# taz.de -- Zurück aus der Hauptstadt: Berlin, die Stadt des Mangels
       
       > Endlich ist unser Autor wieder umgeben von Dohlen und Dorfgaragen.
       > Nachdem er sich in Berlin den Rest seines Hasses auf die Stadt abgeholt
       > hat.
       
 (IMG) Bild: Überfluss geht anders: Leere Regale in einem Berliner Supermarkt
       
       Ich bin wieder zu Hause: nicht als schnöde Ortsbestimmung, sondern in
       feuchtwarmer Glückseligkeit gesagt. Ich bin raus aus der Stadt, in der ich
       [1][ein paar Tage zu arbeiten] hatte, und wieder draußen auf dem Land. Just
       komme ich aus dem Garten, der zwar noch etwas trist aussieht, wo man aber
       gut sitzen und in die verhältnismäßige Weite bis zur nächsten Hecke gucken
       kann. Und lauschen, zum Beispiel nach dem nervenzehrenden Schaben und
       Klappern hinter dem Zaun, ob es nun von den Dohlen stammt, die irgendwas
       zerhacken – oder ob sich der Nachbar wieder an seiner gemeingefährlichen
       Eigenbau-Solarmaschinerie auf dem Garagendach zu schaffen macht.
       
       Außerdem gibt es hier draußen endlich wieder was zu essen. Und fließendes
       Wasser und halbwegs stabiles Internet mit Glasfaseranschluss. In der
       Hauptstadt war das gestern noch anders. Es mag schon sein, dass das
       Gegenteil die populärere Erzählung ist, aber ich habe Berlin immer als eine
       Stadt des Mangels erlebt.
       
       Zum Teil ist das sicher meiner spartanischen Reiseausrüstung geschuldet,
       unglücklichen Zufällen und mangelndem Metropolen-Knowhow – aber es ist
       schon ein irgendwie bedrückender Dauerzustand, der sich da jedes Mal wieder
       entfaltet zwischen ausgeplünderten Supermärkten, mit Bauzäunen verrammelten
       U-Bahn-Stationen und dem dann eben doch einzigen Späti in der Nähe, dessen
       Betreiber seit Stunden „gleich wieder da“ ist.
       
       ## Leere im Überfluss
       
       Obwohl sich in der Großstadt ganz sicher alles – irgendwo – finden lässt,
       fahre ich unterm Strich doch sehr viel besser in der Peripherie, wo es zwar
       alles nur je einmal gibt, es dafür aber wirklich da ist. Ich glaube auch,
       im Herzen geht das jedem und jeder so, weshalb gerade in Berlin ständig die
       Rede ist vom „besten Soundso-Laden der Stadt“.
       
       Ob nun Gemüsedöner, Currywurst, Brotbackstube: Immer gibt es einen
       künstlich verknappenden Grund, auch für allerbanalsten Kram stundenlang
       durch die Stadt zu gurken. Neulich sollte ich für „legendäres“ Sushi eine
       Fahrzeit auf mich nehmen, mit der ich aus meinem niedersächsischen Domizil
       die Zentren von gleich zwei verschiedenen Großstädten hätte erreichen
       können. Und nicht mal das mache ich gerne.
       
       Psychologisch ist die Sache klar. Menschen richten sich eben in ihren
       Umständen ein, und irgendwann merkt man’s dann nicht mehr. Auch ökonomisch
       lassen sich die montags ausgeplünderten Hauptstadtsupermärkte und immer
       irgendwie kaputten Bahnen erklären. Es ist ja tatsächlich ein ziemlicher
       Akt, so eine Riesenstadt zu versorgen und ihren Kram instand zu halten.
       Wahrscheinlich schlägt sich Berlin sogar noch verhältnismäßig wacker.
       
       Selbst dass beim gerade überstandenen Besuch tatsächlich kein Wasser aus
       der Leitung kam, hat vermutlich gute Gründe und liegt auch nur zum Teil an
       Eigentümer:innen mit zu viel Eigentum, denen im Zweifel ganz egal ist,
       wenn da irgendwo irgendwer irgendwann mal kurz die Miete mindert.
       
       ## Eine extreme Kluft
       
       Also: Es gibt Zwänge, die total einleuchten. Aber die sind mir egal.
       Jedenfalls waren sie mir egal, als ich vorgestern beim verranzten
       Discounter endlich eine zwischendurch mal angetaute Tiefkühlpizza aus dem
       Eis brechen konnte, um dann an der Kasse festzustellen, dass „mit Karte
       heute nicht geht“. Wahrscheinlich ist das auch der Punkt meines Unbehagens:
       diese extreme Kluft zwischen sieben Sorten Milch im Straßencafé am einen
       Ende der Stadt – und einer völlig zerschossenen Grundversorgung am anderen.
       
       Ich erinnere mich noch, wie aufregend ich früher genau das an Berlin fand.
       Als ich noch freiwillig herkam. Einmal bin ich von der Bruchbude meiner
       Neuköllner Gastgeberin (dauerkaputte Heizung, aber ein Mietvertrag von
       1991) zum ein paar Tage vorher eröffneten ersten deutschen Starbucks in den
       Hackeschen Höfen gelaufen: eine ganze Welt auf fünf oder sechs Kilometern,
       in der schwer zu sagen ist, welches Ende der Strecke das ungemütlichere
       war. Heute, wo das für die ganze Stadt gilt, habe ich nur noch wenig Lust,
       das herauszufinden.
       
       22 Mar 2024
       
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