# taz.de -- Pelagos-Schutzgebiet – Heimat der Wale: Fragiles Paradies im Mittelmeer
       
       > Das Pelagos-Gebiet ist die größte Schutzzone im Mittelmeer. Und dennoch:
       > Die Situation für die Wale hier ist dramatisch schlecht. Wie kann das
       > sein?
       
 (IMG) Bild: Das Pelagos Sanctuary ist das größte Meeresschutzgebiet im Mittelmeer. Rund zehn Walarten leben hier
       
       Mittelmeer, Katamaran „Waka“taz | „Fin whales – Finnwale!“, ruft Jorge
       Roda, Skipper der „Vaka“, begeistert über das Deck. Am Horizont zwei
       dunkle, fast schwarze Hügel, die rhythmisch in den Wellen auf- und
       abtauchen. Fünf Sekunden später ist das Spektakel schon wieder vorbei. Die
       größten Bewohner des Mittelmeers ziehen weiter. Weltweit übertrifft nur der
       Blauwal die Länge von bis zu 27 Metern, die der Finnwal erreichen kann. Mit
       einer Geschwindigkeit von bis zu 45 Stundenkilometern können diese
       Bartenwale weit über 100 Kilometer pro Tag zurückzulegen.
       
       Wale im Mittelmeer? Ja, mehrere Tausend Exemplare tummeln sich im Wasser
       zwischen Europa, Afrika und Asien. Zehn Walarten leben dort, darunter
       mehrere Delfinarten wie der Große Tümmler, der Gemeine Delfin oder der
       Rundkopf- und Streifendelfin. Neben dem Finnwal gibt es hier auch Grind-
       und Cuvier-Schnabelwale – und „Moby Dick“, den Pottwal.
       
       Selten werden Orcas oder Zwergwale gesichtet. Nun werden auch Walarten, die
       es bislang häufiger im Mittelmeer gab, seltener – und zwar deutlich.
       Schätzten Wissenschaftler die Finnwal-Population vor wenigen Jahre noch auf
       rund 3.500 Tiere, geht die [1][Internationale Naturschutzunion (IUCN)]
       mittlerweile von weniger als 1.800 Exemplaren aus. Damit gilt der Finnwal
       laut [2][Roter Liste] dort als „stark gefährdet“, ebenso der Pottwal und
       der Grindwal. Einzelne Teilpopulationen der ohnehin seltenen Orcas und
       Grindwale in der Straße von Gibraltar, der Meerenge zwischen dem Mittelmeer
       und dem Atlantik, außerhalb des Pelagos-Schutzgebietes, gelten sogar als
       „vom Aussterben bedroht“. Dort leben noch rund 150 Grindwale. Die Zahl der
       Orcas wird noch auf höchstens 50 geschätzt.
       
       Aktuelle Schätzungen und Untersuchungen zeigen, dass es für Wale im
       Mittelmeer immer schwieriger wird, ihre Population zu halten, erklärt
       Fabian Ritter. Der Meeresbiologe ist Vorsitzender und Forschungsleiter
       seines 1998 gegründeten Vereins „[3][M.E.E.R. e.V.]“. Außerdem ist er Teil
       des Wissenschaftsausschusses der Internationalen Walfang-Kommission (IWC).
       
       Erstes grenzübergreifendes Schutzgebiet im Mittelmeer 
       
       „Grundsätzlich ist es so, dass die Großwale, die im Mittelmeer vorkommen,
       nämlich Finn- und Pottwale, keine gute Zeit haben gerade“, sagt er. Für
       kleine Populationen kann bereits der durch Menschen verursachte Tod
       einzelner Tiere bedrohlich werden. Ist die Zahl der Tiere nämlich nur noch
       sehr klein, fallen diese Fälle stärker ins Gewicht. „Aber das scheinen auch
       deutlich mehr zu sein, als nur ein paar pro Jahr“, sagt Ritter weiter.
       
       Die Entwicklung der Populationen ist alarmierend, wenn auch wenig
       überraschend. Denn die Gefahren für Wale sind bekannt: Schifffahrt,
       Fischerei, Lebensraumzerstörung. Es ist der Mensch, der in den Lebensraum
       der Tiere eindringt, ihnen die Nahrungsgrundlage wegfischt und ihren Tod in
       Kauf nimmt. Kurz: Der Mensch als massive Bedrohung unzähliger Arten im
       Mittelmeer. Dabei wurde dort bereits im Jahr 1999 das 87.500
       Quadratkilometer große Pelagos-Walschutzgebiet eingerichtet. Es ist etwa so
       groß wie Österreich und zieht sich von Korsika entlang der südfranzösischen
       Côte d’Azur über Monaco bis hin nach Ligurien und zur Toskana in Italien –
       über 2.000 Kilometer Küste. Damit ist Pelagos das größte und gleichzeitig
       erste grenzübergreifende Meeresschutzgebiet „Marine Protected Area“ im
       Mittelmeer.
       
       Ein einheitliches Ökosystem ist das Pelagos-Schutzgebiet allerdings nicht.
       Zu verschieden sind seine Biotope und inneren Beschaffenheiten. Zahlreiche
       bedeutende Lebensräume für bedrohte Wal- und Delfinarten überschneiden sich
       teils mit der Schutzzone. „Das Pelagos-Schutzgebiet sollte nicht als
       Schutzgebiet im eigentlichen Sinne betrachtet werden, sondern als das, was
       es tatsächlich ist: ein Abkommensgebiet, in dem Schutz- und
       Verwaltungsmaßnahmen von drei Ländern auf nationaler Ebene durchgeführt
       werden“, heißt es auf der Website des Abkommens.
       
       Frankreich, Monaco und Italien – diese drei Länder haben sich auf dem
       Papier also zum Schutz des Gebietes verpflichtet. Aber was heißt das genau?
       Und wie funktioniert eine länderübergreifende Schutzzone überhaupt? Schon
       1982 hatte die Internationale Walfang-Kommission (IWC) ein Verbot des
       kommerziellen Walfangs verabschiedet, das vier Jahre später in Kraft trat.
       
       Die IWC ist das Gremium, das die Umsetzung des 1946 geschlossenen
       Internationalen Übereinkommens zur Regelung des Walfangs regelt. In den
       drei Ländern Frankreich, Italien und Monaco sind Wale und Delfine außerdem
       seit 1995, 1980 und 1993 durch nationale Gesetze geschützt. Das
       grenzübergreifende Gebiet erfordert eine funktionierende internationale
       Zusammenarbeit. Dafür gibt es drei Hauptinstitutionen: Das Ständige
       Sekretariat (Permanent Secretariat), die Tagung der Vertragsparteien
       (Meeting of the Parties) und den Wissenschaftlich-Technischen Ausschuss
       (Scientific and Technical Committee).
       
       Wenige strikte Verbote, viele freiwillige Maßnahmen 
       
       Die Organisation des Pelagos-Gebietes funktioniert dann folgendermaßen:
       Arbeitsgruppen präsentieren ihre Ergebnisse dem
       Wissenschaftlich-Technischen Ausschuss, der wiederum Handlungsempfehlungen
       an die Vertragsparteien weitergibt. Die Tagung der Vertragsparteien kann
       dann als ausführendes Organ auf den Empfehlungen aufbauende Beschlüsse
       fassen. Jede Vertragspartei ernennt außerdem einen nationalen
       Ansprechpartner, der sich regelmäßig mit dem Sekretariat austauscht.
       „Letztendlich“, hält Pelagos-Koordinatorin Viola Cattani fest, „ist jedes
       Land für die Umsetzung der Resolutionen auf seinem Gebiet verantwortlich.“
       
       Welche Regeln in der Schutzzone gelten, unterscheidet sich deshalb je nach
       Land, zumindest in Teilen. In italienischen Gewässern sind Rennen mit
       Schnellbooten grundsätzlich verboten. In den französischen und
       monegassischen Teilen des Schutzgebiets sind solche Rennen mit einer
       entsprechenden Genehmigung weiterhin möglich. Hier will das Abkommen aber
       künftig eine einheitliche Gesetzgebung erreichen, erklärt Cattani.
       
       In Frankreich soll demnächst ebenfalls ein Verbot beschlossen werden.
       Überall untersagt ist dagegen der Einsatz von [4][Treibnetzen]. Mit der
       äußerst umstrittenen Fangmethode ist kein gezielter Fischfang möglich.
       Unzählige Meeresbewohner sterben als Beifang in den Netzen, die unverankert
       im Meer treiben – oft auch Wale und Delfine. Deshalb hatte die EU
       Treibnetze bereits 2008 in allen ihren Gewässern verboten. Diese Regelung
       existiert also unabhängig vom Pelagos-Gebiet.
       
       „Die Stärke des Abkommens liegt auch in einigen freiwilligen Maßnahmen“,
       sagt Cattani. Schiffe sollten ihre Geschwindigkeit verringern und es gibt
       ein Label für „High Quality Whale Watching“, das ein nachhaltiges Vorgehen
       bei der beliebten Touristenaktivität gewährleisten soll. Mit einer
       Partnerschaftscharta soll die Zusammenarbeit der Kommunen, die an das
       Pelagos-Gebiet angrenzen, untereinander gefördert werden. Aktuell zähle die
       Charta fast 100 Unterzeichnergemeinden.
       
       ## „Nur Schutz auf dem Papier“
       
       Aber liegt in der Freiwilligkeit wirklich eine Stärke? Dass viele Maßnahmen
       im Pelagos-Schutzgebiet nicht verpflichtend sind, überrascht Walexperte
       Ritter nicht. Nur etwa ein Prozent aller weltweit ausgewiesenen
       Meeresschutzgebiete gelten als gut gemanagt, erklärt er. Es fehle an
       strikten Einschränkungen, Kontrollen und Strafen: „Solange es sich bei den
       Maßnahmen um überwiegend freiwillige Empfehlungen handelt, die weder
       kontrolliert werden noch Folgen haben, wenn sie nicht eingehalten werden,
       ist das natürlich alles nur Schutz auf dem Papier“.
       
       Solchen nach außen gerne als Erfolg verkauften Arealen fehle es oft an
       einer nachhaltigen Verwaltung. Man spricht dann von sogenannten „Paper
       Parks“, die auf dem Papier zwar Schutz versprechen, ihr Ziel aber
       verfehlen. Im Pelagos-Schutzgebiet bemängelt der Meeresbiologe genau das.
       „Die Ausweisung ist dann eben geschehen und alle haben 'Juhu’ geschrien,
       aber was kam danach? Was ist dann tatsächlich passiert?“, fragt er.
       
       Überspitzt könnte man sagen: Der Begriff „Walschutzgebiet“ suggeriert einen
       Schutz, der nicht existiert. Ritter betont aber, dass solche Schutzzonen
       durchaus dazu beitragen, auf die Umweltprobleme aufmerksam zu machen, also
       ein Bewusstsein für die Schutzwürdigkeit der Gebiete zu schaffen. Ritter
       erwähnt zudem immer wieder, welchen Einfluss die Fischerei auf die marinen
       Ökosysteme hat.
       
       Für ihn ist es nur eine Frage der Zeit, bis der Fisch von unseren Tellern
       verschwindet, sollte sich nicht grundlegend etwas ändern. Die Fischerei
       einzuschränken, sei das wirksamste Mittel, um die Tiere im Meer zu
       schützen. Trotzdem gibt es im Pelagos-Gebiet (bis auf wenige regionale
       Ausnahmen) kein Fischerei-Verbot. Hinzu kommt: In der Schutzzone liegt der
       größte Militärhafen Frankreichs. Rund um Toulon ist die französische Marine
       omnipräsent, auch internationale Manöver proben die Streitkräfte mitten im
       eigentlichen Schutzgebiet. Die Explosionen und der Unterwasserlärm sind
       neben den riesigen Kriegsschiffen eine weitere Bedrohung für die
       Meeresbewohner.
       
       Das größte Problem sei hier schlicht der fehlende politische Wille,
       Naturschutz über ökonomische – und damit finanzielle – Interessen zu
       stellen, konstatiert Ritter. „Wir säßen hier nicht und würden über diese
       ganzen Problematiken reden, wenn der Naturschutz eine laute Stimme wäre
       oder eine, die oft gehört wird“, sagt er – mit Frust in seiner Stimme.
       
       Dieser Text entstand im Rahmen eines [5][Recherchestipendiums der Okeanos
       Stiftung für das Meer].
       
       6 Mar 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.iucn.org/
 (DIR) [2] /Arlamierende-Zahlen-aus-der-Ostsee/!5717557
 (DIR) [3] https://m-e-e-r.de/
 (DIR) [4] /Schweinswale-vom-Aussterben-bedroht/!5614030
 (DIR) [5] https://okeanos-stiftung.org/recherchestipendium/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Emanuel Arzig
       
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