# taz.de -- Tod einer Reporterin im Westjordanland: Kreuzfeuer oder gezielte Tötung
       
       > Auch ein Jahr nach dem Tod der arabischen Journalistin Shireen Abu Akleh
       > ist noch immer umstritten, wie es dazu kam.
       
 (IMG) Bild: Ein Wandbild von Shireen Abu Akleh auf der israelischen Sperranlage bei Bethlehem
       
       Berlin taz | Die palästinensisch-amerikanische [1][Journalistin Shireen Abu
       Akleh] hatte unter der palästinensischen Bevölkerung viele Spitznamen:
       „Stimme der Wahrheit“ oder „Tochter Palästinas“. Ihre Nichte nannte sie
       einfach „Shushu“. 25 Jahre lang berichtete Shireen Abu Akleh für den
       Nachrichtensender Al Jazeera aus den besetzten palästinensischen Gebieten.
       
       In [2][einem Interview sagte sie], sie habe sich für den Journalismus
       entschieden, um nah bei den Menschen zu sein, um ihre Geschichten in die
       Welt zu tragen. Seit nun einem Jahr ist ihre Stimme nicht mehr zu hören.
       Zum Schweigen gebracht wurde sie vor genau einem Jahr durch einen
       Kopfschuss aus dem Gewehr eines israelischen Soldaten.
       
       Am 11. Mai 2022 war die 51-jährige Journalistin unterwegs mit einer Gruppe
       von Pressevertreter:innen zur Berichterstattung über eine Razzia des
       israelischen Militärs in Dschenin. Ausgestattet mit Helmen und
       kugelsicheren Schutzwesten mit der Aufschrift „Presse“ gerät die Gruppe
       unter Beschuss. Der Journalist Ali Samoudi wird verletzt, Shireen Abu Akleh
       [3][wird in den Kopf geschossen]. Sie stirbt.
       
       Die Reaktionen gehen anfangs auseinander. Der palästinensische Präsident
       Mahmud Abbas [4][spricht von einem „kaltblütigen Mord des israelischen
       Militärs“]. Das israelische Außenministerium dagegen [5][gibt an,
       palästinensische Terroristen hätten den tödlichen Schuss wahrscheinlich
       abgegeben]. Zwei Tage nach ihrem Tod ging die Gewalt weiter.
       [6][Handyaufnahmen zeigen], wie israelische Militärkräfte Abu Aklehs
       Trauerzug angreifen und ihr Sarg fast zu Boden fällt.
       
       In den darauf folgenden Wochen bringen investigative Recherchen von
       internationalen Medien neue Erkenntnisse. [7][Die Washington Post zitiert
       einen Experten], demzufolge die Distanz zwischen Abu Akleh und dem Schützen
       fast exakt der Entfernung zwischen den Journalist:innen und einem
       israelischen Militärkonvoi in Schusslinie entspricht. [8][Analysen der New
       York Times kommen zu demselben Ergebnis mit dem Zusatz,] eine israelische
       Eliteeinheit sei „wahrscheinlich“ verantwortlich für die Schüsse. Die
       Auswertung von Videomaterial und Augenzeugenberichten [9][zeigen für CNN
       sogar eine „gezielte Attacke“ des israelischen Militärs].
       
       ## Untersuchungen des FBI
       
       Das israelische Militär legt den Fall trotzdem mit einem im September
       veröffentlichten hauseigenen Bericht ohne strafrechtliche Verfolgung ad
       acta. Mit „hoher Wahrscheinlichkeit“ seien die Schüsse zwar vom eigenen
       Militär gekommen, [10][heißt es darin nun], aber letztlich habe es sich um
       einen Unfall in einem Kreuzfeuer mit palästinensischen Terroristen
       gehandelt.
       
       Eine im November veröffentlichte [11][umfangreiche Untersuchung des
       unabhängigen Forschungsinstituts Forensic Architecture] widerspricht dieser
       Darstellung. Israelische Militärkräfte hätten „vorsätzlich und mehrfach“
       auf Abu Akleh und die anderen Journalist:innen geschossen, wobei keine
       weiteren bewaffneten Personen in Reichweite gewesen seien. Darüber hinaus
       sei absichtlich Erste Hilfe für Abu Akleh durch anhaltenden Beschuss
       verhindert worden.
       
       Da die Journalistin US-Staatsbürgerin war, sind auch die USA in die
       Diskussion involviert. Monatelang übernahm Joe Bidens Regierung die Haltung
       des finalen Berichts des israelischen Militärs. Überraschend kam deshalb
       die Ankündigung im November, dass das FBI nun selbst neue Untersuchungen
       anstellen wolle.
       
       Inzwischen haben die Familie von Shireen Abu Akleh und Al Jazeera den
       Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag aufgefordert, die nach
       ihrer Ansicht vorsätzliche Tötung der Reporterin durch das israelische
       Militär zu untersuchen. Sollte eine Untersuchung eingeleitet werden, kann
       sie mehrere Jahre in Anspruch nehmen.
       
       Die Situation für palästinensische Reporter:innen bleibt gravierend.
       Allein im April dieses Jahres wurden [12][mindestens neun
       Journalist:innen von israelischen Soldaten angegriffen]. Sharif Abdel
       Kouddous, Investigativjournalist hinter der renommierten Dokumentation
       „[13][The Killing of Shireen Abu Akleh“], sieht die Tötung von Abu Akleh
       als Präzedenzfall: „Wenn selbst in ihrem Fall niemand zur Rechenschaft
       gezogen werden kann, welche Chance hat dann irgendwer in Palästina?“
       
       10 May 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Tod-der-Journalistin-Shireen-Abu-Akleh/!5880018
 (DIR) [2] https://twitter.com/ImtiazTyab/status/1524289116782927873
 (DIR) [3] /Israel-Palaestina-Konflikt/!5854166
 (DIR) [4] ttps://www.reuters.com/world/middle-east/al-jazeera-says-reporter-dies-israeli-army-gunfire-west-bank-2022-05-11/
 (DIR) [5] https://twitter.com/IsraelMFA/status/1524279111547596805
 (DIR) [6] https://www.timesofisrael.com/us-deeply-disturbed-over-images-of-israeli-police-beating-mourners-eu-appalled/
 (DIR) [7] https://www.washingtonpost.com/investigations/interactive/2022/shireen-abu-akleh-death/
 (DIR) [8] https://www.nytimes.com/2022/06/20/world/middleeast/palestian-journalist-killing-shireen.html
 (DIR) [9] https://edition.cnn.com/2022/05/24/middleeast/shireen-abu-akleh-jenin-killing-investigation-cmd-intl/index.html
 (DIR) [10] https://www.idf.il/en/articles/2022/final-conclusions-of-shireen-abu-akleh-investigation/
 (DIR) [11] https://forensic-architecture.org/investigation/the-extrajudicial-killing-of-shireen-abu-akleh-extended-report#anchor-8
 (DIR) [12] https://rsf.org/en/israel-must-stop-targeting-palestinian-journalists
 (DIR) [13] https://www.youtube.com/watch?v=SXy9SUDqUHk
       
       ## AUTOREN
       
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