# taz.de -- Berlins Theaterprojekt „Early Labyrinth“: „Unfähigkeit, Untergang zu begreifen“
       
       > Das Hauptstadt-Kollektiv Early Labyrinth inszeniert Politpunk wie im
       > Countryclub. Thematisiert werden Klimawandel und koloniale Macht.
       
 (IMG) Bild: Sowohl Musik- als auch Kunstprojekt: Early Labyrinth standesgemäß maskiert
       
       Neukölln, zwei Tage vor Halloween, der Hof vor einem gedrungenen
       Backsteingebäude am Ende einer Sackgasse. Viele Familien, die Kinder
       kostümiert, man spricht Englisch, es gibt Waffeln. Und da ist dann noch die
       lange Schlange vor dem Eingang, der zum Höllenschlund umgestaltet ist. Den
       Eintretenden wird mit einer Spritze erst einmal gespielt Blut entnommen.
       Für ein Nachbarschaftsfest sieht das alles eine Nummer zu exaltiert aus.
       
       Umso mehr, wenn man den dunklen, schmalen Gang betritt: Zuerst wird man
       durch eine Wahrsagerin streng in Sachen Verletzungen des Genfer Abkommens
       ausgefragt, dann weitergeschickt. Durch Gänge mit gemalten Backsteinwänden
       geht es, teils im Dunkeln vorantastend, teils durch enge Kanäle robbend,
       treppauf steigend zu eingeschobenen Etagen; labyrinthisch wieder um Ecken,
       Totenschädel hier, Horrorpuppe dort.
       
       Wer hat mich gerade durch die Wand angefasst und war das eben wirklich der
       Archetyp eines maskierten Guerillakommandos in Camouflage, das mich
       infernalisch anschrie und des Weges wies? Vor allem: Warum sieht man durch
       Wandlöcher ebenso maskierte Personen mit Musikinstrumenten brachialen Sound
       spielen? Wo bin ich hier überhaupt? Im „First Annual Early Labyrinth
       Necropolitical Hell House of Existential Dread“!
       
       Das wirft mehrere Fragen auf. Ende Mai sitzt der Künstler Christopher Kline
       in seinem Schöneberger Atelier und beantwortet sie. Im Raum hängen Dutzende
       unterschiedliche Masken, stehen Kulissen, sieht man Fahnen, erkennt
       Elemente aus dem Oktober. Kline, langer Bart, sanfte Stimme, dezent schwarz
       gekleidet, ist Sänger, Texter und Songschreiber der 2019 gegründeten
       Berliner Band Early Labyrinth – einer „Music-based political entity“ mit
       rund 12 Personen.
       
       ## „Hell-House“
       
       Einige davon waren die im „Hell House“ Spielenden – ein Konzert war es
       also, zwischen Installation und Performance. Die nur für wenige Stunden
       bestehende Hölle hatte Kline in vierwöchiger Arbeit errichtet – im Atelier
       seiner Partnerin, der Künstlerin Sol Calero, mit der er auch den
       Kreuzberger Projektraum „Kinderhook & Caracas“ betreibt. Doch das Hell
       House war auch Kulisse für eines der neuesten Videos der Band: „Pillaging
       The Ripe Orchards of Faith“, die reifen Obstgärten des Glaubens plündern,
       lautet der Titel des dazugehörigen Songs.
       
       „Ihr Todeskult ist auf dem Vormarsch“, singt Kline darin dräuend auf
       Englisch und [1][adressiert die Klimakatastrophe]: „Sie haben unsere
       Unfähigkeit instrumentalisiert; die Unfähigkeit, unseren Untergang zu
       begreifen“. Im Video sieht man ihn in Predigerpose, als Anführer einer
       Endzeitsekte. Menschen halten Schilder hoch: „God Hates Early Labyrinth“.
       
       „Early Labyrinth“ sei der Name einer historischen Maßnahme psychologischer
       Kriegsführung gewesen. Mit ihren Songtexten benennt die Band in der
       Tradition [2][linker Anarcho-Punkbands] wie den britischen Crass oder den
       90er-Jahre-US-Crusties Aus-Rotten vornehmlich Gräuel der US-Politik aus den
       letzten Jahrzehnten: den Vietnamkrieg, die Beteiligung der USA am Putsch in
       Chile 1973, ein Song heißt „Letter from the McDonald’s on [3][Guantánamo]“.
       
       Amerika, weil es Brennglas für globale Entwicklungen sei, erklärt der seit
       2006 in Berlin lebende US-Amerikaner Kline. Und „necropolitical“? Der
       kamerunische Theoretiker Achille Mbembe bezeichnet mit dem [4][Begriff
       koloniale Macht] über Tod und Leben.
       
       ## Achille Mbembe
       
       Kline bezieht sich dezidiert auf ihn, auch in den umfangreichen Linernotes
       des dieser Tage auf eigenem Label erscheinenden Debütalbums der Band, „Do
       You Want to Be Part of the Crime or Part of the Punishment?“. Die
       antiisraelische Haltung, die Mbembe bei der Verwendung des Begriffs zeigte,
       ist in den Texten der Band allerdings nicht zu finden.
       
       Der Trick an den stets nur in Stoffmasken auftretenden Early Labyrinth:
       Mögen die Texte noch so radikal sein – die Musik kommt als Komfortzone
       daher und könnte auch in einem jener exklusiven Countryclubs zum Cocktail
       laufen, deren Mitgliedern die Band die Guillotine an den Hals wünscht:
       Soul, Funk, sogar Yachtrock hört man auf den zehn Songs des Albums. Voller
       Grooves und Hooks, das Keyboard weich, die La-di-da-Chöre präsent, alles
       wohlfeil produziert, knapp formatradiotauglich, musikalisch von Punk keine
       Spur.
       
       „Anarcho-Soul“ und „Thematically Punk“ nennt die Band diese Diskrepanz. Ist
       das eine ironische Wiederaufführung historischer, subversiver Punkpraxen
       als neuester Radical-Chic? Sowohl Musik- als auch Kunstprojekt, spiele man
       zwar mit den Zeichen, das Projekt sei aber der durchaus aufrichtig gemeinte
       Versuch, denen die Tür zu den politischen Textinhalten zu öffnen, die Punk
       nie hörten. Die Musikplattform Bandcamp benennt das als „Unbekanntes Genre“
       – möge es in den [5][Countryclubs dieser Welt] laut aufklingen!
       
       7 Jun 2023
       
       ## LINKS
       
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