# taz.de -- Gedenken vor der Bordellgasse: Schwelle des Anstoßes
       
       > Vor der Hamburger Herbertstraße ist eine Art Stolperstein für
       > Sexarbeiterinnen verlegt worden. Dafür hagelt es Kritik. Künstler sieht
       > sich plagiiert.
       
 (IMG) Bild: Stolperschwelle oder nicht? Messingplatte vor dem Eingang der Herbertstraße auf St. Pauli
       
       Hamburg taz | In Hamburg St. Pauli gibt es Streit über eine Messingschwelle
       vor der legendären Herbertstraße. Eine örtliche Initiative ließ die Leiste
       mit Unterstützung des Bezirksamtes Mitte vor der Bordellgasse in einen
       Kantstein ein. Die Schwelle soll an das Schicksal der Sexarbeiterinnen in
       der Zeit des Nationalsozialismus erinnern und ist an die Stolpersteine
       angelehnt, die der Künstler Gunter Demnig seit mehr als 30 Jahren in
       Deutschland verlegt.
       
       Gegen die Enthüllung des „Messing-Kantsteins“, wie ihn der Verein
       Lebendiges Kulturerbe St. Pauli nennt, haben sieben Organisationen und gut
       30 Einzelpersonen Ende vergangener Woche einen Offenen Brief verschickt.
       Darin begrüßen sie es zwar grundsätzlich, dass an die Situation der
       Prostituierten im Nationalsozialismus erinnert wird. Allerdings sei das
       Projekt übers Knie gebrochen worden und entsprechend „oberflächlich und
       plakativ“.
       
       Weil der Messingkantstein mehr oder weniger so aussieht wie die
       Stolperschwellen, die Gunter Demnig seit einiger Zeit zusätzlich zu seinen
       Stolpersteinen verlegt, ist der Künstler wenig erbaut. „Es ist geschmacklos
       und sehr teuer“, sagt Demnig.
       
       Seine Stolpersteine sind aus Beton, so groß wie kleine Pflastersteine, und
       tragen eine Krone aus Messing, in die von Hand die Lebensdaten von Menschen
       eingeschlagen werden, die von der NS-Diktatur ermordet wurden. In der Regel
       erinnert ein Stein an einen Menschen und wird vor dem Wohnhaus des
       Ermordeten verlegt – bis auf Ausnahmen von Demnig selbst, der dafür
       zigtausend Kilometer gereist ist.
       
       ## Stolpersteine und Stolperschwellen verlegt
       
       Neben Tausenden Stolpersteinen hat Demnig an die Hundert Stolperschwellen
       verlegt. Diese seien gedacht für „Orte, an denen Hunderte, vielleicht
       tausende Stolpersteine verlegt werden müssten, aber an denen der Platz
       nicht ausreicht oder die Dimension jede Vorstellungskraft sprengen würde“,
       schreibt er.
       
       Diese würden auf gleiche Weise gefertigt wie die [1][Stolpersteine, weil
       der Herstellungsprozess zur Würdigung der Opfer gehört]. Ganz anders die
       Schwelle vor der Herbertstraße. Das sei eine Fabrikarbeit mit eingefräster
       Inschrift – also quasi seelenlos. „Gegen Plagiate bin ich in Deutschland
       eigentlich geschützt“, sagt Demnig. Bei den Schwellen ist er sich nicht so
       sicher.
       
       Der Text, der auf dem Kantstein eingraviert ist, lautet: „Entrechtet,
       ausgegrenzt, ermordet – 1939-1945 – Im Gedenken an die Frauen in der
       Herbertstraße und anderswo.“ Er ist versehen mit einem QR-Code, der die
       Website von Lebendiges Kulturerbe St. Pauli verlinkt, wo in Zukunft
       Informationen zum Schicksal der Frauen aus der Herbertstraße zu finden sein
       sollen.
       
       ## Herbertstraße zieht Tausende Touristen an
       
       Die Herbertstraße zieht jährlich Tausende Touristen an. Sie steht wohl wie
       keine andere Straße in Deutschland für das Phänomen Prostitution – nicht
       nur, weil dort halbnackte Frauen in Schaufenstern sitzen, sondern auch,
       weil ihre Eingänge durch Sichtschutzwände verdeckt sind. Der Zugang ist auf
       diese Weise niedrigschwellig – schließlich handelt es sich um eine
       öffentliche Straße – und auch wieder nicht. Für nicht im Gewerbe tätige
       Frauen ist sie praktisch tabu.
       
       Die Sichtschutzwände sind 1933 unter den Nazis von der damaligen Gauleitung
       errichtet worden – motiviert von „Doppelmoral und Propaganda“, wie es im
       Bewilligungsantrag der Bezirksversammlung formuliert ist. Die Herbertstraße
       sei zum Symbol für die sogenannte Sünde und Schande für die
       Volksgemeinschaft erklärt worden.
       
       „Für viele Frauen endete die behördliche Zuordnung hinter den Sichtblenden
       mit dem Tod – im KZ Neuengamme oder KZ Ravensbrück, an den Folgen einer
       Zwangssterilisierung oder aus Verzweiflung durch die eigene Hand“, schreibt
       Lebendiges Kulturerbe St. Pauli. Der Messing-Kantstein sei ein Stein des
       Anstoßes, um dieses Thema sichtbar zu machen, sagt Julia Staron vom
       Vorstand des [2][Lebendigen Kulturerbes].
       
       Sieghard Wilms, Pastor der St.-Pauli-Kirche, der die Initiative angestoßen
       hat, wehrt sich gegen den Vorwurf eines Plagiats. „Wir haben die Kriterien
       der Aktion von Demnig überprüft“, sagt Wilms. Die Initiative habe nie von
       [3][Stolpersteinen] gesprochen, sondern bewusst einen anderen Namen
       gewählt. Ähnliche Leisten, nicht von Demnig, seien auch andernorts zu
       finden. Die Initiative habe einen ganz anderen Ansatz als Demnig. „Es ist
       kein Stolperstein, weil wir dem Forschungsstand, den ein Stolperstein
       fordert, nicht gerecht werden“, sagt Staron.
       
       Gerade den ungenügenden Forschungsstand findet die Historikerin Frauke
       Steinhäuser, Mitunterzeichnerin des Offenen Briefes, problematisch. Es sei
       eben nicht gesichert, dass Frauen aus der Herbertstraße ermordet worden
       seien, wie es auf dem Messingbordstein heißt. Es sei unglücklich, sie nur
       auf die Jahre 1933 bis 1945 zu beziehen, schließlich seien
       [4][Prostituierte auch davor und danach ausgegrenzt] worden.
       
       ## Nicht nur von Sexarbeiterinnen sprechen
       
       Lediglich von Sexarbeiterinnen zu sprechen, sei falsch. „Es waren nicht nur
       Frauen da“, sagt Steinhäuser. „Mindestens eine Person war nonbinär.“ Nicht
       beleuchtet werde im Übrigen, was eigentlich die Frauen zu dem Thema zu
       sagen hätten, die heute dort arbeiteten.
       
       Ruby Rebelde, eine Unterzeichnerin des Offenen Briefes, [5][selbst
       Sexarbeiter*in], zeigt sich irritiert über Ort und Format des
       Kantsteins. Die Herbertstraße sei im NS kein frei gewählter Aufenthaltsort
       sexarbeitender Menschen gewesen, sondern ist ein Beispiel für deren
       Kasernierung nicht nur im NS. Vielleicht gäbe es in Hamburg geeignetere
       ehemalige Bordellstraßen für ein Gedenken. „Ich sehe vor meinem inneren
       Auge schon Körperflüssigkeiten den Messingbordstein herabrinnen und muss
       gestehen, dass mich das angesichts des ernsten Themas befremdet“, schreibt
       sie.
       
       Staron zeigt sich „entsetzt und erbost“ über die aus ihrer Sicht
       ungewöhnlich persönliche Kritik an ihrer Initiative. Den Vorwurf, nicht
       kommuniziert zu haben, weist sie zurück. Auf der Messingschwelle würden nur
       Frauen genannt und nicht Personen, weil sonst die Frauen unsichtbar gemacht
       worden wären. Würde auf der Leiste auch die Zeit vor und nach dem NS
       genannt, so bliebe sie mitten auf dem Kiez nicht lange liegen.
       
       Die größte Sorge hat sie angesichts der Herausforderung von rechts. „Ich
       bin entsetzt, dass eine gute Sache in der Art und Weise attackiert wird in
       der heutigen Zeit“, sagt Staron. Dabei gebe es gemeinsam so viel wichtigere
       Kämpfe zu bestehen.
       
       In einer früheren Version des Artikels hieß es über Ruby Rebelde, dass sich
       sich als Sexarbeiterin bezeichne. Sie [6][ist jedoch Sexarbeiter*in].
       
       12 Aug 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Stolperstein-fuer-Berufsverbrecher/!5935561
 (DIR) [2] https://kulturerbesanktpauli.net/
 (DIR) [3] https://www.stolpersteine.eu/schritte#c405
 (DIR) [4] /Ausstieg-aus-der-Prostitution/!5901287
 (DIR) [5] /Diskriminierung-von-Sexarbeiterinnen/!5899377
 (DIR) [6] /Diskriminierung-von-Sexarbeiterinnen/!5899377
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Gernot Knödler
       
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