# taz.de -- Berliner Clubkultur und Nachhaltigkeit: Die Heinzelmännchen der Clubszene
       
       > Das Projekt Clubtopia berät Kulturbetriebe in Sachen Nachhaltigkeit und
       > Klimafreundlichkeit. Ein Besuch im Kreuzberger SO36.
       
 (IMG) Bild: Auch im SO36 gilt: Das Bier muss kalt und die Musik laut sein
       
       Berlin taz | Das verrostete Metallgitter klemmt und knarzt, als Matti
       Zickrow am Dienstagmorgen die Tore des SO36 aufsperrt. Die Sonne prallt auf
       den Asphalt, ihre Strahlen spiegeln sich in der Discokugel über dem
       Eingang. Auf der Kreuzberger Oranienstraße herrscht schon Trubel, während
       der Club allmählich erwacht.
       
       Es ist nicht der klassische Beratertermin, der am Dienstag im SO36
       stattfindet. Die üblicherweise im Anzug auftretenden Berater*innen
       erscheinen in Sneakers mit Flammenmotiv und Jeanswesten. Anstatt steriler
       Büroräume dient das Raucher-Café des Clubs als Beratungsort. Es riecht nach
       kaltem Rauch, die Wände sind mit Antifa-Stickern und Graffiti übersät, ein
       dunkler Raum.
       
       Auf den Barhockern sitzen Mariangela Saracino, Matthias Krümmel und Volker
       Stahl. Saracino ist [1][Koordinatorin des Projekts Clubtopia], Krümmel
       Referent für Klimapolitik beim Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) und
       Volker Stahl freiberuflicher Energieberater. Heute beraten sie Matti
       Zickrow und Daniel Schiller vom SO36, wie die ihren Clubbetrieb
       nachhaltiger und klimafreundlicher gestalten können.
       
       „An einem Wochenende verbraucht ein mittelgroßer Club im Durchschnitt so
       viel Strom wie ein Singlehaushalt im ganzen Jahr“, berichtet Katharina
       Wolf, Projektleiterin bei Clubtopia im Vorfeld der Beratung der taz. Um
       Clubs auf ihrem Weg zu mehr Nachhaltigkeit und Klimafreundlichkeit zu
       unterstützen, bietet Clubtopia kostenlose Energieberatungen an. Entstanden
       ist das Kooperationsprojekt von BUND und dem Verein Clubliebe im Jahr 2019.
       Gefördert wird es von der Senatsumweltverwaltung.
       
       ## Knallen soll es trotzdem
       
       „Nachhaltig heißt ja nicht, dass es nicht knallen soll“, sagt BUND-Referent
       Krümmel: „Das Bier muss kalt und die Musik laut sein.“ Aber wie kalt und
       wie laut, das wollen die Berater*innen genau unter die Lupe nehmen. „Am
       liebsten fangen wir mit den Rechnungen an“, sagt er: Strom, Abfall, Wasser,
       Gas – die Bereiche, die klimatechnisch am wichtigsten sind.
       
       Akribisch wird jedes Gebiet durchgegangen. So auch beim SO36. Der Club hat
       330 Veranstaltungstage jährlich, eine Spielzeit von 2.000 Stunden.
       Mariangela Saracino will wissen, wie es um Lüftung, Heizung und Dämmung
       steht. Wie hoch sind Wasser- und Stromverbrauch? Wird der Müll getrennt
       oder nicht? Ist das Catering vegan oder mit Fleisch? Greift man auf
       Bioreinigungsmittel oder auf Chemiekeulen zurück? Kein Detail wird
       ausgespart. Saracino notiert sich alles fein säuberlich auf einem
       Klemmbrett.
       
       Dann geht’s ans Eingemachte. In Teams schwirren die Berater*innen aus
       und widmen sich den CO2-Hauptverursachern: Lüftung, Heizung, Kühlung,
       Toiletten, Beleuchtung, Soundtechnik. Ein langer dunkler Gang führt zur
       Halle, dem Hauptveranstaltungsraum. Der Geruch von Bier liegt in der Luft,
       Bühnenarbeiter sind fleißig am Werkeln, es wird geschweißt, am Nachmittag
       sollen die Deckenlichter entstaubt werden.
       
       Saracino und Krümmel überprüfen den Stromverbrauch aller Geräte hinter der
       Bar, stecken Thermometer in die Kühlkisten und fotografieren Plaketten ab.
       In der Kühlkammer misst Krümmel 7 Grad. „Da können wir ja gar nicht
       rummosern“, sagt er.
       
       ## Stromfresser Getränkekühlung
       
       SO36-Vorstand Daniel Schiller sieht in der Getränkekühlung jedoch eines der
       größten Einsparpotenziale. „Das Aggregat der Kühlkammer ist schon 30 Jahre
       alt und undicht und verballert total viel Energie. Das Ding ist eigentlich
       tot, aber super teuer, deshalb müssen wir damit auskommen“, sagt Schiller.
       Weil die Kühlung schwierig an- und auszuschalten sei, laufe sie
       ununterbrochen, auch wenn keine Veranstaltungen stattfinden.
       
       Schiller würde gern auf dem Dach eine Photovoltaikanlage installieren und
       die daraus gewonnene Energie für die Getränkekühlung nutzen. Ein solcher
       Wechsel zu einem nachhaltigen Stromanbieter sei der „einfachste und größte
       Schritt“, um CO2 zu reduzieren, erklärt Katharina Wolf. „Wenn der Strom aus
       ausschließlich erneuerbaren Energien kommt, kann man bis zu 80 Prozent CO2
       einsparen.“
       
       Für eine entsprechende Anlage auf dem Dach fehle dem SO36 jedoch das Geld,
       sagt Schiller. Die letzten Förderprogramme, die der Club während der
       Pandemie erhalten habe, seien in neue Klos gesteckt worden. Wegen [2][der
       hohen Lärmemission] habe das SO36 im vergangenen Jahr zudem in einen Anbau
       investiert, der als Schallschutz fungiert. Nun ist das Geld erst einmal
       aus.
       
       Der Kostenfaktor ist eine Hürde auf dem Weg in Richtung Nachhaltigkeit.
       „Häufig muss man aber auch keine großen Investitionen tätigen“, sagt Wolf.
       „Verhaltensänderungen machen extrem viel aus.“ Etwa das Ausschalten der
       Kühlschränke an veranstaltungsfreien Tagen oder die Erhöhung der
       Kühlschranktemperatur um ein Grad. „Allein dadurch werden sechs Prozent
       weniger Strom verbraucht.“
       
       ## Schulungsbedarf auch für die Mitarbeiter*innen
       
       Wolf sagt, vor Ort versuchten sie ja bereits zu erkennen, wo der Club durch
       Verhaltensänderungen direkt Energie einsparen könnte. Und tatsächlich sind
       sich Matti Zickrow und Daniel Schiller dessen bewusst. Sie sehen großen
       Optimierungsbedarf, auch und vor allem im Verhalten der Mitarbeiter*innen.
       
       Ein Bereich, in dem sie geschult werden müssten, sei die Luftzufuhr. „Bei
       einer Lesung mit 50 Leuten braucht man eine andere Luftzufuhr als bei einer
       Veranstaltung mit 500 feiernden, schwitzenden Gästen“, sagt Schiller. Viele
       Mitarbeiter*innen seien damit jedoch nicht vertraut und verbrauchten
       zu viel Energie durch übermäßige Luftzufuhr. Energieberater Volker Stahl
       platziert deshalb neben der Bar ein Messgerät, dass die kommenden zwei
       Wochen die Luftqualität in der Halle messen soll.
       
       Auf den Toiletten werden derweil Wassermassen und Druckverhältnisse
       überprüft. „Drei, zwei, eins …“: Krümmel betätigt den Wasserhahn, darunter
       hält er eine Plastiktüte. Saracino stoppt die Zeit. Das Ergebnis: unter
       sechs Liter pro Minute. „Fantastisch“, sagt Krümmel. Meistens käme bei
       Clubs ein Wert von zwölf Liter pro Minute raus.
       
       Die berühmte Westberliner Kultinstitution ist in Sachen Nachhaltigkeit
       vergleichsweise gut aufgestellt. „Aber wir finden immer was“, sagt Krümmel.
       Saracinos Liste mit Einsparpotenzialen ist nach dem Rundgang dann auch
       lang: Der Club könnte Biomüll trennen, die Händetrockner („Keimschleudern“
       und „Stromfresser“) durch eine andere Marke ersetzen, „die sogar eine
       besser Ökobilanz haben als Papier“, auch könnte das SO36 wasserlose Urinale
       einbauen.
       
       ## Freiwillige Selbstverpflichtung
       
       Dabei hat sich in dem Club seit dem letzten Beratungsbesuch Krümmels vor 13
       Monaten schon einiges getan. Die Lichter wurden auf LED umgestellt, an den
       Heizungen wurden regelbare Thermostate angebracht. Trotzdem ist noch viel
       zu tun. Nachhaltigkeit, heißt es, ist nun mal ein andauernder Prozess.
       
       Nach dem Ende der Besichtigung geht die Arbeit für Clubtopia erst richtig
       los. „Wir berechnen dann die Verbräuche der Geräte und stellen einen
       Energiebericht zusammen, in dem Strom-, Heiz- und Müllkosten detailliert
       aufgelistet werden“, erklärt Wolf.
       
       Anschließend stellen sie den Clubs vor, in welchen Bereichen sie
       CO2-Einsparungspotenziale sehen. „Danach begleiten wir die Clubs weiter und
       verbinden sie bei Bedarf mit Expert*innen aus unserem Netzwerk.“ Nach
       rund einem Jahr wird der Erfolg der Energieberatung ausgewertet. „Der
       Prozess dauert am Ende mehrere Monate bis ein Jahr“, sagt Wolf.
       
       Es ist 13 Uhr, Saracino und Krümmel haben jeden Winkel des Ladens
       inspiziert. Zum krönenden Abschluss unterzeichnet Matti den „Code of
       Conduct“ von Clubtopia, eine freiwillige Selbstverpflichtung für
       Kulturbetriebe, um möglichst klimaschonend zu wirtschaften. Bereits
       unterzeichnet haben den bereits Clubs wie das Schwuz und das Yaam, im
       vergangenen Jahr hat Clubtopia den „Code of Conduct“ für Festivals
       erweitert.
       
       ## Giffey fremdelt mit Clubkultur
       
       „Wir organisieren auch Nachhaltigkeitsworkshops und
       Netzwerkveranstaltungen, um einen Austausch und Wissenstransfer in der
       Szene herzustellen“, berichtet Wolf. Denn viele Clubs haben die gleichen
       Probleme, daher sollten sie sich vernetzen und unterstützen. Seit April
       dieses Jahres [3][kooperieren etwa das SO36 und das Yaam], nachdem der Club
       am Ostbahnhof in finanzielle Schieflage geraten war. Eine Zusammenarbeit,
       die die Berater*innen schätzen.
       
       „Die Clubkultur ist Berlins Tafelsilber“, sagt BUND-Referent Matthias
       Krümmel. Das werde von der Landespolitik längst nicht in ausreichendem Maß
       gewürdigt, auch nicht hinsichtlich der Unterstützung von
       Nachhaltigkeitskonzepten. Nicht zuletzt Wirtschaftssenatorin Franziska
       Giffey (SPD) fremdele bislang mit der Clubkultur.
       
       Die von der Clubcommission [4][im Auftrag der Wirtschaftsverwaltung
       erarbeitete „Nighttime Strategy“] für die Nachtökonomie würdigt Krümmel
       gleichwohl als einen guten ersten Ansatz: „Sie muss aber nachschärfen in
       puncto Nachhaltigkeit.“ Wenn es um die Umsetzung geht, brauche es zudem
       nicht nur Impulse aus der Wirtschaft, sondern auch aus der Kultur.
       
       Krümmel sagt: „Technisch sind alle Lösungen längst da, die Umsetzung ist
       trocken Brot.“ Es geht um Technik und Energie, Wassersparen und
       Mülltrennung. Viele Clubs könnten die Lösungen jedoch nicht umsetzen. Daher
       brauche es Menschen mit Sachverständnis, die das anleiten. Krümmels
       Forderung: Es brauche Förderprogramme für Lehrgänge im Bereich
       Nachhaltigkeit. „Die Clubs sollen nicht nur nachhaltig glitzern, es muss
       auch umgesetzt werden.“
       
       Beim Verlassen des SO36 tanzen die Sonnenstrahlen noch immer in der
       Discokugel über dem Eingang. Immerhin, es glitzert schon mal.
       
       17 Jul 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://clubtopia.de/
 (DIR) [2] /Laermschutz-fuer-Kreuzberger-Club/!5137434
 (DIR) [3] /Das-Yaam-bekommt-Hilfe-aus-Kreuzberg/!6007393
 (DIR) [4] https://www.rbb24.de/panorama/beitrag/2024/06/clubcommission-berlin-nighttime-strategy-nachtleben-clubs.html
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Lilly Schröder
       
       ## TAGS
       
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