir
       möchten den Platz beleben“, sagt er, und zeigen, dass es möglich ist,
       „tatkräftig zu sein“. Und Carl Zillich vom Projektbüro Innenstadt möchte
       „durch gute Erfahrungen Bilder schaffen, die das Image verändern“.
       Kulturveranstaltungen seien sehr wichtig, damit das im Sinne einer
       Schwarmstrategie „von unten“ aus der Bevölkerung heraus geschehe. Und
       vielleicht komme dann ja auch das Weinfest wieder.
       
       Und die Drogenszene? Es lässt sich wohl kaum bestreiten, dass manche den
       „Verdrängten“ nicht unbedingt nachtrauern würden – so hässlich das Wort
       auch klingen mag.
       
       Renate Heitmann von der Shakespeare Company, die den Platz ebenfalls
       [2][kulturell bespielt], hat hingegen eher integrative Vorstellungen: Sie
       fände es gut, wenn sich ein Nebeneinander von Kultur und Szene ergebe.
       Und damit ist sie nicht allein. Houman Hadavi ist Gastronom am Platz und
       hat kein Problem mit Konsumierenden, die hier in der Ecke säßen und ihr
       Ding machen – sehr wohl aber mit den Dealern, die, wie er sagt, aggressiv
       seien und Druck auf Passant*innen und Konsument*innen ausüben.
       Früher habe Hadavi die Drogenkonsumenten mit Resten aus dem Restaurant
       versorgt, aber inzwischen scheint er mit seiner Geduld am Ende.
       
       Was in den Unterhaltungen mit verschiedenen Gesprächspartnern deutlich
       wird: Ja, der Platz ist zurzeit kein angenehmer Ort, vor allem nachts. Über
       das Kulturprogramm freuen sich die meisten deshalb. Aber dass das die
       Probleme des Drogenkonsums und Kriminalität über den Hillmannplatz hinaus
       löst, daran gibt es große Zweifel.
       
       Und was die Probleme nicht des Platzes, sondern der Menschen angeht: Die
       werden durch Verdrängung in vielen Fällen verschärft. Beatrix Meier von der
       ambulanten Suchthilfe Bremen etwa empfindet die Zusammenarbeit der
       verschiedenen Akteur*innen bei der Drogenthematik zwar größtenteils als
       konstruktiv, aber man müsse aufpassen, nicht alles über „Ordnung regeln zu
       wollen“. Die mit den Kontrollen einhergehende Verdrängung in andere Gebiete
       mache ihre Arbeit schwieriger, weil sich die Orte des Konsums ständig
       verlagern. Auch könnte nicht überall ein weitreichendes Angebot vorgehalten
       werden. Es brauche aber niedrigschwellige Angebote in den Stadtteilen, wie
       es sie früher mal gegeben habe.
       
       ## Eine sogenannte Toleranzfläche
       
       Die Pläne für ein schon lange gefordertes zentrales Koordinierungszentrum
       begrüßt sie hingegen. Das soll nicht weit vom Hauptbahnhof entstehen, wo
       sich schon jetzt [3][eine sogenannte Toleranzfläche] zum Drogenkonsum
       befindet. Hier kommen immer wieder auch Streetworker*innen vorbei, die
       viel lieber aber eine feste, betreute 24-Stunden-Anlaufstelle hätten.
       Wolfgang Adlhoch arbeitet bei der [4][ambulanten Drogenhilfe „Comeback“]
       und beschreibt die Dramatik der Situation: „Viele der Konsumenten sind die
       ganze Nacht unterwegs, weil sie Angst haben, im Schlaf ausgeraubt zu
       werden“, sagt er, „und wenn sie dann morgens wieder zu uns kommen, schlafen
       sie erst mal – die sind völlig fertig.“
       
       In das Kontakt- und Beratungszentrum kommen mehr als 100 Leute täglich.
       Allgemein sei Bremen im Bereich der Sucht und Drogenhilfe theoretisch ganz
       gut aufgestellt, findet Adlhoch. Die Angebote seien sehr niedrigschwellig,
       man könne praktisch alles ohne Papiere machen. Wenn es allerdings um
       Wartezeiten und verfügbare Plätze gehe, sehe das schon anders aus. Auch ein
       Problem des Stadtstaats: „Viele Menschen kommen aus Niedersachsen, wollen
       dann hier in eine Notunterkunft. Aber die sind voll, und Bremen will nicht
       dafür bezahlen, wenn sie herausfinden, dass sie aus Niedersachsen kommen.“
       Auch auf einen Entgiftungstermin könne man schon mal zweieinhalb Monate
       warten.
       
       Und neue Drogen auf dem Markt verschlimmern die Situation. Crack und
       Fentanyl sind ein anderes Kaliber als selbst schwerer Alkoholmissbrauch
       oder Heroinkonsum. In Bremen sind die Substanzen noch verhältnismäßig neu.
       Es gibt viel Wettbewerb, günstige Preise und viel Druck unter den Dealern.
       Das Angebot ist groß.
       
       Und es fehlen die Erfahrungswerte in der Szene: Eine kleine Dosis Fentanyl
       ist um ein vielfaches stärker als eine viel größere Menge Heroin. Diese
       Entwicklung macht auch alteingesessenen Profis in den Beratungsstrukturen
       Angst. In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Zahl der Toten in
       Deutschland im Zusammenhang mit dem Konsum illegaler Drogen mehr als
       verdoppelt, auf fast 2.227. In Bremen waren es im vergangen Jahr 27.
       
       Wolfgang Adlhoch sagt, die Szene der Konsument*innen und Dealer ist
       anders und viel größer als noch vor einigen Jahren. Die Toleranz nehme auch
       in einer Stadt wie Bremen ab, deren liberales Bürgertum die Nöte der
       Konsumenten oft wahrgenommen und auch verstanden habe. Die Vertreibung am
       Hauptbahnhof sei kaum auf gesellschaftlichen Widerstand getroffen.
       
       Die eine Lösung für ein so umfassendes gesellschaftliches Problem kann kein
       Akteur liefern, schon gar nicht allein. Das gilt auch für den
       Hillmannplatz. Die Kulturveranstaltung und mehr Polizeipräsenz werden
       vielleicht zu einer Aufwertung des Platzes führen. Aber die Folgen sind
       schon jetzt am anderen Ende der Stadt zu sehen. Ein neuer dezentraler
       Container für Menschen in prekären Lebenslagen auf der anderen Weserseite
       war von dem örtlichen Beirat sogar unterstützt worden: In der Neustadt mit
       größtenteils links-grünen Wähler*innen gehört es für viele Menschen zum
       Selbstverständnis, Notleidenden zu helfen. SPD, Grüne und Linke kamen hier
       bei der letzten Wahl auf zwei Drittel aller Stimmen.
       
       Aber auch dort werden inzwischen die Beschwerden lauter über Müll auf
       Spielplätzen, Crackpfeifen auf Parkbänken und herumliegende Spritzen.
       
       27 Aug 2024
       
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