# taz.de -- Festival der Projekträume: Durch Beton gucken
       
       > Seit Anfang Juni bietet das Project Space Festival jeden Abend des Monats
       > ein Kunstevent an den wunderbar abseitigen Orten informeller
       > Ausstellungen.
       
 (IMG) Bild: Früher Autohaus, heute Projektraum: Im Spoiler in Moabit findet am 29. Juni eine Performance statt
       
       Mit Kunst kann man die Stadt neu entdecken. [1][Das Project Space
       Festival], das seit nunmehr neun Jahren Projekträume in Berlin vorstellt,
       führt in diesem Jahr in insgesamt 30 teils bekanntere, teils überraschende
       und stets originelle Locations. Alte Fabrikgebäude sind darunter, wie die
       Fabrik am Flutgraben, in der das Festival am 1. Juni mit einer Präsentation
       des von ukrainischen Künstler*innen und Produzent*innen gegründeten
       Cultural Workers Studio eröffnet wurde.
       
       [2][Erfrischende Sommerbäder wie das im Humboldthain] gehören aber auch
       dazu. Und es geht in Hinterhöfe, zu denen die Zugänge durchaus von urbanen
       Gärten überwachsen sein können, oder in Ladenräume, vor denen malerisch der
       Mohn blüht. Einen ganzen Monat kann man zwischen Siemensstadt und
       Tempelhof, Treptow und Schöneberg verwunschene Orte und spektakuläre
       Gebäude aufsuchen. Und Kunst gibt es dabei auch noch zu sehen.
       
       Den wohl unmittelbarsten Zugang gewährt der Projektraum Tropez. Gut, eine
       Zugangsschwelle gibt es: Man muss eine Eintrittskarte fürs Sommerbad im
       Humboldthain erwerben, was in den heißen Sommermonaten allerdings eher
       einen Zusatznutzen als eine Last darstellt. So kann man sich erst ins kühle
       Nass werfen und danach auf dem Heiligen Stein von Tropez Platz nehmen –
       einem weißen Marmorblock, in den [3][die Künstlerin Maria Loboda] den
       Gesäßabdruck eines Wesens mit nach hinten zeigendem Schwanz eingemeißelt
       hat. Oder man kann sich vom wehenden Textilbanner des
       Fiktionalisierungsprojekts von Ghita Skali oder der halbtransparenten
       wallenden Woge der Installation „S~e~e~d“ von Christina Krys Huber
       inspirieren lassen.
       
       Die Ausstellung „Believe“ setzt sich seit dem 3. Juni mit Glauben,
       Aberglauben und Mystik auseinander. Neun Positionen sind über Liegewiese
       und Terrassen verteilt. Die spezielle Umgebung stellt natürlich besondere
       Anforderungen an die Kunst: „Die Sachen müssen wetterresistent sein, damit
       sie die drei Monate draußen auch durchhalten“, erzählt Ziemowit Nowak,
       Produktionsleiter von Tropez, im Gespräch mit der taz.
       
       Regelrecht abgeschottet hingegen wirkt die Ausstellung „Possession“ von
       Onur Gözmen im Projektraum Scherben in der Leipziger Straße. Im Inneren des
       Raums steht man plötzlich vor einer brutalistischen Betonwand. Gözmen hat
       sie einem Schulgebäude in Ankara nachempfunden, das einst Moderne und
       Fortschritt ausdrücken sollte – und das verblüffend gut in das ebenfalls
       ziemlich brutalistische Ensemble der aus DDR-Zeiten stammenden Neubauten
       der Leipziger Straße passt.
       
       Durch einen Sehschlitz im Beton kann man auf ein Video schauen, dessen
       Protagonist ein Kind ist, das regelrechte Schlachten mit Objekten und
       Lebensmitteln auf einem Esstisch anstellt. Die Szenen sind dem Film
       „Possession“ des polnischen Regisseurs Andrzej Żuławski entnommen, der
       darin dysfunktionale Partnerschaften und rohe Morde im geteilten Berlin des
       Kalten Krieges darstellt.
       
       Ein weiterer Höhepunkt des Festivals dürfte die Ausstellung „Studio Stadt.
       Peripherien elektronischer Musik“ im Projektraum Scharaun in Siemensstadt
       sein (Eröffnung 24.6.). Der Projektraum befindet sich einem vom Berliner
       Architekten und Stadtplaner Hans Scharoun entworfenen Haus, in dem Scharoun
       auch selbst lebte.
       
       Die Ausstellung spürt in den Tonspuren elektronischer Musik Motiven der
       Automatisierung von Arbeits- und Lebenswelt nach und nimmt dabei
       gleichzeitig Bezug auf den Ort Siemensstadt: Das Siemens-Studio für
       elektronische Musik, das sich in München befand, war eines der ersten
       programmierbaren Tonstudios weltweit. Mit der Geschichte Berliner
       Siemens-Arbeiterinnen befasst sich in einem begleitenden Audiowalk die
       Künstlerin Ahu Dural. Durals Mutter arbeitete einst selbst bei Siemens.
       
       Das Project Space Festival ist das Graswurzelfestival der Berliner
       Kunstszene schlechthin. Gerade Projekträume liefern die Infrastruktur, um
       neue Ästhetiken und Methoden auszuprobieren, von denen manche später auf
       dem Kunstmarkt erfolgreich sind und andere die großen interdisziplinären
       Festivals bestücken. In den letzten Jahren konnte sich die Berliner Szene
       einer immer ausdifferenzierter werdenden Förderung erfreuen. Das neue und
       krönende Element, die vierjährige Konzeptförderung, ist aber erst im
       kommenden Senatshaushalt fixiert.
       
       Der neue Kultursenator Joe Chialo (CDU) steht dabei in der Pflicht, die von
       seinem Vorgänger Klaus Lederer entworfenen Instrumente auch sinnvoll
       weiterzuentwickeln. „Ich kann nur sagen, dass die freie Projektraumszene
       unglaublich groß und vielfältig ist und gemeinsam einen wahnsinnigen Output
       hat. Das sollte man in Form einer anständigen Strukturförderung
       unterstützen“, fordert jedenfalls Heiko Pfreundt, gemeinsam mit Lisa Schorm
       Kurator des Festivals und mit ihr auch Betreiber des Kunstraums Kreuzberg
       Pavillon. Das Festival wird am 30. Juni mit einem experimentellen
       Filmprogramm im Neuköllner Projektraum Xanadu beendet
       
       21 Jun 2023
       
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