# taz.de -- Geiseln, Gottschalk, Kissinger: Weinen, aber richtig
       
       > Die vergangenen Tage lieferten viel Anrührendes. Doch so manches Tal der
       > Tränen war eher im negativen Sinn ein Grund zum Heulen.
       
 (IMG) Bild: Heulen kann man auch so. Grund genug gab’s diese Woche ja
       
       Frau Dr. Bohne und ich haben diese Woche viel geweint. Uns wurde im
       Internet nämlich mehrfach ein Kurs angeboten: „Weinen lernen“. Das helfe,
       Gefühle zu verarbeiten und ein ausgeglichener Mensch beziehungsweise, im
       Falle von Frau Dr. Bohne, Hund zu werden. Na, das ist doch was für uns! Den
       teuren Kurs haben wir dann doch nicht gebucht, sondern haben uns gedacht:
       Heulen kann man auch so. Grund genug gab’s diese Woche ja.
       
       Ein Anlass war die Freilassung von Geiseln durch die palästinensische
       Terrororganisation Hamas. [1][Frauen, Kinder, Senioren kamen frei]. Grund
       für Freudentränen, aber auch für Tränen der Wut, finde ich. „Und noch mehr
       Wut, wenn man liest, dass in einigen Berichten von einem ‚Geiselaustausch‘
       die Rede war“, sagt Frau Dr. Bohne. „Hamas hat Menschen freigelassen, die
       sie bei ihrem Terrorangriff am 7. Oktober als Geiseln genommen hat. Israel
       hat im Gegenzug Häftlinge freilassen müssen. Von wegen ‚Geiselaustausch‘!“
       Wo sie recht hat, hat sie recht.
       
       Weinen kann man auch über den Zustand der Bundesregierung. Das
       Bundesverfassungsgericht hatte der Ampel eine Schuldenumwidmung nicht
       durchgehen lassen, jetzt fehlen Milliarden. Diese Woche redete Kanzler
       Scholz dazu im Bundestag. Ein Befreiungsschlag war das nicht. „Aber was ist
       falsch daran, Hundespielzeug zu kaufen, wenn der Etat für Hundefutter nicht
       ausgeschöpft wird?“, fragt Frau Dr. Bohne. Ich widerspreche ihr. „Es sind
       Steuergelder. Da muss Transparenz herrschen und demokratische Absicherung.“
       Die einen in der Koalition wollen sparen und Ausgaben streichen, die
       anderen die Einnahmen, sprich: Steuern, erhöhen. „Das Rudel funktioniert
       nicht!“, merkt Frau Dr. Bohne mit Blick auf die Koalition an.
       
       Zum Weinen finden wir auch, dass die angeblich letzte „Wetten,
       dass..?“-Sendung von Thomas Gottschalk noch tagelang danach Thema war.
       [2][Bei dieser sagte er am Ende], er habe im Fernsehen immer so reden
       können wie zu Hause, aber inzwischen sei das anders, zu groß sei die Gefahr
       eines „Shitstorms“, und daher sage er lieber nichts mehr. „Feigling!“,
       schimpft Frau Dr. Bohne. „Er kann doch sagen, was er will, und dann soll er
       halt mit Kritik klarkommen!“ Meinungsfreiheit bedeute eben nicht
       Kritikfreiheit! „Sehe ich auch so“, stimme ich ihr zu. „Aber die Art, wie
       er mit moralischer Empörung überzogen wird, finde ich auch kritikwürdig.“
       Wir sind uns jedenfalls einig: Gottschalk soll leise heulen.
       
       ## Verquere TikTok-Welt
       
       Ebenso zum Weinen: [3][die Lüge des Musikers Gil Ofarim, die er diese Woche
       vor Gericht einräumte]. Im Oktober 2021 hatte er in einem Video behauptet,
       er sei in einem Hotel in Leipzig antisemitisch beleidigt worden. Ein
       Hotelmitarbeiter habe ihn aufgefordert, seinen Davidstern, den er angeblich
       an einer Kette trug, zu entfernen. „Er hat den Mann fertig gemacht, und
       jetzt werden es Menschen, die von Diskriminierung berichten, es erst recht
       schwer haben“, sagt Frau Dr. Bohne.
       
       Apropos bescheuerte Videos: Auf Tiktok entdeckten in dieser Woche
       überwiegend junge Menschen aus dem linken Spektrum den Koran und den Islam
       für sich. „Und?“, sagt Frau Dr. Bohne. „Nichts und“, antworte ich. „Aber
       die naive Art, wie sie es tun, kurz nach dem Abfeiern von Osama Bin Laden,
       ebenfalls bei Tiktok, ist schon bedenklich.“ Und dann machte auch noch ein
       Tiktok-Video des AfD-Politikers Maximilian Krah die Runde, in dem er sagt:
       „Präsident Erdoğan ist nicht dein Feind.“ Der Präsident sei halt stark, im
       Gegensatz zu „schwachen deutschen Politikern“. Krah ist der Typ, der
       kürzlich behauptete, die Eroberung Afghanistans durch die Taliban sei die
       „einzig richtige Antwort“ auf Homosexualität. Vereint gegen Vernunft und
       Liberalismus entdecken Links und Rechts den Fundamentalismus. Frau Dr.
       Bohne und ich schluchzen.
       
       Als wir gehört haben, [4][dass Henry Kissinger im Alter von hundert Jahren
       gestorben ist], haben wir auch geweint. Um ihn, gewiss. Aber auch um die
       vielen Opfer seiner Politik, in Kambodscha, Osttimor, Chile, Argentinien,
       Bangladesch und anderswo.
       
       3 Dec 2023
       
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