# taz.de -- Wiederwahl von Félix Tshisekedi: Kongo am Scheideweg
       
       > Präsident Tshisekedi ist triumphal wiedergewählt, nun will er die DR
       > Kongo endlich gut regieren. Aber er steuert sein Land eher Richtung
       > Abgrund.
       
 (IMG) Bild: Kinshasa, Kongo, 20.12.2023: Felix Tshiskedi (Mitte) nach der Stimmabgabe
       
       Die Zeremonie zur Verkündung des [1][Wahlsiegs von Félix Tshisekedi] war
       kaum zu Ende, da feierten Anhänger des wiedergewählten Präsidenten der
       Demokratischen Republik Kongo bereits auf ihre Weise. In Mbuji-Mayi, größte
       Stadt von Tshisekedis Heimatregion Kasai, ging das Gebäude des wichtigsten
       Oppositionsbündnisses „Ensemble“ in Flammen auf. In der Hauptstadt Kinshasa
       wurde die Zentrale einer Oppositionspartei angegriffen.
       
       Opposition und Pluralismus werden in der DR Kongo einen schweren Stand
       haben in Tshisekedis zweiter Amtszeit. Es bahnt sich ein neuer
       Autoritarismus an, der mangels staatlicher Kapazität mit den
       Gewaltinstrumenten des Populismus agiert. Im vergangenen Jahr sind
       [2][überall im Land regierungstreue „patriotische“ Milizen entstanden], die
       im ostkongolesischen Kriegsgebiet mit der Armee Rebellen bekämpfen und im
       Rest des Landes mit der Polizei Regimegegner einschüchtern. Wenn Tshisekedi
       nun wirklich mit 73 Prozent gewonnen hat, war die regimetreue Gewalt
       erfolgreich. [3][Wenn das Ergebnis gefälscht ist] und die unterlegenen
       Gegner sich von den Institutionen abwenden, öffnet sich die Tür zum
       Bürgerkrieg.
       
       Das geht die ganze Welt etwas an. Die DR Kongo besitzt mehr strategisch
       wichtige Rohstoffe für die globale Energiewende als jedes andere Land der
       Erde und zugleich neben Brasilien und Indonesien einen der drei großen
       tropischen Regenwälder, von deren Bestand das Überleben der Menschheit
       abhängt. Aus den 100 Millionen meist bitterarmen Einwohnern der DR Kongo
       dürften bis 2050 200 Millionen werden; ohne gute Führung steuert das Land
       in eine Katastrophe.
       
       Tshisekedis Partei UDPS (Union für Demokratie und Sozialen Fortschritt)
       sieht sich als genau diese gute Führung, die Kongo nie hatte. Sie entstand
       im Widerstand gegen Militärdiktator Mobutu Sese Seko, der von 1965 bis zu
       seinem Sturz 1997 das von ihm in „Zaire“ umbenannte Land terrorisierte und
       ausplünderte, bis am Ende nur Ruinen übrig waren.
       
       Aber der siegreiche Rebellenführer Laurent-Désiré Kabila und später sein
       Sohn Joseph Kabila grenzten die UDPS aus. Ihr Führer Etienne Tshisekedi
       blieb der ewig verhinderte Volksheld. Dass nach seinem Tod sein Sohn Félix
       Tshisekedi bei den Wahlen 2018 antrat und zum Sieger gekürt wurde, obwohl
       er gar nicht gewonnen hatte, war zwar Wahlbetrug, aber auch historische
       Wiedergutmachung.
       
       ## Aus eigener Kraft gewinnen
       
       Diesmal aber wollte Tshisekedi aus eigener Kraft gewinnen. Seine Anhänger
       verweisen auf progressive Sozialpolitik. Seine Gegner monieren eine
       undurchsichtige Machtstruktur und einen Hang zu Intoleranz und Populismus.
       Viele UDPS-Wortführer sehen sich als einzig wahre Vertreter des Volkes und
       Kritiker als Volksverräter.
       
       Ihre Wurzeln hat die UDPS in der zentralkongolesischen Region Kasai, eine
       der ärmsten des Landes und zugleich mit gigantischem Diamantenreichtum
       gesegnet. Historisch sind viele Kasaier emigriert, entweder in die
       Hauptstadt Kinshasa mit ihren endlosen Slums oder in die südkongolesische
       Bergbauregion Katanga mit ihren endlosen Minen, wo der industrielle Bergbau
       beheimatet ist. Seit Jahrzehnten gibt es Konflikte zwischen Kasai-Migranten
       und Katanga-Einheimischen. Kasai ist politisch und ethnisch homogen, aber
       ausgeblutet und abgehängt. Katanga ist vielfältig und reich, aber sozial
       und ökonomisch extrem polarisiert.
       
       Der Kampf um die Macht in der DR Kongo ist immer auch einer zwischen
       Katanga und Kasai. Katanga stellt das Rückgrat des kongolesischen
       Sicherheitsapparates, auch Kabila stammte aus Katanga. Kasai hat höchstens
       die Kirche – mit Tshisekedi nun aber die alleinige politische Macht in
       Kinshasa. Das ging in seiner ersten Amtszeit gut. Jetzt nicht mehr.
       
       Die beiden historischen Erzfeinde innerhalb Katangas – Expräsident Joseph
       Kabila und Exgouverneur Moïse Katumbi – haben sich früher bitter bekämpft:
       Der erfolgreiche Unternehmer Katumbi wollte den Militärangehörigen Kabila
       als Kongos Präsident beerben, aber Kabila trieb ihn ins Exil. Tshisekedi
       koalierte in seiner ersten Amtszeit erst mit Kabia, dann mit Katumbi. Jetzt
       will er es alleine wissen und treibt damit beide zusammen.
       
       Das Kabila-Lager boykottierte die Wahlen von Anfang an. Kabilas einstiger
       Wahlkommissionsleiter Corneille Nangaa bläst nun aus dem Exil zum
       bewaffneten Kampf im Schulterschluss mit [4][Ostkongos M23-Rebellen].
       Katumbi trat an, wurde mit unglaubwürdigen 18 Prozent abgespeist und
       erkennt das jetzt nicht an. Sein Kurs ist noch nicht klar, aber eine
       Kabila-Katumbi-Koalition, gefolgt von einem Bürgerkrieg zwischen Katangern
       und Kasaiern, wäre für Tshisekedi fatal.
       
       ## Wer Katanga hält, hält Kongo
       
       Einen Verlust der Gewalt über Katanga könnte der Zentralstaat in Kinshasa
       kaum überleben. Wer Katanga hält, hält Kongo. Alle wichtigen Unternehmen
       des Landes sind dort, drei Viertel aller auf Provinzebene erhobenen Steuern
       im Land kommen aus Katanga. Der industrielle Kupfer- und Kobaltbergbau, der
       fast alle Exporteinnahmen des Landes erwirtschaftet, findet komplett in
       Katanga statt; er ist Kongos Wachstumsmotor und davon hängt sowohl
       Tshisekedis Erfolg als auch das globale Engagement im Land ab.
       
       Die DR Kongo braucht eine neue Politik. Für eine straffe
       Entwicklungsdiktatur ist das Land zu groß und der Staat zu klein. Alle
       Kräfte müssen gehört werden. „Geopolitik“ nennen die Kongolesen die Kunst
       des politischen Ausgleichs zwischen den Akteuren dieses Vielvölkerstaates
       von der Größe Westeuropas. Sie ist nicht weniger schwierig als globale
       Geopolitik, und nicht weniger explosiv.
       
       Tshisekedi muss jetzt beweisen, dass er Geopolitik kann. Der Rest der Welt
       sollte derweil den kolonialen Blick auf Kongo ablegen, sich nicht nur für
       seine Mineralien und Regenwälder interessieren, sondern auch für die
       Menschen Kongos. Nur wenn sie eine Zukunft haben, hat die Welt eine
       Zukunft.
       
       1 Jan 2024
       
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