# taz.de -- Roman über Trauernde: Was nicht zu ertragen ist
       
       > Marlen Pelny erzählt vom Umgang mit trauernden Menschen. In „Warum wir
       > noch hier sind“ begegnet sie dem Thema mit liebevollem Witz.
       
 (IMG) Bild: Grabkerze und Rosen auf einem Grab
       
       Es ist so schwer, den Tod eines nahen Menschen zu begreifen. Und noch
       schwerer, wenn es ein gewaltvoller Tod, ein Mord gewesen ist. „Seit Etty
       tot ist, gibt es zwei Zählzeiten. Wir zählen immer wieder zurück. Zurück zu
       Etty und machen sie uns sichtbar“, mit diesen und vielen anderen Worten
       versucht die Ich-Erzählerin in Marlen Pelnys zweiten Roman den brutalen
       Einschnitt zu fassen, der mit der Vergewaltigung und Ermordung der
       14-jährigen Etty ihre ganze Wahrnehmung in ein Davor und Danach teilt. Und
       wie geht es erst deren Mutter Heide? Sie und die Ich-Erzählerin sind seit
       vielen Jahren enge Freundinnen.
       
       Mit „Warum wir noch hier sind“ legt die 1981 geborene Autorin, Lyrikerin
       und Musikerin die [1][literarische Umkreisung einer Trauer] vor, in der
       neben dem Verlust auch die Brutalität der Tat zu ertragen ist – und eben
       nicht zu ertragen ist. Der Text sucht tastend nach Ausdruck dafür.
       
       „Ich bin voll von Etty, voll davon, zu begreifen, dass sie nicht weg ist,
       sondern nie mehr wiederkommt. […] Voll von Heides Fragen, auf die ich keine
       Antwort weiß. Wieso hat jemand meine Etty ermordet? […] Wer vergewaltigt
       ein Kind? Wer ermordet ein Kind?“
       
       Pelny hat mit der Sicht der engen Freundin eine kluge Erzählperspektive
       gewählt, die so nah an den Gefühlen der Mutter ist, wie es einer nicht
       selbst vom Verlust des eigenen Kindes Betroffenen möglich ist, und dabei
       diese nicht überwindbare Distanz miterzählt.
       
       Es bleibt, für Heide da zu sein. Auch Sophie, eine weitere Freundin, ist
       Teil dieser frei gewählten Familie, die unbedingten Zusammenhalt gewährt.
       Pelny erzählt im Kontrast dazu vom gesellschaftlichen Umgang mit trauernden
       Menschen, denen wenig Zeit zugestanden wird. Von Bekannten, die die
       Straßenseite wechseln. Von einer kalten Bürokratie, die Heide über den Rand
       des Zumutbaren hinaustreibt.
       
       Die Autorin schildert eindrücklich, wie die Trauer sich in den Körper
       einschreibt. Wie sich der Blick auf Berlin, wo die drei leben, verändert,
       sich ihm überall Gefährdungen und Gefährdete offenbaren.
       
       Wichtig für den Aufbau des Romans sind Passagen, in denen die Erzählerin
       die ihr sehr nahe Großmutter besucht. Dieser parallele Erzählstrang
       entlastet im Rahmen der Geschichte die Erzählerin. Zwar muss sie sich auch
       hier mit dem Tod auseinandersetzen („Wieso verfolgt mich dieses Todesthema
       wie ein Kampfhund?“), denn ihre Oma will ausgerechnet jetzt ihre Beerdigung
       gemeinsam mit der Enkelin regeln. Auch dass die alte Frau körperlich
       abbaut, kann die Erzählerin nicht übersehen. Dennoch liegt in den
       Begegnungen ein Trost. Den spüren auch die Lesenden.
       
       ## Fokus auf den Hinterbliebenen
       
       Zumal es Pelny vermag, der Schwere mit einem ganz speziellen, so trockenen
       wie liebevollen Witz zu begegnen. Etwa wenn die Großmutter nicht auf die
       Ratschläge der Enkelin hören will: „Wenn sie einen Sturz provozieren will,
       bitte schön. Es ist nur so ärgerlich, weil sie mich nicht fragt, ob ich,
       wenn sie fallen würde, überhaupt Lust hätte, sie aufzuheben.“
       
       Die Leser*innen wissen längst, wie fraglos sie dies tun würde, denn die
       innige Beziehung der beiden versteht Pelny durch vielerlei kleine
       Situationen und Gesten zu vermitteln.
       
       Marlen Pelny gelingt es in „Warum wir noch hier sind“ auch, anhand einer
       zutiefst persönlichen Erzählung die Perspektive auf die gesellschaftlichen
       Bedingungen der Gewalt gegen Frauen auszuweiten.
       
       Der Roman wendet sich bewusst vom Fokus auf die Täter ab, die in der
       Berichterstattung und [2][angesagten True-Crime-Formaten] so viel
       Aufmerksamkeit erfahren. Pelny leuchtet stattdessen empathisch, manchmal
       wütend aus, [3][was es für die Hinterbliebenen bedeutet], mit und nach
       einer solchen Tat weiterzuleben.
       
       5 Jan 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Buch-von-Daniel-Schreiber-ueber-Trauer/!5974807
 (DIR) [2] /Forscherin-ueber-True-Crime-Formate/!5972502
 (DIR) [3] /Hype-um-Wahre-Verbrechen/!5972495
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Carola Ebeling
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Buch
 (DIR) Literaturkritik
 (DIR) Roman
 (DIR) Trauer
 (DIR) True Crime
 (DIR) Trauer
 (DIR) Roman
 (DIR) Buch
 (DIR) wochentaz
 (DIR) Literatur
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Zwei Bücher über den Tod: Der geteilte Raum des Erzählten
       
       Autorin Eva Schörkhuber und Journalistin Birgit Fuß denken in Büchern über
       Trauer nach. Sie beschäftigt, wie man dafür eine Sprache finden kann.
       
 (DIR) Roman über Islamismus: Grenzen des Verstehens
       
       Ein Vater versucht nachvollziehen, warum seine Tochter Dschihadistin wurde.
       Sherko Fatahs Roman „Der große Wunsch“ ist wie ein Thriller erzählt.
       
 (DIR) Buch von Daniel Schreiber über Trauer: Die Furcht vor dem Schmerz
       
       Daniel Schreiber hat einen neuen Essay vorgelegt. Ausgehend von dem Tod des
       Vaters reflektiert er Trauer, Verlust und das Leben.
       
 (DIR) Buch über Russland nach Putin: Postsowjetische Dämonen
       
       In „Titan oder die Gespenster der Vergangenheit“ erzählt Sergei Lebedew von
       einem Russland nach Putin. Er setzt auf Vergangenheitsbewältigung.
       
 (DIR) Neues Buch von Kate Zambreno: Requiem für ein unscheinbares Leben
       
       Kate Zambreno denkt über ihre Mutter nach, die eine alltägliche
       Vorortexistenz führte. Schreibend tastet sich die Autorin durch die
       Erinnerungen.