# taz.de -- Jenseits des Immobilienmarkts: Das Haus der Mieter
       
       > In einem Haus in Hamburg-Eppendorf haben die Eigentümer dank eines
       > besonderen Mietvertrags wenig zu sagen. Nun hat das Wohnprojekt Jubiläum.
       
 (IMG) Bild: Gruppenbild mit Haus: die Bewohner*innen des Haynpalasts in der Hamburger Haynstraße
       
       Hamburg taz | Das Wohnprojekt Haynstraße hat Geburtstag und die Reporter
       und Kamerateams strömen in das hochherrschaftliche Jugendstil-Eckhaus im
       Hamburger Stadtteil Eppendorf und staunen über dieses [1][Monument des
       Häuserkampfes]. Wahnsinn, die Geschichte mit dem Knebel-Mietvertrag, den
       die Bewohner:innen, damals noch Student:innen, in den 70ern
       abgeschlossen haben! Wie konnte sich der damalige Eigentümer da nur drauf
       einlassen, jede Hoffnung auf nennenswerte Mieteinnahmen fahren lassen,
       jedes Mitspracherecht bei den Ein- und und Auszügen? Ja, sagen sie dann,
       das kam so …
       
       Sie, das sind in diesem Fall zwei Männer auch schon jenseits der 70, Bernd
       Vetter und Reinhard Barth. „Wollen Sie mit dem Aufzug fahren?“, hatte
       Vetter durch die Gegensprechanlage gefragt und war dann die Treppe
       heruntergekommen, um den Aufzug zu öffnen, „dafür braucht man einen
       Schlüssel“. Die Gitter öffnen und schließen sich, der Aufzug ruckelt und
       gleitet langsam nach oben, im Inneren ist er mit Holz vertäfelt, zwei
       Klappsitze gäbe es auch.
       
       Beim Ausstieg könnte man, schaut man nach oben, die Sternzeichen sehen, die
       in das Oberlicht über dem Treppenhaus eingelassen sind, aber dafür ist
       keine Zeit. Vetter wohnt im vierten Stock, kurzer Gang durch die Wohnung,
       da, sehen Sie, Dienstmädchenzimmer, mit eigenem Hinterausgang für die
       Bediensteten, damit die die Herrschaften im Treppenhaus nicht treffen.
       
       Ursprünglich waren die Wohnungen über 300 Quadratmeter groß, in den 1930er
       Jahren wurden sie in dem 1910 gebauten Haus geteilt, aber gut 170
       Quadratmeter sind es immer noch. Miete derzeit: 3,25 Euro pro Quadratmeter,
       dazu kommen noch mal 3,25 Euro als Rücklage für Sanierungen und Prozesse.
       
       6,50 Euro pro Quadratmeter: In einem Stadtteil wie Eppendorf ist das
       lächerlich wenig. In der Umgebung würden 15 bis 22 Euro verlangt, sagt
       Vetter, der damals als Jurastudent den Mietvertrag aufgesetzt hat, der 1975
       geschlossen wurde, nach nächtelangen Verhandlungen im stickigen
       Herrenzimmer einer der Wohnungen mit dem Vertreter der Eigentümerseite, der
       vielleicht nicht so genau hinsah, vielleicht auch ein bisschen beschwipst
       war von der eigenen Bedeutung und dem Hauch vorn Revolutionsromantik, den
       das Haus verströmte.
       
       ## Ein legendärer Vertrag
       
       In dem legendären Vertrag ist fixiert, dass sich die Miete nur so weit
       erhöhen darf wie die Instandhaltungskostenpauschale im sozialen
       Wohnungsbau. Als Mieter fungieren keine Einzelpersonen, sondern die 1973
       gegründete [2][Mietergruppe Haynstraße/Hegestraße], die keine einzelnen
       Wohnungen, sondern das ganze Haus samt Grundstück gemietet hat. Die
       Mietergruppe entscheidet über Ein- und Auszug, sie hat das letzte Wort.
       Jeder, der in dem Haus wohnt, muss ihr beitreten.
       
       Unzählige Kündigungsprozesse haben sie seit damals gewonnen, unzählige
       Feste gefeiert, sie haben Mieterinitiativen gegründet und Hausführungen
       gemacht. Auf dem langen Tisch in seinem weitläufigen Wohnzimmer hat Vetter
       Unterlagen bereitgelegt, ihm gegenüber sitzt Reinhard Barth. Ist Vetter der
       Anwalt des Hauses, so ist Barth dessen Archivar: Vier Bücher hat der
       promovierte Historiker mittlerweile über die Haynstraße im Selbstverlag
       herausgebracht, alle paar Jahre eins, sie heißen „Das Haus“, später mit dem
       Zusatz „Fortsetzung 1“ „Fortsetzung 2“, „Fortsetzung 3“ versehen, dazu in
       diesem Jahr noch eine Folge der Hamburger Bauhefte, „Der Haynpalast“
       betitelt.
       
       Viel gibt es aus dem Haus zu erzählen. Feste wurden gefeiert, Kämpfe
       geführt, aus den Student:innen-WGs, in denen Mitglieder diverser K-Gruppen
       aktiv waren, wurden Familien, Kinder kamen auf die Welt, darunter spätere
       Prominente wie der Musiker Jan Delay, der, so erzählen sie, das erste Kind
       des Hauses gewesen sein soll.
       
       Einen „linken bzw. linksradikalen Konsens“ gebe es nicht mehr, haben sie
       vor Kurzem nach längeren hausinternen Diskussionen festgestellt, in einem
       neuen „Selbstverständnis“, das sie schriftlich niedergelegt haben, nach
       langen Sitzungen. „Persönliche Entwicklungen“, eine „veränderte
       Zusammensetzung der Bewohnerschaft, auch „veränderte gesellschaftliche
       Verhältnisse“ hätten dazu geführt, schreiben Barth und Vetter in der
       Festschrift zum 50-jährigen Bestehen der Mietergruppe.
       
       Inzwischen haben die „Kinder des Hauses“, wie sie intern genannt werden,
       selbst Wohnungen im „Haynpalast“ bezogen, denn wer möchte nicht in einem
       Palast wohnen, und dann auch noch zu so einer Miete?
       
       Es wird ja immer mal was frei, wenn auch nicht so oft, wie es viele gerne
       hätten. 22 Wohnungen sind es, mehr nicht. „Wenn die Kinder reinwollen, ist
       das gar nicht so leicht, viele von damals sind ja dringeblieben“, sagt
       Julia Roloff, die gerade ihr Fahrrad mit Kindersitz vor dem Haus abgestellt
       hat.
       
       ## Eingeheiratet in das Haus
       
       Julia hat in die Haynstraße eingeheiratet, ihr Mann Leon ist dort
       aufgewachsen, seine Mutter Katrin Roloff gehörte zur ersten Generation der
       Mietergruppe. Wer einziehen darf, entscheidet das Kollektiv, dabei gehe es
       dann nicht darum, wer sich zuerst gemeldet hat, sagt Julia. Die Frage sei:
       „Für wen macht das am meisten Sinn?“
       
       Julia und Leon haben zwei Kinder, die Kleine, Marle, ist zwei und schleppt
       ihre Spielzeughunde an, die alle Nella heißen. Nella ist der aktuelle Hund
       von Reinhard Barth, der schon immer Hunde hatte, seit er in dem Haus wohnt,
       darüber schreibt er auch in seinen Büchern. Barth wohnte vor Julia und Leon
       in der Wohnung unten rechts neben dem Eingang. Er hat sie für die beiden
       frei gemacht und ist im Haus umgezogen, in eine kleinere Wohnung in den
       linken Seitentrakt. Im Haus haben sie eine Umzugsparty daraus gemacht.
       
       Aber die Wohnungen reichen eben nicht für alle, Konflikte sind
       programmiert. Vor ein paar Jahren war die Stimmung im Haus so schlecht,
       dass sie sogar einen Mediator einschalten mussten. „Natürlich gibt es
       Feindschaften, keine Frage“, sagt oben, im vierten Stock, Bernd Vetter an
       seinem Wohnzimmertisch. „Wir haben Streit gehabt im Laufe der Jahre. Aber
       die große Leistung ist, dass es gehalten hat.“
       
       Der Mietvertrag, der von der Einstimmigkeit der Mietergruppe ausgeht, hat
       sie zwangsweise zusammengehalten. Noch immer treffen sich die
       Hausbewohner:innen jeden Monat zur Vollversammlung, immer an einem
       Sonntag um 20.20 Uhr („wegen der Tagesschau natürlich“). Die Organisation
       obliegt der sogenannten Zentrale, jedes Stockwerk ist abwechselnd dran,
       eine „Konzeptgruppe“ bereitet die Hausversammlung vor.
       
       ## Ein politisches Projekt
       
       Doch wollten sie nicht einmal mehr? Wohnungen in Mieterhand, nicht nur in
       der Haynstraße, sondern überall? „Wir sind keine Hausgemeinschaft, wir sind
       ein politisches Projekt“, hatte Bernd Vetter gleich zu Beginn klargestellt.
       Er sagt, dass er sich früher als Marxist begriffen habe und das in gewisser
       Weise immer noch tue.
       
       Der Hamburger Verein „Mieter helfen Mietern“ wurde bei ihnen auf dem
       Dachboden gegründet, und noch gar nicht so lange ist es her, dass sie das
       Hamburger Volksbegehren [3][„Keine Profite für Boden und Miete“] in Gang
       brachten. Bernd Vetter und andere aus dem Haus waren immer dabei. Aber was,
       wenn sie nicht mehr da sind?
       
       „Was tun wir, wenn die Alten nicht mehr können? Die Frage muss man sich ja
       stellen“, sagt auch Julia Roloff in ihrer Wohnung unten, eine Antwort auf
       die Frage hat sie noch nicht. In einem Treppenaufgang eines der beiden
       Seitenflügel stehe inzwischen ein Treppenlift, schreibt Reinhard Barth in
       seinem Buch „Das Haus – Fortsetzung 3“, das auch schon einige Jahre alt
       ist. Es gab Diskussionen, ob auch in den Seitenflügeln, die eigene
       Treppenhäuser haben, richtige Fahrstühle eingebaut werden könnten.
       
       Die große Dinosaurierfigur mit dem Schild „Spekulantenfresser“, die seit
       den 90ern im Vorgarten steht und aus Stofffetzen besteht, die über ein
       Holzgestell gekleistert sind, muss immer wieder hergerichtet werden. Doch
       Reinhard Barth, der sie gebaut hat, tut sich damit immer schwerer, „vor
       allem das Kleistern an den Unterseiten des Tieres“, wie er schreibt. „Ich
       muss jetzt mal wieder ran“, sagt er später auf dem Weg nach unten, die
       Treppe herunter durch die gewaltige Vorhalle, die Marmorwände hat, deren
       Pfeiler aber nur aus Blech sind, Barth klopft kurz dagegen.
       
       Dass die Eigentümer sie doch noch rauswerfen könnten aus ihrem Haus, ist
       eher unwahrscheinlich, die letzte erfolglose Räumungsklage datiert von
       2008. Auch wenn das Haus schon lange in Eigentumswohnungen aufgeteilt ist,
       ist jede Klage auf Eigenbedarf so gut wie aussichtslos, weil sie den
       Eigenbedarf am ganzen Haus geltend machen müsste: Der Mieter, dem gekündigt
       werden müsste, ist immer die ganze Hausgemeinschaft. Der Gesamtmietvertrag,
       dieses Meisterwerk, schützt die Bewohner*innen bis heute.
       
       Zudem gehört die Mehrheit der Wohnungen inzwischen Leuten, die im Haus
       wohnen und selbst zu Eigentümern geworden sind, obwohl die meisten das nie
       vorhatten. Mehr Rechte haben sie deswegen nicht, sie sind wie die anderen
       Eigentümer mehr Sponsoren des Hausprojekts als seine Profiteure, ohne
       Aussicht auf Rendite oder eines der Rechte, die Eigentümer normalerweise
       haben.
       
       Ganz spannungsfrei ist das Verhältnis zu den „Fremdeigentümern“, die nicht
       im Haus wohnen, trotzdem nicht. Allein vier Wohnungen hat sich ein Mann aus
       der Nachbarschaft gekauft, bei jeder Wohnung stieg der Preis, den er
       bezahlte, zuletzt waren es 700.000 Euro für 170 Quadratmeter – zu viel, um
       nichts damit vorzuhaben.
       
       „Sie hoffen wohl immer noch, uns rauszukriegen“, sagt Bernd Vetter, der
       Anwalt. Ist das ein Glitzern in seinen Augen? Fast könnte man denken, er
       würde sich auf die Auseinandersetzungen freuen.
       
       29 Nov 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.denkmalverein.de/gerettet/wohnprojekt-haynstrasse-1
 (DIR) [2] https://hayn-hegestr.de/
 (DIR) [3] https://keineprofitemitbodenundmiete.de/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Daniel Wiese
       
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