# taz.de -- Deutsche Wirtschaft: Frühlingsgefühle für das Kapital
       
       > Der DAX hat erstmals die Marke von 18.000 Punkten geknackt. Das bringt
       > Politiker in Erklärungsnot, die Steuerentlastungen für Unternehmen
       > fordern.
       
 (IMG) Bild: Läuft beim DAX
       
       Endlich. Es wird Frühling. Die Sonne strahlt, das erste Grün treibt aus,
       die Jacken werden dünner. Diese Woche soll mancherorts noch die
       20-Grad-Marke geknackt werden. Doch nicht nur die Temperaturen steigen.
       Auch beim Kapital machen sich Frühlingsgefühle breit.
       
       Der Deutsche Aktienindex, kurz DAX, in dem die 40 größten deutschen
       Aktiengesellschaften gelistet sind, habe „beflügelt von Zinsfantasien am
       Mittwoch erstmals die psychologisch wichtige Marke von 18.000 Punkten
       übersprungen“, schreibt die Nachrichtenagentur Reuters. Yeah! Da blühen
       Investorenherzen auf. Wer sein Kapital in Aktien von Siemens, SAP,
       Mercedes, Allianz oder Airbus gepackt hat, wird auch diesen Sommer genügend
       passives Einkommen haben, damit die Spritztour im Alfa an die Amalfiküste
       samt Aperol-Sonnenuntergang gesichert ist.
       
       Aber, hey, war da nicht noch etwas? Hieß es nicht, dass es der deutschen
       Wirtschaft gar nicht gut gehe? Vor vier Wochen zitierten die
       Wirtschaftsressorts der Nation noch die neue Prognose der
       Industriestaatenorganisation OECD, die Deutschland für dieses Jahr ein
       [1][Wirtschaftswachstum von nur noch 0,3] Prozent prognostiziert. Das ist
       der zweitschlechteste Wert in diesem Club gleich hinter Argentinien. Dabei
       ist die Wirtschaftsleistung bereits im vergangenen Jahr gesunken.
       
       Warnungen vor einer angeblich drohenden Deindustrialisierung machten in den
       vergangenen Wochen und Monaten die Runde. [2][Deutsche Firmen seien
       international nicht mehr wettbewerbsfähig und müssten entlastet] werden,
       war der Tenor.
       
       ## Neue Agenda 2010
       
       Zuletzt waren Steuersenkungen für die Unternehmen im Gespräch.
       Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) [3][schlug ein
       Sondervermögen vor], um dem deutschen Kapital unter die Arme zu greifen.
       Sein Kollege vom Bundesfinanzministerium, FDP-Chef Christian Lindner,
       findet neue Schulden zwar nicht so cool, brachte dafür aber die
       vollständige [4][Abschaffung des Solidaritätszuschlags] ins Spiel.
       
       Noch einen drauf [5][setzte CDU-Chef Friedrich Merz]. „Unserem Land drohen
       Wohlstandsverluste in einem bisher nicht gekannten Ausmaß“, schrieb er aus
       der Oppositionsbank heraus dem Bundeskanzler einen 12-Punkte-Plan zur
       Rettung der deutschen Wirtschaft. Bei Steuergeschenken für die Wirtschaft
       will Merz es jedoch nicht belassen. In seinem Schreiben versuchte er, dem
       Kanzler eine neue Agenda 2010 schmackhaft zu machen. So sollen nach seinem
       Willen die Sozialabgaben auf 40 Prozent gedeckelt werden und
       Bürgergeldbeziehenden künftig härtere Strafen drohen.
       
       Vielleicht dachte Merz ja, dass die Zeit reif sei für solche Forderungen.
       Schließlich wurde in den vergangenen Wochen oft genug von Deutschland als
       „kranker Mann Europas“ gesprochen und geschrieben – eine Losung, mit der
       Anfang des Jahrtausends die Agenda 2010 ideologisch vorbereitet wurde.
       
       Nur zu dumm, dass der DAX jetzt zu neuen Höhenflügen aufsteigt. Wie passt
       das zusammen mit dem Jammern über die angeblich so prekäre Lage der
       deutschen Unternehmen?
       
       ## Inflation und Konjunkturflaute
       
       Schließlich spiegeln die Aktienkurse das Vertrauen der Anleger*innen in
       die Zukunft der Unternehmen wider. Und die Aussichten können nicht
       sonderlich schlecht sein, wenn der DAX gerade einen Rekord bricht. Im
       Gegenteil. Es läuft offenbar gerade besser als gemeinhin angenommen.
       Autobauer VW zum Beispiel konnte im vergangenen Jahr seinen Gewinn steigern
       – von 15,8 Milliarden Euro im Vorjahr auf 17,9 Milliarden, wie der
       DAX-Konzern am Mittwoch mitteilte.
       
       Die Aktionär*innen wird das freuen. Dafür geraten Steuersenkungsfans in
       Erklärungsnot darüber, ob es tatsächlich an der Zeit für Sozialabbau und
       Entlastungen mit der Gießkanne ist. Auch wenn es dem einen oder anderen
       kleineren oder größeren Unternehmen schlecht gehen mag, trifft es offenbar
       nicht auf alle zu.
       
       Gleichzeitig liegt die derzeitige Konjunkturflaute vielleicht auch [6][eher
       daran, dass die Menschen im Land weiterhin die durch die Inflation]
       gestiegenen Preise spüren. Womöglich brauchen sie ja eher etwas
       Unterstützung als das Kapital. Damit sie zum Beispiel ihren Kindern mal ein
       Eis kaufen können. Das schmeckt bei steigenden Temperaturen nicht nur
       besonders gut. Es soll angeblich auch die Konjunktur ankurbeln.
       
       14 Mar 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.br.de/nachrichten/wirtschaft/oecd-halbiert-wachstumsprognose-fuer-deutschland,U3PgSLW
 (DIR) [2] /Steuerentlastungen-fuer-die-Wirtschaft/!5987263
 (DIR) [3] /Subventionen-fuer-die-Wirtschaft/!5988580
 (DIR) [4] /Streit-um-Solidaritaetszuschlag/!5989150
 (DIR) [5] https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/wirtschaft/union-wirtschaftsprogramm-haseloff-100.html
 (DIR) [6] /Inflation-und-Kaufkraftverlust/!5988976
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Simon Poelchau
       
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