# taz.de -- Retrospektive im Tate Modern: Yoko Ono therapiert die Menschheit
       
       > Die Londoner Tate Modern widmet der 91-jährigen Friedenskünstlerin Yoko
       > Ono eine große Retrospektive. Ihre Kunst bohrt sanft unsere Psyche an.
       
 (IMG) Bild: Ohne Körper geht in Yoko Onos Kunst der Interaktion nichts. Ausschnitt aus „Film No. 4 (Bottoms)“ von 1966
       
       Der Mensch wird gern aufgefordert. Das entbindet ihn von der
       Eigeninitiative und resultiert trotzdem meist in einer Erfahrung. Die
       Künstlerin Yoko Ono stammt aus Japan. Das Japanische kennt eine eigene
       Grammatik für das Auffordern: Die „Initiativform“ und die „Suggestivform“,
       markiert durch bestimmte Suffixe, bilden die Absicht ab, das Gegenüber zu
       etwas zu motivieren. „Music of the Mind“, die [1][große Yoko Ono-Werkschau]
       in der Londoner Tate Gallery of Modern Art, ist ein immer dringlicherer,
       immer vertrauter wirkender Aufruf zur Partizipation.
       
       Es geht los mit vorsichtigen Aufforderungen, den sogenannten Instruction
       Pieces: Yoko Onos „Painting to be stepped on“ könnte man fast übersehen.
       Für diese Arbeit aus ihrer ersten Solo-Show 1960/61 klebte sie einen
       Leinwandrest auf den Boden, über den man – bewusst oder unbewusst – mit
       einem großen Schritt hinweggehen, den man aber auch betreten kann. Wie sehr
       man mit Onos Kunst interagiert, ist Ermessenssache. Yoko Ono macht
       Vorschläge, stellt keine Bedingungen. Voraussetzung ist nur, dass der
       Körper involviert wird.
       
       Das „Painting to shake hands“ erfordert bereits aktivere Anteilnahme und
       klare körperliche Interaktion: „Bohre ein Loch in eine Leinwand und stecke
       von hinten deine Hand hindurch. Empfange so deine Gäste. Schüttele Hände
       und wechsle die Hände.“
       
       So füllen sich die Wände der Ausstellungsräume neben den vielen
       Dokumentationen von Straßenkunst, Happenings und Performances mit simplen
       und komplizierteren, ideenreichen und absurden Ansprachen, die Ono mit der
       Schreibmaschine auf kleine Zettel getippt hat: „Bandagiere einen Teil
       deines Körpers. Wenn jemand nachfragt, denke dir eine Geschichte aus und
       erzähle sie“, heißt es im „Conversation piece“. Das „Smoke Piece“ fordert:
       „Rauche alles, was du kannst. Inklusive dein Schamhaar.“
       
       ## Die Künstlerin baut eine Beziehung zwischen sich und den Betrachtenden
       auf
       
       Der/die Besucher:in der äußerlich chronologisch strukturierten, aber
       eigentlich einer emotionalen Annäherung folgenden Show gewöhnt sich beim
       Gang durch die Räume an Onos freundlich-sachlich vorgetragene Bitten und
       ist immer schneller gewillt, ihnen nachzukommen. Die Künstlerin baut so
       eine – temporäre, aber intensive – Beziehung zwischen sich selbst und den
       Betrachtenden auf. Dass der vom [2][traumatisiert-schroffen
       Nachkriegsengland geprägte John Lennon] bei seiner ersten Begegnung mit der
       Kunst der damals bereits erfolgreichen Schöpferin sofort begeistert war,
       leuchtet küchenpsychologisch ein.
       
       Johns traurige Beziehung zu seiner früh verstorbenen Mutter Julia
       inspirierte Ono: Der vorletzte Raum beherbergt einen Teil der Show „My
       mummy is beautiful“, der 1998 in der Münchner Villa Stuck gezeigt wurde und
       aus Farbfotos einer weiblichen Brust und des weiblichen Schritts besteht.
       In der Tate hängen die Brüste und Vulven wie ein riesiges hautfarbenes
       Memoryspiel an der Decke, ähnlich einem Baby beim Stillen schaut man von
       unten auf die Nahrungs-, Lebens- und Geborgenheitsquelle. Subtil und sanft
       bohrt Ono damit die Psyche an und kocht ihre Gäste weich.
       
       Am Ende der Show steht die Einladung, Gedanken an seine Mutter
       aufzuschreiben und an eine Wand zu heften. Diese ist bereits über und über
       mit Zetteln beklebt. Selbst wenn man der Bitte nicht Folge leisten möchte,
       erhascht man beim Vorbeigehen rührende, hilflose, dankbare und in jedem
       Fall hoch emotionale Wünsche und Aussagen. Bei vielen Besucher:innen
       fließen Tränen. Vielleicht hilft die große Künstlerin Yoko Ono mit ihrer
       Kunst, die Menschheit zu therapieren. Nötig hat diese es allemal.
       
       30 Jul 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Yoko-Ono-Ausstellung-in-Frankfurt/!5073074
 (DIR) [2] /Beatles-Studiengang-in-Liverpool/!5816537
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jenni Zylka
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Feminismus
 (DIR) Kunst
 (DIR) Yoko Ono
 (DIR) Performance-KünstlerIn
 (DIR) London
 (DIR) Retrospektive
 (DIR) Social-Auswahl
 (DIR) wochentaz
 (DIR) Experimentelle Musik
 (DIR) Fluxus
 (DIR) Musikerinnen
 (DIR) Yoko Ono
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Yoko Onos Ausstellung „Dream Together“: War is over! If you want it.
       
       Yoko Ono fordert uns immer noch mit Dringlichkeit zum Frieden auf – gerade
       in einer Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie in Berlin.
       
 (DIR) Yoko Onos Fluxus-Musik „Grapefruit“: Den Kopf an die Wand schlagen
       
       „Grapefruit“ gehört zum Fluxus-Frühwerk von Yoko Ono. Jetzt hat das
       schwedisch-britische Great Learning Orchestra die Partituren aufgenommen.
       
 (DIR) Fluxuskünstlerin Alison Knowles: Zum Glück darf man klauen
       
       Erfrischend überschreitet New Yorkerin Alison Knowles die Genres der Künste
       und ist auch sonst nah am Alltag, zeigt ihre Retrospektive in Wiesbaden.
       
 (DIR) Yoko Ono wird 90: Kunstvoll gealtert
       
       Ihr experimentelles Werk ist für viele schwer verdaulich. Doch das hat Yoko
       Ono nie gestört. Bis heute setzt sie sich für Menschenrechte ein.
       
 (DIR) Retrospektive zu Yoko Ono: Gut, dass sie so weit gegangen ist
       
       Yoko Ono stiftete mit ihren Alben eine Verbindung zwischen Pop und
       konzeptueller Kunst. Lange bevor alle anderen darauf kamen – und lauter.
       
 (DIR) Neues Yoko-Ono-Album: Fluxus meets Dada
       
       Die Fluxus-Pionierin Yoko Ono singt auf ihrem neuen Album von der Zukunft.
       Die Schlagzeugerin Yoshimi P-We verzichtet auf große Botschaften, ihre Band
       OOIOO rockt umso mehr.