# taz.de -- Wahlrecht-Urteil vom Verfassungsgericht: Abspeckkur mit Korrekturbedarf
       
       > Dass im Bundestag künftig rund einhundert Abgeordnete weniger sitzen, ist
       > ein großer Verdienst der Ampel. Reformbedarf bleibt beim Wahlrecht
       > dennoch.
       
 (IMG) Bild: Über einhundert Stühle können aussortiert werden, wenn im Bundestag nur noch 630 Abgeordnete sitzen werden
       
       Kaum war das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Wahlrechtsreform
       öffentlich, riefen CSU-Chef Markus Söder und andere Politiker der Union
       lautstark: „Schon wieder eine Klatsche für die Ampel!“ Das aber stimmt nur
       zum Teil – und auch nur zu einem kleinen. Im Kern hat Karlsruhe die Reform,
       die die [1][Ampelfraktionen im März 2023 im Bundestag beschlossen] haben,
       bestätigt. Und das ist gut so.
       
       Damit haben SPD, Grüne und FDP es nach mehr als zehn Jahren folgenloser
       Diskussion endlich geschafft, die Größe des beständig anwachsenden
       Bundestags wirksam zu begrenzen. Und damit gezeigt, dass das Parlament in
       der Lage ist, sich selbst zu reformieren. Das ist ein großes Verdienst. Das
       im Übrigen nur möglich war, weil die CSU derzeit auf der Oppositionsbank
       sitzt. Die Christsozialen haben jahrelang mit der CDU im Schlepptau jede
       Reform blockiert, weil sie von der alten Regelung enorm profitierten.
       
       Gut ist aber auch, dass die Richter*innen in Karlsruhe das neue
       Wahlgesetz der Ampel in einem wichtigen Punkt korrigieren: Die
       [2][Streichung der sogenannten Grundmandatsklausel] bei gleichzeitiger
       Geltung der Fünfprozenthürde erklärten sie für verfassungswidrig; jener
       Klausel also, nach der Parteien auch dann in den Bundestag einziehen, wenn
       sie zwar weniger als fünf Prozent der Stimmen erhalten, aber mindestens
       drei Direktmandate holen. Die Ampelparteien wollten die Klausel
       ursprünglich beibehalten.
       
       Erst eine Woche vor Beschlussfassung im Bundestag wurde sie Hals über Kopf
       gestrichen. Damit schien sich der bis dahin verhältnismäßig faire
       Gesetzentwurf gegen die politische Konkurrenz zu richten. Das ist ein
       berechtigter Vorwurf, zumal das Wahlrecht mit einfacher Mehrheit allein der
       Ampel beschlossen worden war. Die Linke hatte es schließlich nur
       [3][mithilfe ihrer Direktmandate 2021 wieder in den Bundestag] geschafft,
       auch für die CSU, die bundesweit gerechnet knapp über fünf Prozent lag,
       hätte es künftig eng werden können.
       
       ## Fünfprozenthürde sollte gesenkt werden
       
       Für die nächste Bundestagswahl wird nun wohl die Grundmandatsklausel noch
       einmal gelten. Dass sich die Ampel so kurz vor der Wahl an eine Reform der
       Reform macht, ist eher unwahrscheinlich. Danach aber wird dies Aufgabe
       einer neuen Regierung sein. Wünschenswert wäre dabei zweierlei: dass die
       Union, die dieser vermutlich angehören wird, anders als angekündigt nicht
       versucht, die gesamte Reform wieder zu kippen.
       
       Das Wahlrecht darf nicht zum Spielball von Regierungsmehrheiten werden. Und
       zweitens: dass bei der vom Gericht vorgeschriebenen Veränderung nicht die
       Grundmandatsklausel bleibt, sondern die Fünfprozenthürde abgesenkt wird.
       Weniger Stimmen würden verloren gehen, die Repräsentanz im Bundestag würde
       also erhöht. Und die Aussicht, mit Erfolg auch für kleinere Parteien zu
       votieren, könnte ein neuer Anreiz sein, sich an Wahlen überhaupt zu
       beteiligen.
       
       30 Jul 2024
       
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