# taz.de -- Proteste gegen Netanjahu: Israel brennt für neue Regierung
       
       > In Jerusalem haben sich am Wochenende die größten Demonstrationen seit
       > Kriegsbeginn versammelt. Wie lange kann sich Premier Netanjahu noch
       > halten?
       
 (IMG) Bild: Sie machen der Netanjahu-Regierung Feuer unterm Hintern: Demonstration in Jerusalem in der Nacht zu Montag
       
       Jerusalem taz | Israels Protestbewegung ist zurück: Zehntausende Teilnehmer
       haben am Sonntagabend in der größten Demonstration seit Kriegsbeginn vor
       dem Parlament in Jerusalem Neuwahlen und Verhandlungen mit der Hamas
       gefordert. „Wir stehen einen Schritt vor dem Abgrund“, rief Moshe Radman,
       einer der Organisatoren, von der Rednerbühne. „Wer uns wirklich bedroht,
       sind Ministerpräsident Netanjahu und seine extremistischen Verbündeten. Mit
       ihnen wird es keinen Frieden geben. Mit ihnen werden die Geiseln nicht
       zurückkommen.“ Viele der Anwesenden bauten Zelte auf. Sie planen, für vier
       Tage vor der Knesset zu campieren.
       
       Ein halbes Jahr nach dem Hamasüberfall auf Israel wächst der Druck auf
       Netanjahu. Am Sonntag traf eine israelische Delegation zu Gesprächen über
       die Freilassung der Geiseln im Gegenzug für eine Feuerpause mit der Hamas
       in Kairo ein – nachdem Netanjahu die Vermittler noch in der vergangenen
       Woche zum wiederholten Mal aus Katar zurückgerufen hatte.
       
       Am heutigen Montag soll nun zudem per Videokonferenz ein Treffen zwischen
       der israelischen und der US-Regierung stattfinden, berichtete das
       Nachrichtenportal Axios. Die USA wollen Israel Alternativen zu einem
       Einmarsch in Rafah aufzeigen. Vergangene Woche hatte Netanjahu den Besuch
       einer israelischen Delegation in Washington noch kurzfristig abgesagt,
       nachdem die USA eine Resolution für einen sofortigen Waffenstillstand im
       UN-Sicherheitsrat nicht – wie bisher – durch ihr Veto verhindert hatten.
       
       Der Regierungschef weiß, dass jüngsten Umfragen zufolge noch immer ein
       großer Teil der Israelis militärischen Druck auf die Hamas gutheißt, um
       einen Geiseldeal zu erreichen. Er bekräftigt diesen Grundsatz beinahe
       täglich. Und auch unter den Geiselangehörigen gibt es Familien, die die
       Proteste gegen die Regierung nicht mittragen wollen. Doch die Bilanz des
       Krieges nach einem halben Jahr ist düster. Nur drei Geiseln wurden von der
       Armee befreit. Viele der 134 noch in Gaza Festgehaltenen könnten nicht mehr
       am Leben sein.
       
       ## Kaum erreichbarer Sieg
       
       Der „totale Sieg“, den der Regierungschef seit Monaten ankündigt, scheint
       kaum erreichbar. Einen [1][Einmarsch in Rafah] im südlichen Gazastreifen,
       ohne einen Plan zum Schutz der rund 1,5 Millionen vertriebenen
       Palästinenser dort, haben selbst die engsten Verbündeten Deutschland und
       die USA verurteilt. Die katastrophale Lage der Bevölkerung in Gaza sowie
       die nach Angaben des von der Hamas geleiteten Gesundheitsministeriums mehr
       als 32.000 getöteten Palästinenser haben die anfängliche Unterstützung für
       Israels Vorgehen weltweit zusammenbrechen lassen. Gespräche über
       Perspektiven für eine Nachkriegszeit finden kaum statt.
       
       Oppositionsführer Jair Lapid schloss sich der [2][Forderung nach Neuwahlen]
       bei den Protesten vor der Knesset am Wochenende an: „Jeder
       Knessetabgeordnete, der nicht gegen diese Regierung stimmt, ist
       mitverantwortlich“, sagte er in einer Rede.
       
       Der Regierungschef wies die Kritik zurück und warf den Demonstranten am
       Sonntagabend vor, Neuwahlen würden der Hamas in die Hände spielen.
       Gefährlicher für Netanjahu könnte indes ein interner Streit sein. Nachdem
       die jahrzehntealte Befreiung ultraorthodoxer Juden vom Wehrdienst in der
       Nacht zum Montag auslief, steht die Koalition vor einer Zerreißprobe.
       Zehntausende sogenannte Haredim müssten nun offiziell zur Armee eingezogen
       werden, was Netanjahus strengreligiöse Koalitionspartner von den Parteien
       Schas und Vereinigtes Tora-Judentum kaum mittragen werden.
       
       ## Die israelische Gesellschaft könnte alles verändern
       
       „Netanjahu hat sich abhängig von den Ultraorthodoxen gemacht“, sagt Shuki
       Friedman vom Jerusalemer Thinktank Jewish Peoples Policy Institute. „Wenn
       sie aus der Koalition aussteigen, zerbricht die Regierung.“ Deshalb hätten
       die Ultraorthodoxen in der Vergangenheit viele ihrer politischen Ziele
       erreicht, darunter etwa staatliche Unterstützung für ihr religiöses
       Bildungssystem.
       
       Die israelische Gesellschaft könnte das Ende der Ausnahmeregelung
       fundamental verändern, weil es Zehntausende abgeschottet lebende
       Strengreligiöse in Kontakt mit der Mehrheitsgesellschaft bringen würde.
       Heute machen die Haredim genannten Ultraorthodoxen mehr als 13 Prozent der
       Bevölkerung aus. Zunächst einmal aber könnte auch erst mal nichts
       passieren: Die Anführer der Haredim-Parteien gaben laut Medienberichten zu
       verstehen, vor der anstehenden Sitzungspause der Knesset die Regierung
       nicht zu verlassen.
       
       1 Apr 2024
       
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 (DIR) Felix Wellisch
       
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