# taz.de -- Amazon gegen Betriebsrat: Ein Foto als Kündigungsgrund
       
       > Weil er Spritkosten für Treffen mit Politikern über seinen Arbeitgeber
       > abgerechnet hat, hat Amazon den Betriebsrat Rainer Reising fristlos
       > entlassen.
       
 (IMG) Bild: Immer da, wo Ver.di im Amazon-Betriebsrat sitzt, gibt es Kündigungen gegen Betriebsräte
       
       Verden taz | Kämpferisch gab sich Rainer Reising am Dienstagmittag in
       Verden: „Unser Kampf ist hier nicht zu Ende, ich stehe hier exemplarisch
       für circa 1,5 Millionen Arbeitnehmende, die Amazon weltweit hat“, sagte er,
       nachdem das dortige Arbeitsgericht seine Klage gegen eine Kündigung durch
       den Logistikkonzern Amazon abgewiesen hatte.
       
       Wegen Spesenbetrugs und Arbeitszeitbetrugs hatte Amazon dem Betriebsrat
       Rainer Reising fristlos gekündigt. Zu Recht, entschied das Arbeitsgericht
       Verden.
       
       Das Amazon-Lager in Achim gibt es seit 2021. 2022 hatte Reising dort den
       Betriebsrat mitgegründet. Zuletzt war er freigestellter Betriebsrat und
       Vertrauensperson in der Schwerbehindertenvertretung.
       
       In dieser Funktion – und in Absprache mit seinem Arbeitgeber – nahm Reising
       im Februar an einem mehrtägigen Seminar zum Thema
       Schwerbehindertenvertretung in Köln teil und mietete für die Anfahrt einen
       Mietwagen auf Kosten seines Arbeitgebers, die Spritkosten rechnete er
       ebenfalls mit Amazon ab.
       
       ## Treffen mit Weil und Heil statt Fortbildung
       
       In der gleichen Woche nahm Reising jedoch auch an einem Treffen mit
       Bundesarbeitsminister Hubertus Heil in Berlin und einem Treffen mit dem
       niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Weil (beide SPD) in Hannover
       teil. Zugunsten der Treffen verpasste er die halbstündige Einführung und
       ein Nachmittagsmodul des Seminars.
       
       Bei den Treffen – bei denen es laut Reising um Datenschutz, IT-Tools und
       den Umgang mit der Mitbestimmung in seinem Betrieb ging – entstanden Fotos
       mit den Politikern, die später in den sozialen Medien veröffentlicht
       wurden.
       
       Diese Fotos riefen laut den Amazon-Anwält*innen einen Personalleiter von
       Amazon auf den Plan, der daraufhin die Ermittlungen aufnahm. Drei Wochen
       später hatte Rainer Reising die fristlose, außerordentliche Kündigung auf
       dem Tisch.
       
       Amazon wirft seinem ehemaligen Mitarbeiter vor, mit der Arbeitszeit
       betrogen zu haben, da er im unternehmensinternen Zeiterfassungssystem die
       offiziellen Zeiten des Seminars angegeben hatte, nicht aber seine
       tatsächliche Anwesenheit. Reising entgegnete, dass es sich um eine neue
       Form der Zeiterfassung gehandelt habe und er nicht gewusst habe, wie die
       Zeiten einzutragen seien. Zuvor seien bei ganztägiger Abwesenheit vom
       Betriebsort einfach pauschal acht Stunden eingetragen worden.
       
       Zudem warf Amazon dem Betriebsrat vor, den Konzern um mehrere Hundert Euro
       an Spesen betrogen zu haben, da dieser die Tankbelege für seine Fahrten mit
       Amazon abgerechnet hatte, die laut Amazon nicht Teil seiner Aufgaben als
       Betriebsrat waren, sondern seine „privaten und gewerkschaftlichen
       Interessen“ betroffen haben. „Die Betriebsratsarbeit findet in erster Linie
       im Betrieb statt“, sagte ein Amazon-Anwalt dazu.
       
       Reisings Anwalt hingegen nannte die Kündigung unverhältnismäßig. Er
       beharrte darauf, dass ein freigestelltes Betriebsratsmitglied seine Arbeit
       selbst einteilen darf. Die Treffen mit den Politikern, zu denen zwar die
       Gewerkschaft eingeladen hatte, seien explizit dazu da gewesen Betriebsräte
       zusammenzuführen.
       
       Auf die Frage, ob Treffen mit den Politikern nun zur Betriebsratsarbeit
       gehören oder nicht, wollte die Vorsitzende Richterin am Dienstag nicht
       eingehen. In ihrer Urteilsbegründung sagte sie, dass nach Erachten des
       Gerichts Gründe vorlägen, „die es für die Arbeitgeberin unzumutbar machen,
       das Arbeitsverhältnis fortzuführen“ – und meinte damit die falsch
       angegebenen Arbeitszeiten und die falsch abgerechneten Tankbelege. Weil ein
       freigestellter Betriebsrat in seiner Arbeit sehr frei sei, „muss der
       Arbeitgeber vertrauen können, dass Sie richtige Angaben machen“, sagte sie
       und wandte sich dabei direkt an Rainer Reising.
       
       „Die Kammer bewertet nicht, dass Reising als Gewerkschaftsmitglied aktiv
       geworden ist“, sagte Gerichtsdirektor Christian Hageböke der taz. Das
       Urteil sei keine Sanktion für das Treffen mit Minister Heil. Es gehe
       lediglich um die Pflichtverletzung, die Reising durch die Falschangabe
       seiner Arbeitszeiten und Fahrtwege gemacht habe.
       
       ## Berufung angekündigt
       
       Reising fand nach der Urteilsverkündung klare Worte: „Aufgeben ist keine
       Option“, sagte er und kündigte an, in Berufung gehen zu wollen. Vor Gericht
       war Reising in einem schwarzen Kapuzenpullover mit dem Logo der
       Organisation „Amazon Workers International“ erschienen, bei der er selbst
       engagiert ist.
       
       Etwa 30 Menschen von Ver.di, der IG Metall und der Stadtteilgewerkschaft
       „Solidarisch in Gröpelingen“ in Bremen hatten sich am Dienstagmorgen vor
       dem Arbeitsgericht in Verden versammelt, um Reising zu unterstützen. Nach
       der Urteilsverkündung skandierten sie „Make Amazon pay“ und „Auch wenn Jeff
       Bezos das nicht mag, wir woll’n den Tarifvertrag“.
       
       Auch wenn Reising seine Arbeitszeiten und Dienstfahrten formal korrekt
       angegeben und abgerechnet hätte, hätten die Anwält*innen des Konzerns
       eine Möglichkeit gefunden, ihn rauszuwerfen, glaubt Ver.di-Sekretär Nonni
       Morisse. Denn „Amazon hat aus unserer Sicht grundsätzlich ein Problem mit
       gewerkschaftlich aktiven Betriebsräten“. Es müsse „gesetzlich etwas
       geändert werden“, sagte er der taz. „Der Schutz für Betriebsräte muss
       ausgeweitet werden.“
       
       19 Sep 2023
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Franziska Betz
       
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