# taz.de -- Wahl in der Türkei: Aus Grün mach HDP
       
       > Um einem möglichen Verbot zuvorzukommen, tritt die kurdische HDP auf der
       > Liste der Grün-Linken an. Kandidaten werden so ersetzt, Anhänger sind
       > enttäuscht.
       
 (IMG) Bild: Freundliches Händeschütteln zwischen den Köpfen der CHP (rechts) und HDP in Ankara
       
       Istanbul taz | Seit Sonntagabend ist es offiziell: Die kurdisch-linke HDP,
       die bislang erfolgreichste Partei der Kurden und Kurdinnen in der Türkei,
       wird bei den kommenden Parlamentswahlen am 14. Mai nicht antreten.
       
       Der Grund dafür ist das [1][laufende Verbotsverfahren gegen die Partei] vor
       dem Verfassungsgericht. Die Partei hatte bei dem Gericht beantragt, das
       Verfahren bis nach der Wahl auszusetzen, was dieses aber ablehnte.
       Daraufhin hat sich die Parteiführung entschlossen, die Notbremse zu ziehen
       – um nicht womöglich kurz vor der Wahl mit einem Verbot konfrontiert zu
       sein.
       
       Stattdessen wird die HDP nun auf der Liste der Grüne-Linke (Yesil-Sol
       Parti), die schon länger mit der HDP zusammenarbeitet, kandidieren. Weil am
       Sonntag der Stichtag war, um die Kandidatenlisten der Parteien beim Hohen
       Wahlrat einzureichen, musste sich die Parteiführung der HDP entscheiden.
       Obwohl die Partei also offiziell noch gar nicht verboten ist, werden die
       potentiellen HDP-Wähler und Wählerinnen nun aufgefordert, für die Yesil-Sol
       Parti zu stimmen.
       
       Um der Kritik vor allem aus traditionellen kurdischen Kreisen an dieser
       Entscheidung entgegen treten zu können, hat die HDP-Führung bei der Fusion
       mit der kleinen grünen Partei auf die Kandidaten von Yesil-Sol wenig
       Rücksicht genommen. Die Listen sind weitgehend kurdisch besetzt. Selbst in
       Wahlbezirken im Westen der Türkei an der Ägäis-Küste, in denen die
       Yesil-Sol stark ist, wurden weitgehend kurdische Kandidaten durchgesetzt.
       Nur in Izmir kandidiert der Parteivorsitzende von Yesil-Sol, Ibrahim Akin,
       auf dem ersten Platz. Die bisherige HDP-Vorsitzende Pervin Buldan
       kandidiert im ostanatolischen Van, ihr Co-Vorsitzender Mithat Sancar im
       südöstlichen Urfa.
       
       ## Deutsch-Türke Mustafa Yeneroğlu tritt für die Opposition an
       
       Viele Yesil-Sol Mitglieder sind enttäuscht über die Liste der Kandidaten
       und Kandidatinnen und befürchten, dass diese Machtdemonstration
       perspektivisch die Zusammenarbeit zwischen den Kurden und türkischen Linken
       erschweren wird.
       
       Für viele türkische Linke ist bereits jetzt die Türkische Arbeiterpartei
       (TIP) zum neuen Hoffnungsträger geworden, die zwar in einigen Provinzen
       auch mit der Yesil-Sol Liste zusammenarbeitet, in anderen Wahlbezirken aber
       eigene Kandidaten aufgestellt hat.
       
       Auch die anderen Parteien mussten bis Sonntagabend ihre Kandidatenlisten
       einreichen und haben teilweise bei den aufgestellten Kandidaten auch ihre
       Wahlbündnisse berücksichtigt. So hat die sozialdemokratisch-kemalistische
       CHP des [2][Präsidentschaftskandidaten Kemal Kılıçdaroğlu] insgesamt 60
       Kandidaten von vier kleineren Parteien, die zu dem Wahlbündnis der
       Opposition gehören, mit auf ihre Liste gesetzt.
       
       Der in Deutschland bekannteste von ihnen ist Mustafa Yeneroğlu, früher der
       prominenteste Deutsch-Türke in der AKP, der sich später von Präsident
       Reccep Tayip Erdoğan abwandte und sich dem AKP-Dissidenten und früheren
       Finanzminister Ali Babacan und dessen Deva Partei anschloss. Die ist nun
       Teil des Sechsparteienbündnisses der Opposition.
       
       ## Die rechtsradikale MHP lässt einen Faschisten kandidieren
       
       Erdoğans AKP hat einige Vertreter zweier islamistischer Kleinstparteien,
       die ihn bei der Präsidentschaftswahl unterstützen wollen, auf ihre
       Kandidatenliste genommen. Vor allem die Kandidaten der islamistischen
       kurdischen Hüda-Par-Partei stoßen selbst innerhalb der AKP auf Kritik. Die
       Hüda Par will die Frauenrechte dramatisch einschränken und hatte in der
       Vergangenheit Kontakte zu der terroristischen kurdischen Hisbollah, die in
       den 90er Jahren für etliche Morde an politischen Gegnern bekannt war.
       
       Die rechtsradikale MHP, der engste Koalitionspartner Erdoğans, hat einen
       bekannten Faschisten auf ihre Liste gesetzt, der in den 70er Jahren an
       einem Mordanschlag gegen linke Studenten beteiligt war und dafür verurteilt
       wurde, später nach dem Militärputsch 1980 aber wieder freikam.
       
       Wer im Parlament – die Parlamentswahlen finden zeitgleich zu den
       Präsidentschaftswahlen statt – später die meisten Sitze erhalten wird, ist
       völlig offen. In den meisten Umfragen liegt die CHP knapp hinter der AKP,
       aber die Opposition hofft, dass die Wahlallianz die CHP doch beflügeln
       wird.
       
       [3][Erdoğan hat vor einem Jahr ein neues Wahlgesetz] durchgedrückt, dass am
       12. April in Kraft treten wird, und die großen Parteien stark begünstigt.
       Die erste Partei bekommt jetzt im Vergleich zum früheren Wahlrecht mehr
       Abgeordnete – was insbesondere in den sicheren AKP-Wahlkreisen in
       Zentralanatolien zu mehr Abgeordneten für die AKP führen könnte.
       Andererseits sind die Folgen des Erdbebens schwer zu kalkulieren. Erdoğan
       muss befürchten, dass er in einigen [4][früheren AKP-Hochburgen im
       Katastrophengebiet] schwere Einbußen hinnehmen muss.
       
       10 Apr 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Tuerkei-geht-gegen-linke-Partei-HDP-vor/!5905030
 (DIR) [2] /Vor-den-Wahlen-in-der-Tuerkei/!5918739
 (DIR) [3] /Praesidentschaftswahl-in-der-Tuerkei/!5925484
 (DIR) [4] /Erdbeben-in-der-Tuerkei-und-Syrien/!5910741
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jürgen Gottschlich
       
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