# taz.de -- Diskussion über AfD-Verbotsverfahren: „Es müsste wasserdicht sein“
       
       > Ein Verbot der AfD hält Rechtsextremismus-Experte Steffen Kailitz nicht
       > für die beste Lösung. Und warnt vor einem überstürzten Verfahren.
       
 (IMG) Bild: Proteste gegen die AfD unter dem Motto Wir Sind Die Brandmauer, Demokratie verteidigen, 3.2. in Berlin
       
       taz: Herr Kailitz, am Dienstag wird vor dem Oberverwaltungsgericht Münster
       darüber entschieden, ob der Verfassungsschutz die AfD als rechtsextremen
       Verdachtsfall einstufen darf. Glauben Sie, dass das Bundesamt gewinnt? 
       
       Ja, ich rechne fest damit. Ich kenne das Dossier des Verfassungsschutzes
       nicht, aber ich kenne die Äußerungen der AfD, und wenn man die
       zusammenträgt, müsste es wasserdicht sein. Als Sozialwissenschaftler kann
       ich sagen, das frei zugängliche Material reicht für eine solche Einstufung
       vollkommen aus.
       
       Steht die AfD Stand jetzt also nicht auf dem Boden der
       freiheitlich-demokratischen Grundordnung? 
       
       Nein. Äußerungen wie auch Positionierungen der Partei spiegeln ethnischen
       Nationalismus wider, der mit grundlegenden Prinzipien der
       freiheitlich-demokratischen Grundordnung nicht vereinbar ist. Wenn der
       Bundesverfassungsschutz dieses Material dicht vorgelegt hat, kann das
       Gericht eigentlich zu keinem anderen Urteil kommen, als dass die
       Einschätzung gerechtfertigt ist. Und die bisherigen Verfahren gegen die
       Junge Alternative sind auch so ausgegangen.
       
       Was passiert danach? 
       
       Ich gehe fest davon aus, dass nach dem Urteil im Laufe dieses Jahres die
       Hochstufung als gesichert rechtsextremistisch erfolgen wird. Das heißt aber
       nicht, dass die AfD erst jetzt plötzlich rechtsextrem geworden ist. Es gab
       ja beim Verfassungsschutz die Problematik Hans-Georg Maaßen, der lange ein
       Bremsklotz bei der Einschätzung der AfD war. Er ließ immer klarer
       Sympathien in diese Richtung erkennen – das ist meines Erachtens nicht gut
       genug aufgeklärt.
       
       Der Verfassungsschutz soll eigentlich ein Frühwarnsystem sein. Er ist hier
       allerdings reichlich spät dran, oder? 
       
       Das sehe ich auch so, aber Aktivismus des Verfassungsschutzes ist auch
       nicht wünschenswert. Er kann nicht einfach auf Verdacht agieren – eine
       Einstufung hat ja gravierende Folgen für eine Bewegung oder Partei. In der
       AfD wird es vor allem für die nicht ganz wenigen Mitglieder im
       Staatsdienst, also Beamte und Angestellte im öffentlichen Dienst,
       problematisch, weil sie einen Treueeid geleistet haben. Vor allem muss eine
       Einstufung gerichtsfest sein, weswegen ich die Vorsicht beim Thema
       verstehen kann: Wenn ein Gericht sagt – nee, das Material reicht nicht aus,
       wäre das natürlich eine PR-Feier für eine rechtsextremistische Partei wie
       die AfD.
       
       Nach der [1][Correctiv-Recherche zum Geheimtreffen], wo rechtsextreme Pläne
       diskutiert wurden, gingen Millionen Menschen gegen die AfD auf die Straße –
       auch mit der Forderung nach einem AfD-Verbot, gerade hat [2][Bremen auch
       einen Vorstoß im Bundesrat damit begründet]. Sollten die Zuständigen ein
       Verbot schnell auf den Weg bringen? 
       
       Die potenziellen Antragssteller sind nicht gut beraten, überstürzt ein
       Verbotsverfahren einzuleiten ohne gesicherte Erfolgswahrscheinlichkeit. Im
       Moment wäre die Einleitung schlicht verfrüht. Erst einmal braucht es die
       Einstufung der AfD als gesichert rechtsextrem durch den
       Bundesverfassungsschutz. Vorher wäre es nicht ratsam, weil das Scheitern
       und damit ein Propaganda-Coup der AfD ein zu großes Risiko wären.
       
       Wie erfolgversprechend wäre aus Ihrer Einschätzung ein Verbotsverfahren
       gegen die AfD? 
       
       Beim gescheiterten NPD-Verbot war ja das Argument, die Partei ist zwar
       verfassungsfeindlich, aber zu unbedeutend. Das ist bei der AfD anders. Aber
       daraus ergibt sich ein anderes Problem: Wer eine Partei mit teils über 30
       Prozent Zustimmung in diversen Bundesländern verbieten möchte, muss mit
       großen Verwerfungen rechnen. Die AfD ist mittlerweile selbst im Westen
       zweistellig. Das sind ganz andere Rahmenbedingungen als beim
       Verbotsverfahren gegen die NPD. Die damals vom Gericht angelegte
       Potenzialität ist ja auch ein sehr problematisches Kriterium, ich hätte ein
       Verbot im Falle der NPD für rechtfertigbar und notwendig gehalten.
       Natürlich ist es ein extrem massiver Eingriff, aber ich halte ihn als
       Ultima Ratio im Extremfall für richtig.
       
       Was schlagen Sie also vor? 
       
       Damals gab es ja auch den Anstoß des Bundesverfassungsgerichts, eine
       Möglichkeit zu schaffen, rechtsextreme Parteien aus der
       Parteienfinanzierung auszuschließen.
       
       Sie meinen, man sollte der AfD die Gelder streichen? 
       
       Die AfD lebt von staatlichen Geldern. Sie bekommt aufgrund ihres
       Wähleranteils viele Millionen Steuergeld. Wenn der Staat einerseits
       Programme gegen Rechtsextremismus, andererseits eine bald als gesichert
       rechtsextrem eingestufte Partei finanziert, ist das paradox. Das wäre der
       Schritt, den man direkt nach der Einstufung als „gesichert rechtsextrem“
       prüfen sollte: Sind die Voraussetzungen erfüllt, kann man der AfD die
       staatliche Parteienfinanzierung entziehen? Das würde sie massiv schwächen.
       
       Wäre das in der Begründung ähnlich schwer oder leichter als ein Verbot? 
       
       Es ist von den Grundkriterien schon ähnlich schwer. Auch in diesem
       Verfahren gibt es Unwägbarkeiten. Aber wenn man schon initiativ werden
       will, wofür ich volles Verständnis habe, würde ich aus zwei Gründen dazu
       raten, bei der Streichung von Geldern anzufangen: Erstens ist das Verfahren
       deutlich kürzer, wie man bei dem Vergleich der Verfahrenslänge in Sachen
       NPD sehen kann. Zweitens wäre der negative Effekt bei einem Scheitern nicht
       annähernd so hoch. Wenn man versucht, die staatliche Parteienfinanzierung
       zu entziehen, ist die propagandistische Ausschlachtbarkeit geringer.
       
       Die Opferinszenierung würde aber auch dadurch Legitimität erhalten. 
       
       Natürlich wird die AfD sich immer als Opfer darstellen, das gehört zu ihrem
       Geschäftsmodell. Aber ein gescheitertes Verbotsverfahren wäre für die AfD
       das ganz große Ding. Beim Verbot ist auch der Druck auf das
       Bundesverfassungsgerichts viel höher, weil es hier eine
       Berufungsmöglichkeit am Europäischen Gerichtshof gibt und hier nochmal
       andere Maßstäbe angelegt werden. Das ist beim Entzug der staatlichen
       Finanzierung auf Zeit bei einer Partei nicht in gleicher Weise der Fall.
       
       Wäre es denkbar, zunächst die Finanzierung zu streichen und dann ein
       Parteiverbot anzugehen? 
       
       Genau das wäre meine Politikempfehlung als Außenstehender. Man sollte das
       künftig als Stufenmodell handhaben. Die Streichung der Gelder ist eine
       gelbe Karte. Die Finanzierung würde auf Zeit entzogen und nach einer Zeit
       wieder überprüft. Wenn man sich dann nicht gemäßigt hat, wird das
       Verbotsverfahren eingeleitet.
       
       Seit wann ist die AfD aus Ihrer Sicht rechtsextrem? 
       
       In der Sozialwissenschaft spricht man spätestens seit 2016 und 2017 von
       einer im Kern rechtsextremistische Partei. Auch davor war die AfD nicht
       bloß rechtspopulistisch – die Rede vom gemäßigten Flügel war immer falsch.
       Auch Akteure wie Frauke Petry und Jörg Meuthen waren radikale
       Rechtspopulisten, die allerdings eine bestimmte Schwelle, anders als Höcke
       und seine Gefolgschaft, nicht überschritten haben. Danach war sicher eine
       Differenzierung zwischen Flügel und Nichtflügel sinnvoll, aber bei der
       Gesamtausrichtung der Partei war spätestens 2017 ganz klar, dass sie im
       rechtsextremistischen Fahrwasser ist.
       
       Wo gibt es Parallelen, wo Differenzen zur NPD? 
       
       Wenn man nur Björn Höcke und sein Buch zugrunde legen würde, findet man
       NPD-Positionen in Reinkultur. Aber das trifft nicht auf alle Funktionäre
       zu: Zum Beispiel hatte Alice Weidel keine groß anderen Positionen als die
       radikalen Rechtspopulisten Jörg Meuthen oder Frauke Petry. Sie hat bloß das
       Bündnis gewechselt, nachdem es Spannungen mit Meuthen gab. Wer Höckes Buch
       liest, braucht keine Geheimrecherche. Da wird ganz offen von einem
       Remigrationsprogramm gesprochen, das man nicht ohne „wohltemperierte
       Grausamkeit“ durchführen könne. Da geht es nicht um kriminelle Ausländer,
       sondern um Personen, die zugewandert sind und keine ethnisch-deutsche
       Herkunft haben.
       
       Welche Rolle spielen [3][Verbindungen zu Rechtsextremisten, Identitären und
       Neonazis], die etwa in Bundestagsbüros arbeiten? 
       
       Hier muss man unterscheiden: Die AfD in ihrer gegenwärtigen Form ist Teil
       der Identitären Rechten. Abgrenzungsbeschlüsse zur Identitären Bewegung
       sind vollkommener Unsinn, weil bei beiden die gleiche Positionierung
       vorherrscht. Das ist Augenwischerei. Anders ist es bei Neonazis – da gab es
       bei der NPD starke Verbindungen. Da gibt es einen Unterschied zur AfD, der
       auch bei einem Parteiverbotsverfahren oder einem Verfahren zum Ausschluss
       von der Parteienfinanzierung eine Bedeutung hat. Zur gewaltbereiten
       Neonaziszene hat die AfD im Unterschied zur NPD keine systematische
       Verbindung. Es gibt immer mal wieder Einzelfälle, aber keine systematische
       Durchdringung oder Verflechtung, wie wir sie bei der NPD beobachten
       konnten. Ja, bei der AfD sitzen keine militanten Neonazis wie Thorsten
       Heise im Vorstand.
       
       Aber Thorsten Heise gilt als Freund von Björn Höcke. 
       
       Genau – sie kennen sich persönlich und stehen vor allem politisch nicht
       weit voneinander entfernt. Nichtsdestotrotz: Die Positionierung zu Gewalt –
       nicht zur Zuwanderung – als die Mittel, wie man vorgeht, da gibt es schon
       Unterschiede.
       
       Was würde passieren, wenn die AfD an die Macht käme? 
       
       Ich gehe davon aus, dass das nicht der Fall sein könnte in absehbarer Zeit.
       
       Aber im Ernstfall: Wo würden wir landen, bei einer illiberalen Demokratie
       wie bei Orbán oder gar einem rassistischen Apartheidsstaat? 
       
       Ich würde nicht behaupten, dass ein Nationalsozialismus 2.0 entstehen
       würde. Aber es würde eine Aushöhlung der Demokratie geben. Ebenso Versuche,
       andere Parteien in ihren Rechten und Möglichkeiten stark zu beschneiden,
       wie wir es in Ungarn und Polen gesehen haben. Und mit Blick auf die
       Migrationspolitik würde es sicher auch unter dem Stichwort Remigration ein
       Programm geben. Aber es ist heute schwer zu sagen, welches Ausmaß es hätte.
       Wenn Höcke freie Hand hätte, dann wäre es eindeutig NPD-Linie. Aber es
       bleibt eine gewisse Unwägbarkeit, wie stark andere Kräfte in der AfD sind.
       In jedem Fall wäre es ein rechtsextremes Regime, das versuchen würde,
       möglichst viele Menschen mit nicht ethnisch-deutscher Herkunft mittels
       einer staatlich getragenen Diskriminierung zu verdrängen. Es muss nicht
       zwangsläufig ein Apartheidsstaat sein, aber definitiv würde es eine
       staatlich gestützte Ausgrenzung geben.
       
       Das klingt nach Sellners Vortrag: Ausweisungen, Ausweitung des staatlichen
       Gewaltmonopols, zielgerichtete Gesetze zur Erhöhung des sogenannten
       „Assimilationsdrucks“. 
       
       Ja, natürlich. Die AfD ist Teil dieser Identitären Rechten. Es ist eine
       andere Spielart des Rechtsextremismus, die nicht ganz so hart ist wie die
       Neonazi-Szene oder NPD. Aber das grundlegende Ziel ist auch hier: eine
       homogene Gemeinschaft der Deutschen durchzusetzen. Das ist der gemeinsame
       Nenner.
       
       Was wäre aus Ihrer Sicht politisch der richtige Umgang mit der AfD? 
       
       Ich kann auf jeden Fall sagen, was der falsche Umgang mit der AfD ist: sich
       wie der [4][thüringische CDU-Chef Mario Voigt auf ein gemeinsames
       TV-Fernsehduell mit Höcke einzulassen]. Das finde ich schon extrem
       problematisch, weil es zur Normalisierung nicht nur der
       rechtsextremistischen Partei, sondern auch des Anführers ihrer radikalsten
       Vertreter, beiträgt. Das gibt schon Anlass zur Sorge, dass hier die
       notwendige Distanz durch Voigt nicht eingehalten wird und eine Abgrenzung
       auch nach den Wahlen nicht erfolgt.
       
       Glauben Sie, dass die Brandmauer nach den Landtagswahlen im Osten noch
       Bestand hat? 
       
       Es gibt Unwägbarkeiten zum Beispiel mit Blick auf Mario Voigt, der ein
       Wackelkandidat ist. Aber ich gehe davon aus, dass die Einstufung des
       Verfassungsschutzes als gesichert rechtsextrem noch vor den Landtagswahlen
       kommt. Das wird null Effekt mit Blick auf die Wählerschaft haben, aber für
       die CDU in diesen Ländern schon. Auch wenn Wackelkandidaten wie Voigt dabei
       sind, werden sie danach von der Bundesspitze so einen Druck bekommen, sich
       da auf Distanz zu halten, dass zumindest eine Koalition ausgeschlossen
       wäre.
       
       Aber die Gefahr einer CDU-Minderheitsregierung in Thüringen unter
       Tolerierung der AfD bleibt – damit spielt Voigt ja jetzt schon. 
       
       Das ist eine ernstzunehmende Gefahr. Das ist ein Szenario, das ich im
       Unterschied zu einer CDU-geführten Landesregierung nicht komplett
       ausschließen würde.
       
       11 Mar 2024
       
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 (DIR) [3] /Die-AfD-und-die-Identitaeren/!5955016
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