# taz.de -- Nachfolge von Winfried Kretschmann: Warten auf Cem
       
       > Baden-Württemberg hat noch über ein Jahre bis zur Wahl. Aber in
       > Kretschmanns Koalition rumpelt es. Und alle Fragen: Wann entschließt sich
       > Özdemir?
       
 (IMG) Bild: Enge Vertraute: Winfried Kretschmann und Cem Özdemir bei einer Party in der Landesvertretung Baden-Württembergs in Berlin
       
       Stuttgart taz | „Es liegt ja nicht an mir“, sagt Winfried Kretschmann
       merklich genervt, wenn man ihn fragt, ob er auch gern so smart sein Amt
       übergeben hätte wie jüngst die rheinland-pfälzische Regierungschefin Malu
       Dreyer. Die SPD-Politikerin hatte durch ihren Rücktritt [1][mit gebührendem
       Abstand vor der Wahl ihrem Nachfolger alle Chancen gegeben], mit einem
       Amtsbonus vor die Wähler zu treten.
       
       Kretschmann tritt ebenfalls nicht mehr an, ihm bleibt dieser Schachzug aber
       verbaut. Dank der CDU brauche er sich darüber keine Gedanken zu machen,
       sagt Kretschmann mit vorwurfsvollem Unterton in Richtung Koalitionspartner.
       Und betont: „Obwohl es im Koalitionsvertrag anders vereinbart war.“
       
       Tatsächlich war es das erste Aufmucken der CDU in der sonst so harmonischen
       grün-schwarzen Koalition, als der junge Fraktionschef Manuel Hagel im
       Herbst vergangenen Jahres verkündete, seine Leute würden keinen Nachfolger
       für Kretschmanns vorzeitig ins Amt wählen. Bis dahin hatte sich die CDU
       brav in den vorrangig grünen Koalitionsvertrag gefügt. Europa- und
       Kommunalwahl geben ihr nun weiteres Selbstbewusstsein.
       
       Bei der Europawahl hatte die Union die Grünen in Kretschmannland mit 32
       Prozent um fast 18 Prozentpunkte hinter sich gelassen. Und auch Umfragen
       zur Landespolitik zeigen: Der Kretschmannbonus scheint in der Spätphase
       seiner Amtszeit aufgebraucht. Die Mehrheitsverhältnisse seit der letzten
       Wahl haben sich fast umgekehrt. Damals lagen die Grünen mit 32,6 Prozent
       fast neun Prozentpunkte vor der Union. Wäre demnächst Landtagswahl käme die
       CDU laut Umfragen auf 32 Prozent, die Grünen gerade noch auf 22 Prozent.
       
       Bei diesen Werten stellt sich die Frage, ob sich das laut Süddeutscher
       Zeitung „schlechtgehütetste Geheimnis“ der Grünen noch bewahrheitet.
       Nämlich, dass Cem Özdemir in diesem Herbst – nach der politischen
       Sommerpause und vor der Aufstellung der Wahllisten für den Bundestag –
       seine Kandidatur für Kretschmanns Nachfolge bekannt gibt.
       
       ## Seit Jahren im Gespräch
       
       Der Bundeslandwirtschaftsminister ist seit Jahren als
       Kretschmann-Nachfolger im Gespräch. Der Regierungschef bezeichnet den
       schwäbischen Realo schon mal als seinen engsten Vertrauten im Bund. Aber
       würde Özdemir auch dann zurück ins Land kommen, wenn der allgemeine
       antigrüne Trend anhält und die Gefahr besteht, statt der zweite grüne
       Ministerpräsident eher Oppositionsführer im Stuttgarter Landtag zu werden?
       
       Grüne in Bund und Land beteuern, ein Cem Özdemir würde sich davon nicht
       schrecken lassen. „Der kommt, um zu gewinnen“, heißt es. Und tatsächlich
       hat Özdemir gegenüber jedem anderen Spitzenkandidaten einen wesentlichen
       Vorteil: Den Landwirtschaftsminister, der trotz Protesten stabil zu den
       beliebtesten Politikern im Land gehört, kennt jeder.
       
       Um diese Bekanntheit weiter auszubauen, [2][tourt er seit Monaten auffällig
       oft durch Baden-Württemberg] und lässt sich gern von einem Tross
       Journalisten dabei beobachten, wie er alle Fragen beantwortet außer der
       einen: ob er Nachfolger von Kretschmann werden will.
       
       ## CDU-Chef macht es Grünen schwer
       
       Derweil arbeitet auch der CDU-Fraktionschef Manuel Hagel in Festzelten und
       Podien an seiner Popularität. Seit er Thomas Strobl als Parteivorsitzenden
       beerbt hat, ist seine Kür zum Spitzenkandidaten nur noch Formsache. Der
       35-Jährige hat die traditionell zerstrittene Landes-CDU mit der Hoffnung
       auf einen Machtwechsel geeint. Kretschmann und den Grünen macht er das
       Regieren auf den letzten Metern noch mal schwer.
       
       Gerade erst mussten die Haushaltsverhandlungen in die Verlängerung, weil
       die CDU bei grünen Vorhaben wie der so genannten Mobilitätsgarantie und dem
       Ausbau des [3][einst so umstrittenen Nationalparks Schwarzwald] nicht mehr
       mitziehen will. Hagel wandert inzwischen lieber öffentlichkeitswirksam mit
       FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke als mit dem Grünen Fraktionschef
       Andreas Schwarz und sendet Sympathiebekundungen an die SPD, als sei eine
       „Deutschland-Koalition“ mit diesen Parteien nach der Wahl schon ausgemachte
       Sache.
       
       „Es drohen 15 Monate Wahlkampf“, stöhnen sie bei den Grünen. Die
       Bundestagswahl ist im September 2025, sechs Monate später folgt die
       Landtagswahl im Südwesten. Wer weiß, ob dann die Regierungsbildung in
       Berlin schon abgeschlossen ist.
       
       Und ob die Grünen dabei mitmischen. Das macht es strategisch schwierig.
       Erfolgreich waren die Grünen in Baden-Württemberg immer, wenn sie sich von
       der Bundespartei abgegrenzt haben. Das dürfte in dieser Gemengelage nicht
       so einfach werden.
       
       30 Jul 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Neuer-Ministerpraesident-Schweitzer/!6019524
 (DIR) [2] /Landwirtschaftsminister-Cem-Oezdemir/!5897278
 (DIR) [3] /Naturschutz-im-Schwarzwald/!5066040
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Benno Stieber
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Cem Özdemir
 (DIR) Winfried Kretschmann
 (DIR) Bündnis 90/Die Grünen
 (DIR) Baden-Württemberg
 (DIR) GNS
 (DIR) Cem Özdemir
 (DIR) Ampel-Koalition
 (DIR) Bundestag
 (DIR) Bauern
 (DIR) Winfried Kretschmann
 (DIR) Lesestück Recherche und Reportage
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Nachfolge von Winfried Kretschmann: Özdemir will Ministerpräsident von Baden-Württemberg werden
       
       Lange war es ein offenes Geheimnis, jetzt ist es offiziell:
       Landwirtschaftsminister Cem Özdemir bewirbt sich 2026 als
       Ministerpräsident.
       
 (DIR) Ampel, tritt ab!: Sich ein letztes Mal geil finden
       
       Mit hehren Zielen ist die Koalition in die Legislatur gestartet. Will sie
       ihrem Anspruch noch gerecht werden, sollte sie geschlossen zurücktreten.
       
 (DIR) Entscheidung zu Wahlrechtsreform: Linke freut sich über Teilerfolg
       
       Linke und Union loben das Verfassungsgerichtsurteil zur Wahlrechtsreform.
       Die Ampel-Regierung sieht sich zumindest teilweise bestätigt.
       
 (DIR) Landwirtschaftsminister auf Kuschelkurs: Ein Fähnchen im Wind von rechts
       
       Agrarminister Cem Özdemir hat in zwei Jahren kaum etwas erreicht für
       Umwelt- und Tierschutz. Im Dieselstreit lobbyiert er für Bauern statt fürs
       Klima.
       
 (DIR) Kretschmann zu grünen Fehlern: „Das Hemd näher als der Rock“
       
       Die Grünen stecken im Tief. Baden-Württembergs Ministerpräsident über
       Fehler in der Migrationspolitik – und welche Lehren die Partei ziehen
       sollte.
       
 (DIR) Landwirtschaftsminister Cem Özdemir: Fast ganz oben
       
       Cem Özdemir hat viel erreicht. Er ist Bundesminister – wenn auch nur für
       Landwirtschaft – und wirkt größer als sein Amt. Geht da noch mehr?