# taz.de -- Weiblicher Blick auf Palästina und Israel: Ein Koffer voller Fotos
       
       > Anna Sophia Messner stellt deutschjüdische Fotografinnen vor. Deren
       > Emigration wurde oft erzwungen. Ihre Werke sind fast in Vergessenheit
       > geraten.
       
 (IMG) Bild: Ellen Auerbach, in der Landschaft fotografierend, 1933–1936
       
       Blick auf das Land“ lautete der Titel eines 1937 in Tel Aviv erschienenen,
       deutschsprachigen Buches, eingeleitet von dem aus Berlin stammenden
       Publizisten C. Z. Kloetzel. Der Untertitel versprach „Neue
       Palästina-Bilder“. Die Fotografien schufen elf aus Deutschland, Frankreich,
       Mähren und Ungarn stammende Fotografen.
       
       Unter den nur mit Nachnamen aufgelisteten Beiträgern stand auch der Name
       Rosenberg; gemeint war die in Karlsruhe geborene Ellen Rosenberg
       (1906–2004). In Berlin-Steglitz hatte sie gemeinsam mit ihrer Freundin
       Grete Stern das auf Werbe- und Porträtfotografie spezialisierte Fotostudio
       ringl + pit geführt.
       
       Nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten entschloss sich die
       deutschjüdische Fotografin zur Emigration und floh mit ihrem zukünftigen
       Mann Walter Auerbach nach Palästina. In Tel Aviv eröffnete sie das Studio
       Ishon (Augapfel) für Kinderfotografie.
       
       Auch wenn Palästina für Ellen Auerbach, die spätere Grande Dame der
       Fotografie, nur eine Zwischenstation auf dem Weg nach den USA sein sollte,
       steht ihre schlanke Gestalt im Mittelpunkt des Coverfotos von
       „Palästina/Israel im Blick. Bildgeographien deutsch-jüdischer Fotografinnen
       nach 1933“ von Anna Sophia Messner. Das undatierte Foto zeigt Ellen
       Auerbach im wadenlangen Kleid, die Kurzhaarfrisur von einer nicht minder
       modischen Schirmmütze bedeckt, die Fotokamera vor Augen, die karge,
       spärlich grüne Landschaft fotografierend.
       
       ## Terra incognita
       
       Ein treffend gewähltes Motiv für die fast 400 Seiten umfassende
       Veröffentlichung zur Emigration von zehn deutschjüdischen Fotografinnen
       nach Palästina/Israel. Auch wenn Ellen Auerbach, Marianne Breslauer,
       Charlotte und Gerda Meyer, Aenne Mosbacher, Ricarda Schwerin und Marli
       Shamir in dem von Klaus Honnef und Frank Weyers 1997 herausgegebenen
       Katalogbuch „Und sie haben Deutschland verlassen … müssen. Fotografen und
       ihre Bilder 1928–1997“ durch Biografien wie fotografische Zeugnisse
       vorgestellt wurden, sprachen die Herausgeber, bezogen auf die Geschichte
       der Fotografie Israels, damals von einer Terra incognita.
       
       Dass dieses unerforschte Gebiet überhaupt Erwähnung fand, verdankten sie
       wiederum einer Frau: der in München geborenen und 1968 nach Israel
       ausgewanderten Fotokünstlerin Pesi Girsch.
       
       Seit Ende der 90er Jahre wurde dieses bezogen auf Frauen unterbelichtete
       Kapitel der israelischen Fotogeschichte punktuell ausgeleuchtet. Dies
       geschah vor allem durch die von Inka Graeve Ingelmann 2006 veröffentlichte
       Biografie zu Ellen Auerbach, Buchveröffentlichungen und Ausstellungen in
       Winterthur und Berlin zur dort geborenen Marianne Breslauer (1909–2001)
       sowie eine in Jerusalem und Berlin gezeigte Retrospektive zu der aus
       Karlsruhe stammenden Fotografin Liselotte Grschebina (1908–1994).
       
       Anna Sophia Messner belässt es nicht bei Schlaglichtern, sie geht ihre als
       Dissertation angenommene Untersuchung systematisch an. Beginnend mit einem
       interessanten Prolog zu einem Zufallsfund: einem auf einer Müllhalde
       gefundenen Koffer voller Fotografien, allesamt aus dem Besitz der 1899
       geborenen Fotografin Alice Hausdorff. Der Inhalt des Koffers, der für
       Messner einen „archivarischen Raum“ darstellt, blieb über Jahre von der
       Forschung unberücksichtigt. Für sie nur ein weiteres Symptom einer
       Nichtbeachtung, die eine ganze Generation deutschjüdischer Fotografinnen
       traf.
       
       ## Postkarten nach Australien
       
       In ihrer Studie widmet sich die Autorin neben den schon erwähnten Ellen
       Auerbach, Marianne Breslauer, Liselotte Grschebina, Charlotte und Gerda
       Meyer, Aenne Mosbacher, Ricarda Schwerin und Marli Shamir auch den
       weitestgehend vergessenen Fotografinnen Lou Landauer und Alice Hausdorff.
       
       Messners Arbeit zu den emigrierten deutschjüdischen Fotografinnen gilt
       der „Vielfalt weiblicher Perspektiven auf Palästina und den frühen Staat
       Israel“. Messner veranschaulicht dies an einem privaten Fotoalbum Marianne
       Breslauers zu einer Reise nach Palästina, bedeutungsstärker aber an dem
       noch 1935 in der Jüdischen Buchvereinigung Berlin herausgegebenen Buch
       „Palästina: 188 Bilder“, zu dem die aus Köln stammende Lou Landauer allein
       56 Bilder beisteuerte.
       
       Dass auch das Medium Postkarte der Darstellung des zionistischen
       Aufbauwerks diente, verdeutlicht Messner anhand von Fotopostkarten, die
       heute im Jüdischen Museum Australien in Melbourne archiviert sind. Alle
       Fotografien stammen von der in Kassel geborenen Fotografin Aenne Mosbacher
       (1888–1954). Die Fotografien – vermutlich während einer Reise nach
       Palästina Mitte der 30er Jahre aufgenommen – widmen sich Themen und
       Motivreihen wie „Altes und Neues Palästina“, „Junge Juden bei der Arbeit“,
       „Arabische Typen“, aber auch „Palästina: Tiere“, „Palästina: Pflanzen“ oder
       „Arabische Städte“. Aenne Mosbacher war 1938 gezwungen, nach Australien zu
       emigrieren.
       
       Dass Frauen nicht nur mit prekären wirtschaftlichen Situationen zu kämpfen
       hatten, sondern allzu oft auch männlicher Dominanz unterlagen, zeigt
       Messner am Beispiel der Bauhaus-Schülerin und Fotografin Ricarda Schwerin
       (1912–1999).
       
       Durch die Freundschaft zu der in den USA lebenden Philosophin Hannah
       Arendt, von der Schwerin 1961 – als Arendt über den [1][Eichmann-Prozess in
       Jerusalem] berichtete – ein bemerkenswertes Porträt erstellte, erschien
       1969 in New York das Fotobuch „Jerusalem. Rock of Ages“ („Jerusalem. Fels
       der Ewigkeit“). Obwohl die Fotografien Gemeinschaftsarbeiten von Schwerin
       und ihrem Lebensgefährten Alfred Bernheim waren, erschien nur sein Name auf
       dem Umschlag des Buches, ihrer war nachgeordnet.
       
       ## Wesentliche Beiträge zur israelischen Fotogeschichte
       
       Messners Darstellung, aufgeteilt in die Kapitel „Von Deutschland nach
       Palästina und zurück“, „Zwischenräume“ und „Ikonographien des
       Nation-Building“, liest sich dort am flüssigsten und aufschlussreichsten,
       wo die Autorin, ausgehend vom überlieferten fotografischen Material, Leben
       und Werk dieser bislang wenig beachteten Fotografinnen erzählt, die
       wesentliche Beiträge zur israelischen Fotogeschichte geliefert haben.
       Manches Resümee klingt allerdings wie die Einlösung einer self-fulfilling
       prophecy, also einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung, der zuvor
       herausgestellten Bedeutung von „Neuem Sehen“, „Neuer Sachlichkeit“ und
       „Neuer Frau“.
       
       Der nicht durch Anführungen gekennzeichnete Gebrauch des
       nationalsozialistischen Terminus „Machtergreifung“ ist bedauerlich. Der
       Wert dieser ein Forschungsdesiderat ausfüllenden, verdienstvollen
       Veröffentlichung bleibt davon unberührt. Es muss jedoch beklagt werden,
       dass der Verlag für den illustrierenden Teil dieses materialgesättigten
       Buches die falsche Papierwahl getroffen hat. So verlieren die
       Schwarz-Weiß-Fotografien ihre Brillanz, ihre Tiefenschärfe; die Fotografien
       laufen zu, was angesichts der zu Recht gewürdigten Bedeutung der
       Fotografinnen mehr als bedauerlich ist.
       
       6 Aug 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /60-Jahrestag-des-Eichmann-Prozesses/!5759178
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Wilfried Weinke
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Fotografie
 (DIR) Israel
 (DIR) Emigration
 (DIR) Holocaust
 (DIR) Bildband
 (DIR) Schwerpunkt Leipziger Buchmesse 2025
 (DIR) Weimarer Republik
 (DIR) Biografie
 (DIR) Fotografie
 (DIR) zeitgenössische Fotografie 
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Bildband über Corona-Lockdown: Dokumente des Ausnahmezustands
       
       Ein Fotobuch zoomt auf Details aus der Coronazeit. Die Bilder erzählen von
       Langeweile und Leere, von anziehender Einsamkeit und Isolation.
       
 (DIR) Neue Biographie über Hannah Arendt: Nach der Flucht
       
       Thomas Meyer zieht in seiner Biografie von Hannah Arendt bislang
       unbekanntes Archivmaterial heran, um ihr Denken und ihre Erfahrung zu
       verbinden.
       
 (DIR) Linker Franz Pfemfert: Zum Glück zufällig Fotograf
       
       Bekannt ist Franz Pfemfert als linker Aktivist und Publizist der Weimarer
       Republik. Ein neues Buch zeigt: Als Fotograf porträtierte er sein Umfeld.
       
 (DIR) Biografie von Lee Miller nun auf Deutsch: Der schönste Nabel der Welt
       
       Partygirl, Engel der Surrealisten, Kriegsreporterin: Über das Leben seiner
       Mutter Lee Miller hat Antony Penrose eine lesenswerte Biografie
       geschrieben.
       
 (DIR) Ausstellung Fotografinnen auf Reisen: Wie sie auf die Welt blicken
       
       Mit der Kleinbildkamera um den Globus: Das Kunstforum in Bielefeld zeigt
       Werke von Fotografinnen auf Reisen aus 80 Jahren.
       
 (DIR) Foto-Ausstellung in Berlin: Europas Nabel wandert
       
       Die Fotografin Patricia Morosan begab sich auf die Suche nach dem
       Mittelpunkt Europas. „(I) Remember Europe“ ist in der Galerie Franzkowiak
       zu sehen.