# taz.de -- Expertenrat kritisiert Ampel: Staugefahr beim Klimaziel
       
       > Deutschlands Klima-Expert:innen stellen der Bundesregierung ein
       > schlechtes Zeugnis aus: Zu viele Autos auf den Straßen und zu viele
       > fossile Heizungen.
       
 (IMG) Bild: Ausfahrt verpasst: Die Klimavorgaben im Verkehrssektor wurden erneut gerissen. Die Autobahn A57
       
       Berlin taz | Deutschland reduziert seine Treibhausgas-Emissionen zu
       langsam. Nur um 1,9 Prozent ist der Ausstoß von Gasen, die die Atmosphäre
       aufheizen, im vergangenen Jahr zurückgegangen. Das geht aus einem
       [1][Bericht] des Expertenrats für Klimafragen hervor, der damit [2][Daten
       des Umweltbundesamts aus dem März] im Wesentlichen bestätigt.
       
       Der Expertenrat für Klimafragen ist ein wichtiger Teil des deutschen
       Klimaschutzgesetzes. Seine Ergebnisse entscheiden darüber, ob die Regierung
       verpflichtet ist, zusätzliche Maßnahmen einzuleiten. Er überprüft die
       daraus resultierenden Programme zudem auf ihre Tauglichkeit. Die Mitglieder
       des Gremiums sind führende Wissenschaftler:innen unterschiedlicher
       Disziplinen. Die Bundesregierung beruft sie selbst für eine Dauer von fünf
       Jahren. Im Falle der aktuellen Besetzung war das noch die Große Koalition
       im Jahr 2020.
       
       Der aktuelle Bericht ruft besonders Bundesverkehrsminister Volker Wissing
       (FDP), Bundesbauministerin Klara Geywitz und Bundeswirtschaftsminister
       Robert Habeck (Grüne) in die Pflicht. „Die Sektoren Gebäude und Verkehr
       haben ihre jeweiligen Zielwerte für das Jahr 2022 überschritten“, sagte der
       Physiker Hans-Martin Henning, der dem Expertenrat vorsitzt, am Montagmorgen
       in Berlin. „Damit sind sie verpflichtet, ein Sofortprogramm vorzulegen.“
       
       ## Lücken aus 2022 ausgleichen
       
       Drei Monate haben die zuständigen Ministerien dafür Zeit, also das
       Verkehrsministerium für den Verkehr, Bau- und Wirtschaftsministerium
       gemeinsam für die Gebäude. Ihre Aufgabe ist groß: Die neuen Maßnahmen
       müssen die Lücke aus dem Jahr 2022 ausgleichen, aber auch verhindern, dass
       auf dem Weg zum Klimaziel für 2030 neue Lücken entstehen.
       
       Für den Gebäudesektor ist es das dritte Jahr in Folge, dass die Emissionen
       gesetzeswidrig hoch liegen. Das liegt vor allem am Heizen: Deutschland hält
       seine Gebäude überwiegend mit fossilen Brennstoffen warm. Etwa die Hälfte
       der Wohnungen heizt mit Gas, ein Viertel mit Öl.
       
       Ein weiteres Siebtel bekommt Fernwärme, die zu mehr als zwei Dritteln mit
       Gas und Kohle erzeugt wird. Zu den übrigen kleinen Posten gehört bisher
       auch die Wärmepumpe, die mithilfe von Strom Umgebungswärme nutzbar macht
       und als klimafreundlich gilt. Um das künftig zu ändern, hat die
       Bundesregierung kürzlich schon einen Plan vorgelegt. [3][Ab dem kommenden
       Jahr will sie den Einbau neuer Öl- und Gasheizungen in den meisten Fällen
       verbieten.]
       
       ## Verfälscht durch Corona
       
       Auch der Verkehr ist zum zweiten Mal in Folge zu klimaschädlich. Ohne die
       eingeschränkte Mobilität im Coronajahr 2020 wäre es allerdings auch damals
       schon so weit gewesen, wie das damalige Gutachten des Expertenrats für
       Klimafragen ergeben hatte. Das Jahr 2022 hat aber einen besonderen
       Tiefpunkt mit sich gebracht: Die Emissionen, die vor allem durch den
       Straßenverkehr anfallen, sind gegenüber dem Vorjahr sogar wieder
       angestiegen.
       
       Gewisse Fortschritte, etwa ein zunehmendes Interesse an E-Autos, schlagen
       sich in der Klimabilanz kaum nieder. Einen positiven Effekt hätte das
       schließlich nur, wenn gleichzeitig die Autos mit Verbrennungsmotor
       stillgelegt würden, wenn also weniger Benzin und Diesel verbrannt würde.
       Das bleibt aber bisher aus. Dass der Verkehrssektor sein Klimaziel für 2030
       erreicht, kann Physiker Henning zufolge deshalb als „besonders
       unwahrscheinlich qualifiziert werden“.
       
       Die Bundesregierung will das Klimaschutzgesetz reformieren. Künftig soll
       die Zuständigkeit der einzelnen Ministerien für den Klimaschutz in ihren
       Bereichen wegfallen. „Die Einhaltung der Klimaschutzziele soll zukünftig
       anhand einer sektorübergreifenden und mehrjährigen Gesamtrechnung überprüft
       werden“, heißt es [4][im Beschluss des Koalitionsausschusses, der im März
       gefallen ist.] Diesem Plan stehen die Expert:innen zumindest skeptisch
       gegenüber.
       
       ## Sorgfältige Prüfung gefällig
       
       Die Physikerin Brigitte Knopf will sie noch nicht abschließend bewerten –
       zu viele Punkte seien noch unklar. Grundsätzlich hat sie aber Zweifel. „Das
       ist ein bisschen so, als wenn man am Anfang des Jahres sagt: Ich will
       fitter werden, dienstags gehe ich joggen, donnerstags schwimmen und am
       Wochenende mache ich noch einen Rundlauf um den See. Und jetzt ist es so,
       dass die Regierung im April feststellt: Na ja, vielleicht sag ich einfach
       nur, ich will fitter werden. Da ist die Frage, wie glaubwürdig das ist und
       wie weit man damit kommt“, sagte sie am Montag.
       
       Auch ihr Kollege Henning äußerte sich zurückhaltend kritisch: „Wir
       empfehlen dem Gesetzgeber, die geplanten Änderungen sehr sorgfältig auf
       Vor- und Nachteile zu überprüfen.“ Klimaschützer:innen sehen sich in
       ihrer Kritik an der Bundesregierung bestätigt. „Olaf Scholz wird seinem
       eigenen Anspruch, Klimakanzler zu sein, nicht gerecht“, sagte Stefanie
       Langkamp von der Klima-Allianz. „Als Kanzler nimmt er zurzeit offen in
       Kauf, dass die Bundesregierung ihre Klimaziele jetzt und absehbar
       verfehlt.“
       
       17 Apr 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://expertenrat-klima.de/content/uploads/2023/04/ERK2023_Pruefbericht-Emissionsdaten-des-Jahres-2022.pdf
 (DIR) [2] /Weniger-Treibhausgasausstoss/!5918983
 (DIR) [3] /Einigung-zum-Heizungstausch/!5923611
 (DIR) [4] /Reform-des-Klimaschutzgesetzes/!5923019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Susanne Schwarz
       
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