# taz.de -- Nahostkonflikt im Alltag: Das Schweigen der Kleinstadt
       
       > Zu Recht wird Linken und Kulturbetrieb ihr Schweigen zum Terror gegen
       > Israel vorgeworfen. Im Dorf unseres Kolumnisten ist es aber auch nicht
       > lauter.
       
 (IMG) Bild: Kein Bild vom Dorf: Israelsolidarische Kundgebung in Hannover
       
       Natürlich ist es Quatsch, jemandem vorzuwerfen, dass er oder sie etwas
       nicht mehr aushält. Mir selbst geht es ja auch nicht anders beim Gedanken
       an Israel, bei den grauenhaften Fotos und Videos der Ermordeten und
       Verschleppten. Und auch ich habe mich in den letzten Wochen zwischendurch
       offline vor den Porträts vermisster Kinder versteckt – und vor Menschen,
       die unter Tränen beschreiben, wie sie Obduktionsergebnisse lesen und fast
       so was wie Erleichterung darüber empfinden, dass ihre geliebten Menschen
       zumindest „nur“ erschossen wurden.
       
       Dass man da nicht endlos mitlesen kann, verstehe ich. Was mich aber
       zunehmend wütender macht, ist der selbstgerechte Gestus, mit dem sich Leute
       aus den Horrortimelines abmelden – mit so einem patzigen „Mir reicht’s!“,
       als wäre die bewusste Ignoranz nicht Notwehr gegen das Unerträgliche,
       sondern eine besondere Leistung – als wären sie die eigentlich
       Leidtragenden dieser Katastrophe, weil die Welt ihnen das Zugucken zumutet.
       
       Ein Social-Media-Bekannter hat neulich geschrieben, er lese die Nachrichten
       aus Israel nicht mehr, weil er „weiter nüchtern über den Konflikt
       diskutieren“ wolle. Ich weiß nicht, wie man diskutieren kann, was man nicht
       wissen will. Ich kann mich an seine so nüchternen Nahost-Kommentare auch
       sonst nicht erinnern, aber ehrlich gesagt weiß ich sowieso gerade kaum
       noch, was es da nüchtern zu besprechen gäbe.
       
       Wahrscheinlich meint er eigentlich [1][jenes „ja, aber“], das weiten Teilen
       der Linken gerade zu recht unter die Nase gerieben wird – wegen der
       fließenden Übergänge von Kontextualisierung und Relativierung. Wegen der
       Doppelstandards, mit denen Israels Handeln seit jeher bewertet wird. Und
       weil manche Linke mit recht davon ausgehen, von ihren Genoss:innen
       rassistisch geschimpft zu werden, wenn sie die Morde der Hamas als Barbarei
       bezeichnen.
       
       ## Verhallte Antisemitismuskritik
       
       Ich habe solche Genoss:innen schon lange nicht mehr – und solche
       Freund:innen schon viel länger nicht. Trotzdem kommen mir auch wir
       Israelsolidarischen gerade nicht besonders hilfreich vor. Sich jahrelang
       über innerlinken Antisemitismus den Mund fusselig zu reden, war bestimmt
       nicht falsch. Sich selbstkritisch die eigenen Fehleinschätzungen als
       pubertierender Imperialismuskritiker nochmal vorzunehmen, hat sicherlich
       auch niemanden dümmer gemacht. Aber ehrlich gesagt, war unsere Strahlkraft
       in die Gesamtgesellschaft dann doch überschaubar.
       
       Von wegen abschalten: Mein bürgerliches Umfeld hatte schon am 8. Oktober
       weitgehend kapituliert. Ein- oder vielleicht auch zweimal habe ich [2][hier
       draußen auf dem Land] jemanden mit Genugtuung was braseln hören darüber,
       dass postkoloniale, woke, antirassistische und klimabewegte Gutmenschen ja
       selber so eine Art Nazis wären – aber das war’s dann auch. Hatte der
       russische Überfall auf die Ukraine immerhin noch ein paar Friedensbewegte
       auf den Dorfplatz getrieben, herrscht im kleinbürgerlichen Kleinstadtalltag
       heute genau jenes tosende Schweigen, für das [3][die Kulturlinke] gerade
       völlig zu recht gescholten wird.
       
       In der Großstadt ist das ein bisschen anders. Ein paar wenige Israelfahnen
       habe ich da in den letzten Wochen gesehen – sogar ein T-Shirt der Israel
       Defence Forces. Ob die Landbevölkerung nun ignoranter ist oder sogar
       antisemitischer? Ich traue mir da keine Einschätzung der
       Mehrheitsverhältnisse mehr zu. Immerhin gibt es in der Stadt auch mehr
       Palästinaflaggen und schweigende Mehrheiten natürlich sowieso. Da leben ja
       nun auch mehr Leute. Aber es macht einen qualitativen Unterschied, ob die
       Solidarität mit den Terroropfern auf der Straße nur ein bisschen sichtbar
       wird oder überhaupt nicht.
       
       Denn wenn man hier draußen offline geht, ist das Schweigen nach einer Weile
       nämlich wirklich kaum mehr zu ertragen.
       
       18 Dec 2023
       
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