# taz.de -- Serien-Trend „Corporate Bullshit“: Popkultur gegen Kapitalismus
       
       > Pessimismus gegenüber der Arbeitswelt ist Trend-Motiv in Serien. Das
       > spiegelt die wachsenden Zweifel an der „Selbstverwirklichung im Job“.
       
 (IMG) Bild: Comedy-Serie „Upload“ bei Amazon
       
       Unsere Haltung zur Arbeit ist nicht mehr das, was sie einmal war. Auch das
       haben das vergangene Jahr und seine Debatten vor Augen geführt: [1][„Quiet
       Quitting“] avancierte zum Modewort. Es bezeichnet eine Einstellung zum
       Beruf, die einer „stillen Kündigung“ gleichkommt. Anstatt den Job direkt
       aufzugeben, wird die eigene Leistung auf das Minimum reduziert. Immer
       weniger Arbeitnehmer*innen scheinen bereit, sich für den beruflichen
       Erfolg aufzuopfern.
       
       So mancher Kommentar legte sich eine erwartbare Erklärung für das Phänomen
       zurecht: Die Verweigerungshaltung sei auf die vermeintliche Faulheit der
       Jugend zurückzuführen. Nimmt man jedoch Kultur als Spiegel der Gesellschaft
       ernst, deutet ein thematischer Trend innerhalb der im letzten Jahr
       erschienen Serien darauf hin, dass die Probleme tiefer liegen. Unter den
       Neuerscheinungen der Streaming-Anbieter hatten Narrative Hochkonjunktur,
       die sich an etwas abarbeiteten, das sich am besten als „Corporate Bullshit“
       bezeichnen lässt.
       
       So etwa die Apple-Produktion [2][„WeCrashed“], die den spektakulären
       Aufstieg und Fall von Adam Neumann (Jared Leto) nacherzählte. Er wurde mit
       „WeWork“, einem Unternehmen, hinter nicht mehr als die Idee steckt, ein
       weltweites Netz aus Co-Working-Spaces zu errichten, zum Milliardär und als
       nahezu genialer Unternehmer zelebriert – ehe er aufgrund zahlreicher
       Skandale zurücktreten musste.
       
       Wenig später folgte mit [3][„The Dropout“] auf Disney+ eine weitere
       mitreißend erzählte Chronik einer beinah unglaublichen Karriere und deren
       sensationellem Ende. Wie Neumann pries auch Elizabeth Holmes (Amanda
       Seyfried) ihre „Erfindung“ als revolutionär an. Ebenso wie der
       „WeWork“-Chef blendete sie Investor*innen mit ihrer Extravaganz und
       einer Vita, die sich abseits gängiger akademischer Pfade bewegte. Erst vor
       wenigen Wochen ist Holmes wegen Betruges zu einer über elfjährigen
       Haftstrafe verurteilt worden. Ihr Unternehmen „Theranos“ entwickelte
       niemals ein funktionierendes Gerät für ein vereinfachtes Bluttestverfahren.
       
       ## Die Entzauberung des Start-Ups
       
       Serien wie „WeCrashed“ und „The Dropout“ kann man bei aller erzählerischen
       Finesse, fantastischer Besetzung und hochwertiger Umsetzung vorwerfen, mit
       ihrem Fokus auf die gefallenen „Genies“ des Silicon Valley dessen Mythos
       noch zu nähren. Allerdings sind sie im Hinblick auf das, was sie zu einer
       neuen Unternehmenskultur vermitteln, die sich spätestens in den späten
       2010er Jahren auch hierzulande Bahn brach, überaus erhellend.
       
       Ebenso wie „Super Pumped: Der Kampf um Uber“ – seit Kurzem auf Paramount+
       in Deutschland zu sehen – sind diese Serien eine Entzauberung des
       Start-Ups. Wie die Geschichte um den Gründer der Taxi-App, Travis Kalanick
       (Joseph Gordon-Levitt), besonders eindrücklich vor Augen führt, ließen sich
       Investor*innen und Kund*innen von der Verheißung locken, dass
       wahlweise Geschichte geschrieben, die Welt verändert, gar das Leben der
       Menschen verbessert werden würde. Aber nicht nur die.
       
       Sondern auch die Mitarbeitenden. Alle drei Produktionen unterstreichen, wie
       weit dieses Sinnversprechen im Arbeitskontext trägt, wie groß die
       Bereitschaft zur Selbstausbeutung ist, solange die innere Überzeugung da
       ist, durch seine Tätigkeit ein Teil von etwas Bedeutsamen zu sein – und wie
       dieses Versprechen erzeugt und am Leben gehalten wird. „WeWork“, „Theranos“
       und „Uber“ betonen unaufhörlich ihren Pioniergeist, der von einer in
       flachen Hierarchien organisierten Belegschaft getragen wird, die als
       „Familie“ bezeichnet wird. Mit Gesten wie ausschweifenden Partys oder
       Sommercamps sollen Wertschätzung demonstriert und Gemeinschaft zelebriert
       werden.
       
       Wie leer dieses Versprechen ist, führt das eigentliche Geschäftsgebaren vor
       Augen: In den allesamt auf aufwendig recherchierten Podcast-Reihen oder
       Büchern basierenden Serien ist zu verfolgen, wie katastrophal die Lage am
       Arbeitsplatz tatsächlich ist. Uber-Fahrer*innen werden in prekäre
       Beschäftigungen gedrängt, in den Büros herrscht eine sexistische
       Macho-Kultur, Überwachung und Dauerverfügbarkeit sind nicht die Ausnahme,
       sondern die Regel.
       
       ## Sinnentleerte Arbeitswelt
       
       „Corporate Bullshit“ bildete allerdings auch jenseits der desillusionierten
       Start-Up-Szene einen Fokus des vergangenen Serienjahres. Mit
       [4][„Severance“] schuf Dan Erickson eine bissige Satire auf eine
       Arbeitswelt, die sich nicht nur aufgrund des schädlichen Geschäftsgebarens
       als Mittel zur Identifikation disqualifiziert, sondern auch über die
       stupide Routine, die mancher sinnentleerter Job erfordert.
       
       Hauptfigur Marc (Adam Scott) arbeitet in der „Macrodata
       Refinement“-Abteilung des Großkonzerns „Lumon“. Seine Aufgabe besteht
       darin, Zahlenfolgen in Kategorien einzuteilen. Obgleich die Vorgesetzten
       die Bedeutsamkeit der Abteilung betonen, weiß keine*r der Mitarbeitenden,
       was das Unternehmen eigentlich tut oder was sie mit ihrer Arbeit bewirken.
       
       Der metaphorische Gehalt der Apple-Serie ist mehr als ein bloßer Verweis
       auf die Schwierigkeit einer gesunden Work-Life-Balance: „Lumon“ bietet
       seinen Angestellten an, sich einen Chip ins Gehirn verpflanzen zu lassen,
       durch den die Erinnerungen von Privat- und Berufsleben streng getrennt
       werden. Überschreiten Mark und seine Kolleg*innen die „dissoziative
       Schwelle“ des Büros, können sie sich drinnen nur noch an die Geschehnisse
       am Arbeitsplatz erinnern.
       
       ## Quit Quitting – traurig, aber nachvollziehbar
       
       Ebenfalls als Mahnung vor dem „Corporate Bullshit“ verstehen kann man die
       Serie „Upload“ von Amazon. In deren zweiter Staffel geht es um eine
       technische Entwicklung, die es ermöglicht, das Bewusstsein von Verstorbenen
       in eine digitale Welt hochzuladen. Je nachdem wie zahlungskräftig der Tote
       ist, gestaltet sich das Jenseits komfortabel – oder lediglich als
       Fortsetzung des Diesseits.
       
       Die Fragen, die sich hier aufwerfen, sind ebenso zynisch wie treffend:
       Müssen wir zu einem Niemand werden, unser eigentliches Selbst, Wünsche und
       Ziele ausblenden, um bedeutungsleere Tätigkeiten zu ertragen? Gibt es das
       gute Leben erst nach dem Tod – und gegen Bezahlung? Oder im Hinblick auf
       gegenwärtige Debatten anders ausgedrückt: Ist „Quiet Quitting“ nicht eine
       traurige, aber letztlich [5][nachvollziehbare Reaktion auf eine
       Arbeitswelt], die jedem menschlichen Sinnbedürfnis zuwiderläuft?
       
       Dass sich gerade jetzt auffallend viele Serien mit „Corporate Bullshit“
       beschäftigen, muss nicht darauf hindeuten, dass das kapitalistische
       Versprechen von Wohlstand und Freiheit durch Arbeit tatsächlich am Ende
       ist. Allerdings ist auch seine jüngere Erweiterung „Selbstverwirklichung
       für alle“ in der mainstreamigen Serienwelt angekommen. Das verdeutlicht,
       wie offen auch diese mittlerweile angezweifelt wird.
       
       6 Jan 2023
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) [4] /Severance-bei-Apple-TV/!5831606
 (DIR) [5] /Junge-Menschen-in-der-Arbeitswelt/!5884268
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Arabella Wintermayr
       
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