# taz.de -- Juristin über CO2-Einsparung: „Klimaschutz hat keinen Vorrang“
       
       > Warum werden CO2-intensive Bauprojekte wie neue Straßen immer noch
       > genehmigt? Die Regierungsberaterin Sabine Schlacke erklärt die rechtliche
       > Lage.
       
 (IMG) Bild: Wie viel zählt der Klimaschutz? Ausbau der A14 in Sachsen-Anhalt
       
       taz: Frau Schlacke, die einzelne neue Straße, vielleicht selbst der
       einzelne neue Flugplatz machen noch keine Klimakrise – aber letztlich
       floriert durch sie ein insgesamt klimaschädliches Verkehrssystem. Das
       Ergebnis sehen wir in der deutschen Klimabilanz, [1][der Verkehr reißt die
       gesetzlichen CO2-Grenzwerte]. Welche Rolle spielt das bei der Genehmigung
       von Einzelvorhaben?
       
       Sabine Schlacke: Auch bei der Zulassung von Einzelvorhaben ist Klimaschutz
       zu berücksichtigen. Das regelt seit 2019 das Klimaschutzgesetz in seinem
       Paragrafen 13.
       
       Was heißt „berücksichtigen“? 
       
       Berücksichtigen heißt, dass die Behörde die Auswirkungen des Vorhabens in
       Bezug auf die nationalen Klimaschutzziele zu ermitteln, zu bewerten und in
       die Zulassungsentscheidung als einen Belang einzustellen hat. Klimaziele
       sind insbesondere die Reduktion von Treibhausgasen bis 2030 um mindestens
       65 Prozent und bis 2040 um mindestens 88 Prozent sowie die Erreichung von
       Klimaneutralität bis 2045. Berücksichtigen meint allerdings nicht, dass
       sich der Klimaschutz immer durchsetzt, sondern er wird gegenüber anderen
       Belangen abgewogen.
       
       Der Klimaschutz hat keinen Vorrang vor anderen Interessen? 
       
       Nein, das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig 2022 im Fall einer
       neuen Autobahn und jüngst bei der Zulassung einer Pipeline für ein
       LNG-Terminal ganz klar entschieden. Der Klimaschutz muss in die Abwägung
       einbezogen werden, hat aber keinen Vorrang.
       
       Was hieß das für die Autobahn? 
       
       Die Autobahn durfte gebaut werden. Es handelte sich um ein Teilstück der
       Nordverlängerung der A 14 in Sachsen-Anhalt. Die Planfeststellungsbehörde
       hatte festgestellt, dass das neue Autobahnteilstück zusätzlichen Verkehr
       erzeugt und damit klimaschädlich ist. Es trage jedoch allenfalls ein
       Zehntel Promille zur deutschen Jahresemissionsmenge bei. Deshalb durfte der
       Verkehrsnutzen höher bewertet werden, denn der Lückenschluss im
       Autobahnnetz verbinde Sachsen-Anhalt erstmals mit den Ostseehäfen.
       
       Auch in [2][manchen Bundesländern gibt es Klimaschutzgesetze]. In
       Baden-Württemberg zum Beispiel wird verlangt, dass der Klimaschutz bei
       Projekten nach Landesrecht „bestmöglich zu berücksichtigen“ ist. Was
       bedeutet das? 
       
       Der Klimaschutz ist hier ein bisschen stärker gewichtet. Aber der
       Unterschied ist nicht groß. Es geht eben auch in Baden-Württemberg nur um
       ein „Berücksichtigen“, nicht um einen Vorrang.
       
       Ist das denn mit dem [3][berühmten Klima-Beschluss des
       Bundesverfassungsgerichts] von 2021 vereinbar? 
       
       Bisher wohl ja. Aber die Karlsruher Richterinnen und Richter haben auch
       klargemacht, dass die Erreichung des Klimaneutralitätsziels bei
       fortschreitendem Klimawandel an relativem Gewicht gewinnt – das wirkt sich
       auch auf die Zulassung von Einzelvorhaben aus.
       
       Wäre spätestens dann nicht eine klare Prioritätensetzung erforderlich, dass
       zum Beispiel nur noch die allerwichtigsten neuen Straßen gebaut werden
       dürfen? 
       
       Wir haben in Deutschland kein Gremium, das sagt: Die Umgehungsstraße in A
       ist wichtiger als die Umgehungsstraße in B. Das ist im Föderalismus auch
       schwer vorstellbar.
       
       Beim Autobahnbau gibt es aber den zentralen [4][Bundesverkehrswegeplan]. 
       
       Stimmt, da wäre eine klimapolitische Prioritätensetzung möglich. Aber
       verfassungsrechtlich ist das auch dann noch nicht zwingend. Dem Klima ist
       es egal, ob CO2 beim Verkehr oder bei Heizungen von Häusern eingespart
       wird.
       
       Muss bald nicht alles getan werden, was vertretbar und möglich ist? 
       
       Sehr wahrscheinlich. Aber was vertretbar ist, muss eben immer in der
       jeweiligen Situation unter Abwägung aller betroffenen Rechtsgüter geklärt
       werden. Wenn es um Einzelvorhaben geht, entscheiden das im Streitfall die
       Verwaltungsgerichte.
       
       Wer kann klagen, um den Klimaschutz bei Einzelvorhaben wie Autobahnen,
       Flugplätzen und neuen Baugebieten vor Gericht verhandeln zu lassen? 
       
       Jeder anerkannte Umweltverband und außerdem Grundeigentümer, die wegen des
       Vorhabens enteignet werden sollen.
       
       17 Oct 2023
       
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 (DIR) Christian Rath
       
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