# taz.de -- Künstlerin und Comedienne aus Bosnien: Süchtig nach Punchlines
       
       > Mit Stand-up-Comedy und Kunst verarbeitet Mila Panic persönliche
       > Erfahrungen und Migrationsgeschichten. Ein Besuch in ihrem Berliner
       > Atelier.
       
 (IMG) Bild: „I was deboning chickens by the age of three“, Mila Panic bei der Autostrada Biennale 2023
       
       Beim Betreten des Studios ist das neue Kunstwerk von Mila Panic nicht zu
       übersehen: Eine Skulptur aus Gips. Man erahnt eine Art Reifen. Die
       Künstlerin trägt einen blauen Overall, die Ärmel aber sind an der Hüfte
       zugeknotet. Unter dem Overall schaut ein weißes Top hervor.
       
       Panic steht mitten in ihrem viel zu heißen Studio: „Ja das ist ein Problem
       hier, die Hitze im Sommer. Grässlich!“ Sie zeigt auf den Ventilator. „Und
       das Ding funktioniert jetzt auch nicht wirklich. Es zirkuliert nur die
       warme Luft im Zimmer.“ Sie grinst. „Ich muss in diesem Raum schnell sein,
       was meine Skulpturen betrifft. Bei der Wärme trocknen sie schnell. Es ist
       ein Wettkampf gegen die Zeit,“ erklärt sie lachend.
       
       Mila Panic studierte an der Bauhaus-Universität und machte ihren Master
       2017 in Public Art and New Artistic Strategies. Schon während ihres
       Studiums fiel ihr eine Sache auf, und zwar die Liebe zu Gegenständen: „Ich
       hatte schon immer eine Faszination für Objekte.“ Für sie ist der
       Herstellungsprozess der Moment, der die Kunstwerke mit Leben erfüllt.
       
       Sie gießt sich noch eine Tasse Wasser ein. Trinkt aus dem Becher, als wäre
       es ein Heißgetränk und erklärt: „Für mich ist der beste Teil meiner Arbeit,
       der Prozess der Herstellung. Sobald es fertig ist, fühlt sich auch die
       Geschichte dahinter fertig an. Bis ich wieder anfange darüber zu reden.“
       
       ## Alle sitzen im selben Bus
       
       Panic zeigt auf die Skulptur, die mitten im Zimmer steht: „Diese Skulptur,
       an der ich gerade arbeite, ist für eine Ausstellung im Oktober“, erklärt
       sie. Auf dem Couchtisch steht eine Schale mit Kirschen. Sie steckt sich
       eine in den Mund. Behält sie auf der rechten Seite ihrer Wange. Dann kaut
       sie und redet weiter: „Sie stellt einen Busreifen dar.“ Spuckt den
       Kirschkern aus und visualisiert mit ihren Armen den Durchmesser.
       
       „Der Reifen symbolisiert eine Gesellschaft und ihre Reise nach
       Deutschland“, fängt sie an zu erzählen. „Früher sind wir mit dem Reisebus
       von [1][Bosnien] nach Frankfurt gefahren, um eben in Deutschland zu
       arbeiten. Ich bin auch nach Frankfurt gereist mit einem dieser Busse, um
       den Sommer mit Arbeiten zu verbringen.“
       
       Panic erinnert sich, inzwischen ist sie aufgestanden, schnürt die Ärmel
       ihres Overalls an der Hüfte fest. „Auf diesen Busreisen zwischen Bosnien
       und Deutschland ist einiges passiert. Viel Emotionales, wie Angst, Panik,
       Trauer und das Schmuggeln von banalen Gütern.“ Es ist kurz still, sie guckt
       auf ihre Skulptur. Der rechte Mundwinkel schiebt sich nach oben zu einem
       schiefen Grinsen.
       
       „Oh Mann, war das anstrengend und stressig! Und die Fahrten mochte ich
       damals gar nicht. Aber jetzt, wo ich so drüber nachdenke, war es wirklich
       schön. Nostalgie!“ Sie redet von dem Zusammenhalt der Leute im Reisebus.
       Die Reisenden waren nämlich nicht nur Arbeiter und Arbeiterinnen, sondern
       auch Akademiker*innen, Schriftsteller*innen, reiche Leute waren unter
       ihnen. „Wir saßen alle im selben Bus. Nach Deutschland. Und in dieser
       Zeitkapsel zwischen Bosnien und Deutschland lernten wir uns alle besser
       kennen; wir waren genervt voneinander, wurden Freunde, Feinde und sogar
       Geliebte!“
       
       ## Aufenthaltsgenehmigung jederzeit widerrufbar
       
       An den Wänden von Panics Studio sind einige ihrer Zeichnungen zu sehen.
       Alle eingerahmt. Unter anderem auch ein Brief von der [2][Ausländerbehörde
       in Berlin]. Auf den ersten Blick scheint es so, als wäre es eine
       Bestätigung für eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland.
       „Nein, nein, leider ist das keine Bestätigung, sondern eher eine Ermahnung
       von der Ausländerbehörde“, Panic sitzt wieder auf der Couch, hinter ihr
       befindet sich der eingerahmte Brief.
       
       Ihr Kopf ist an die Wand gerichtet, schaut den Brief an und sagt: „Das ist
       eigentlich eine wirklich seltsame, aber auch irgendwie lustige Geschichte
       im Nachhinein. Es war für mich dennoch ein traumatisches Erlebnis.“ [3][Auf
       einer Dating-Plattform] trifft Mila Panic auf einen Mann. Ein Deutscher.
       Sie treffen sich für einige Monate, reden viel über persönliche Erlebnisse.
       Über Panic und ihre Arbeit in Berlin und ihre Herkunft. Sie erzählt ihm
       auch von ihrem wichtigen Termin bei der Ausländerbehörde. Nach einiger Zeit
       jedoch bricht Panic den Kontakt zu dem Mann ab.
       
       Sie geht zu ihrem Termin bei der Behörde und ihr wird vorgeworfen, dass
       ihre Dokumente allesamt nicht genehmigt werden könnten. Sie seien nämlich
       gefälscht. Panic erzählt weiter, sie ist sehr ruhig dabei, wirkt traurig:
       „Es hat sich herausgestellt, der Typ hat der Behörde eine anonyme Mail
       geschrieben, dass ich illegal in Deutschland sei und dass alle meine
       Papiere nicht original wären. Stell dir das mal vor?“
       
       Sie bekommt einen Brief mit dem Aktenzeichen: 3031 Js 10296/18. In dem
       steht Folgendes: „Ihrem Antrag auf Aufenthalt in Deutschland wird
       stattgegeben, die Entscheidung jedoch kann jederzeit widerrufen werden, wie
       es das deutsche Recht vorsieht, da zuvor Zweifel an der Gültigkeit der
       Dokumente bestanden.“
       
       ## Mit Kunst und Comedy gegen die Ungerechtigkeit
       
       Was tat Mila Panic? Erst weinte sie, sie fühlte sich hintergangen. Es war
       unfair, so behandelt zu werden. Und dann verarbeitet sie es in ihrer Kunst.
       Mila Panic zuckt mit den Schultern und ihr leicht verschmitztes Grinsen
       erscheint wieder in ihrem Gesicht: „Ich war sehr enttäuscht über
       Deutschland. Die Behörden schenkten einer anonymen E-Mail mehr Vertrauen,
       als mir, die zu dem Zeitpunkt seit fünf Jahren in Deutschland lebte. Ich
       fühlte mich, als wäre ich in einer toxischen Beziehung mit dem Land, in dem
       ich lebe, und so dachte ich, auch wenn in Deutschland alles schief laufen
       sollte, kann ich immer noch zurück nach Bosnien.“
       
       Solche Erlebnisse verarbeitet Panic nicht nur in ihren künstlerischen
       Installationen, die sie im Sommer etwa bei der [4][Autostrada-Biennale im
       Kosovo] gezeigt hat, sondern auch in ihren Comedy-Shows: „Ich benutze
       Humor, um befreiende Augenblicke zu schaffen oder um über das Patriarchat,
       Verdrängung oder verzweifelte Situationen zu lachen. Aus meiner Sicht
       kommen Stand-up-Comedy, bildende Kunst und Schreiben vom selben Ort – aus
       einem Spektrum von Irritation, Wut und Wahnsinn. Diese Elemente wurden für
       mich zur Grundlage, um die Sichtweise der Besucher auf bestimmte Themen
       umzugestalten. Wenn sie lachen, ist das der Beweis dafür, dass ich nicht
       verrückt bin, oder verrückt geworden bin“, erklärt Panic. Während Corona
       entschied sie sich [5][einen Kurs in Stand-up-Comedy] zu belegen. Und: „Ich
       wurde direkt süchtig nach Punchlines.“
       
       Während sie diesen Satz sagt, lacht sie laut. Nimmt sich noch eine Kirsche
       in die Hand, schlägt ihre Beine übereinander: „Meiner Meinung nach ist
       diese Art von Kunst der Musik näher als der bildenden Kunst, was die
       Unmittelbarkeit der Körperreaktion angeht. Dennoch ist Stand-up-Comedy für
       mich nur ein weiteres Medium der zeitgenössischen Kunst – das
       wahrhaftigste.
       
       ## Normen und Machtstrukturen hinterfragen
       
       Egal ob mit einem Witz oder einer Installation – das Ziel ist dasselbe: Das
       Publikum dazu zu bringen, gesellschaftliche Normen zu überdenken und
       Machtstrukturen zu hinterfragen. In meinem Fall scheinen Witze eine
       bevorzugte Sprache zu sein. Witze haben einfach mein ganzes Leben
       ‚infiziert‘.“
       
       Ja, Panic lacht viel, auch über die tragischen Geschichten in ihrem Leben.
       Nun steht sie wieder auf, geht zum Kühlschrank. Die Wasserflasche ist
       nämlich leer und es ist immer noch sehr heiß in ihrem Studio. Die Skulptur
       ist inzwischen hart. An der muss sie wahrscheinlich am nächsten Tag erneut
       arbeiten. Auf dem Schrottplatz war sie leider auch noch nicht erfolgreich.
       Es fehlt noch eine Felge für den Reifen.
       
       Die Skulptur muss bis zur Eröffnung am 6. Oktober fertig sein. Panic hat
       während dieser Ausstellung [6][im Hamburger Künstlerhaus Sootbörn]
       eventuell einen Stand-up-Auftritt: „Mir gefällt die Idee, in diesen Räumen
       laut zu sein und andere Menschen zum Lachen zu bringen. Das Publikum in
       Galerien und Institutionen ist viel härter und eingeschränkter als in einem
       Comedy-Club. Ich habe das Gefühl, sie und ihre Erwartungen zu kennen, da
       ich selbst jahrelang zu ihnen gehört habe. Ich genieße es, sie zu lockern
       und über Themen zu lachen, die mit Sex und Politik kokettieren.“
       
       25 Sep 2023
       
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