# taz.de -- Ampel, tritt ab!: Sich ein letztes Mal geil finden
       
       > Mit hehren Zielen ist die Koalition in die Legislatur gestartet. Will sie
       > ihrem Anspruch noch gerecht werden, sollte sie geschlossen zurücktreten.
       
 (IMG) Bild: Abschiedsfoto für die Ampel? Wäre besser als nichts
       
       Am Tag der Deutschen Einheit ist Deutschland uneins. Die Ampelregierung ist
       wie Joe Biden: schnell alt geworden. Das Aufbruchsgefühl [1][mit Selfie von
       2021] ist längst verflogen. Und bevor jetzt gleich alle schreien: „Das kann
       man doch nicht vergleichen!“, doch, kann man. Denn noch eins hat das
       Ampeltrio Scholz, Habeck und Lindner mit dem Nochpräsidenten Biden
       gemeinsam: Nur mit ihrem Rücktritt können sie noch gestalten. [2][Biden hat
       diese Weisheit – wenn auch widerwillig – bewiesen]. Das Ampeltrio sollte
       das auch.
       
       Aktuell behakeln sich SPD, Grüne und FDP, wo immer es geht. Jeder scheint
       nur darauf zu warten, dass ein Koalitionspartner hinschmeißt. Die Grünen
       haben gerade ihre Ambitionen für die Legislaturperiode mit dem
       [3][Rücktritt der Parteiführung über Bord geworfen und drehen auf
       Wahlkampfkurs]. Scholz stimmt einem Bürger zu, der die Ampel als
       Kindergarten bezeichnet. Und Lindner und die SPD zerlegen sich über die
       Rente. So lange nerven, bis jemand sie rauswirft, das scheint die Devise
       der FDP zu sein.
       
       Denn Lindner selbst will die Ampel offenbar nicht aufkündigen, wohl auch
       wegen seiner Erfahrungen aus den Jamaika-Verhandlungen 2017, die er abbrach
       und dafür heftige Kritik einsteckte. Lindner will nicht noch mal der
       Verantwortliche für ein Koalitions-Aus sein. Er ahnt wohl: Wenn jetzt eine
       Partei hinschmeißt, wird ein Hauen und Durchstechen zwischen den
       Ampelparteien beginnen: Wer ließ die Regierung platzen? Wer forderte
       Unrealistisches? Wer ließ es an Regierungsverantwortung mangeln? Die Ampel
       würde sich nach ihrem Scheitern gegenseitig abwärts zerren. AfD, BSW und
       Union müssten nur wenig nachtreten und würden massiv profitieren.
       
       Da wäre es noch besser, die Ampel rettete sich streitend über den Rest
       ihrer Regierungszeit. Doch auch das wäre wohl gefundenes Fressen für CDU,
       AfD und BSW. Bleibt ein letzter Weg: Loslassen und das eigene Scheitern
       eingestehen. Es braucht einen finalen gemeinschaftlichen Moment. Lindner,
       Scholz und Habeck müssen sich öffentlich eingestehen: Wir haben es nicht
       geschafft. Meinetwegen auch noch einmal mit Selfie.
       
       ## Neuer Schwung
       
       Das wäre risikoreich. Es könnte passieren, dass die übrigen Parteien noch
       mehr auf der Ampel rumhacken; dass die Bevölkerung das Eingeständnis als
       letzten Beweis der Unfähigkeit von SPD, Grünen und FDP sieht. Es wäre aber
       auch mutig und könnte neuen Schwung geben.
       
       Die anderen Wege stärken fast sicher die Reaktionären des BSW und die
       Rechtsextremen der AfD. Ein gemeinsamer Rücktritt hingegen wäre eine
       Chance. Die Parteien würden sich lernbereit zeigen und deutlich machen,
       dass sie den Unmut der Bevölkerung gehört haben; dass sie nicht um der
       Macht willen an ihren Ämtern kleben. Der Rücktritt der Grünen-Spitze und
       die wohlwollenden Reaktionen darauf sind ein Hinweis, dass solch ein
       Schritt vielen auch Respekt abringen könnte.
       
       Ein Nebeneffekt der Neuaufstellung wäre zudem – und ja, auch hier
       vergleiche ich wieder mit den USA –, dass es für AfD und BSW schwerer würde
       durchzudringen. Die Kampagnen von AfD und BSW würden in den Hintergrund
       treten. Das Ringen um Personal und Positionen in der Ampel würde zum
       Topthema.
       
       Klar, neue Gesichter sind nicht alles, Rücktritte noch keine Politik. Es
       braucht auch inhaltliche Neuaufstellungen. Das aktuelle Personal kann das
       jedoch offenkundig nicht mehr leisten. [4][Ricarda Lang und Omid Nouripour]
       haben das verstanden. Nun muss es auch die Regierung verstehen. Nur wenn
       sie gemeinsam mit dem Ampeldesaster abschließen, können SPD, FDP und Grüne
       einen fairen Wahlkampf unter Demokrat*innen führen, der AfD und BSW
       möglichst klein hält. Dass das dann auch passiert, dafür gibt es keine
       Garantie. Es wäre aber immerhin eine Möglichkeit. Würden sie gemeinsam ihr
       Scheitern eingestehen, könnte die Ampel noch einmal Fortschrittskoalition
       sein.
       
       3 Oct 2024
       
       ## LINKS
       
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