# taz.de -- Wenn Arbeitgeber Lohn einbehalten: Ein Fonds gegen Ausbeutung
       
       > Der Lohn unbequemer Mitarbeitender wird oft einbehalten. Der Fonds
       > „Payday“ soll kämpferischen Arbeiter:innen und Betriebsrät:innen
       > helfen.
       
 (IMG) Bild: Die Arbeitsbedingungen bei vielen Lieferdiensten sind alles andere als vorbildlich
       
       Berlin taz | Auf den Lieferdienst Lieferando ist Moritz W. nicht gut zu
       sprechen. „Selbst wenn wir ausklammern, dass jedes Unternehmen Geld von
       Arbeiter:innen stehlen muss, um Profite erwirtschaften zu können,
       stellen wir fest: Bei [1][Lieferando] sind alle von Lohnrückständen
       betroffen“, berichtet er.
       
       Moritz W. ist Mitglied des Betriebsrats von Lieferando und Teil der
       Betriebsgruppe Lieferando Workers Collective Berlin. Im Gespräch mit der
       taz zählen er und sein dort ebenfalls aktiver Kollege Dorian R., die beide
       nicht mit ihrem vollen Namen in der Zeitung stehen wollen, diverse Formen
       von „Lohndiebstahl“ auf.
       
       Da sei die einfache Form, die auf der Lohnabrechnung oder dem Kontoauszug
       ablesbar sei. Außerdem gebe es indirekte Lohnkürzungen: fehlende Schichten
       inklusive ausbleibenden Trinkgelds, falsch berechnete Urlaubs- und
       Krankheitstage oder mangelhaftes Equipment, das am Ende durch brauchbarere
       Alternativen aus der eigenen Tasche ersetzt werden müsse. Jedes Element der
       Arbeitsbeziehung sei für Lieferando eine Gelegenheit, Geld zu verweigern.
       
       „Würde all das bezahlt, was uns rein rechtlich zusteht, hätten wir 30
       Prozent mehr Geld in der Tasche“, sagt Dorian R. Die Verbreitung und
       Bedeutung von Lohnrückstand in der Arbeitswelt ist kaum erforscht. Gleiches
       gilt für [2][Union Busting] oder Angriffe auf Betriebsräte und aktive
       Beschäftigte allgemein. Doch mit den [3][Problemen, die die beiden
       Lieferfahrer schildern], beschäftigt sich in Berlin eine Gruppe von
       Gewerkschafter:innen und Betriebsrät:innen intensiv.
       
       ## Konkurrenz für Gewerkschaften?
       
       Neben Moritz W. sind auch Ruth Kreuzer und Jona Schapira Teil eines kleinen
       Kreises, der sich über den jahrelangen Arbeitskampf bei dem inzwischen
       geschlossenen Berliner Ableger der Hostelkette Wombat’s kennengelernt
       hatte. Sie sind überzeugt: Lohnentzug ist ein bedeutendes Phänomen. „Man
       hört das aus Katar – und alle sind schockiert, aber es ist auch in
       Deutschland eine sehr verbreitete Strategie“, meint Kreuzer, die sich als
       Schulsozialarbeiterin im Betriebsrat engagiert.
       
       Lohnraub werde strategisch eingesetzt, um aktive Beschäftigte in ihrer
       Organisierung zu stören oder Arbeitskämpfe lahmzulegen, erklärt Jona
       Schapira. Sie arbeitet als Bildungsreferentin am Anne Frank Zentrum in
       Berlin und ist dort in der Verdi-Betriebsgruppe aktiv. Besonders in
       prekären Berufen führe der Lohnentzug dazu, dass engagierte
       Arbeiter:innen sich nach einem neuen Arbeitsplatz umsähen. „Damit sind
       die Aktiven, die Solidarität leben und sich für Rechte einsetzen, weg vom
       Arbeitsplatz“, so Schapira.
       
       „Wenn alle mit ihren einzelnen Repressionen zu tun haben, ist keine Zeit
       für kollektives Organisieren“, sagt Kreuzer. „Wir wollen stattdessen unsere
       Kolleg:innen darin unterstützen, ihre Konflikte führen zu können.“ Um
       dies zu ermöglichen, hat die Gruppe mit „Payday“ einen Fonds eingerichtet,
       der den Lohnrückstand bei kämpfenden Kolleg:innen ausgleichen soll. Per
       mehrsprachigem Online-Formular kann mit der Gruppe Kontakt aufgenommen
       werden. Nach einem ersten persönlichen Treffen wird über die Freigabe der
       Gelder entschieden.
       
       Payday befindet sich im Aufbau und wirbt um Spenden. Zudem beschränkt sich
       der Fonds derzeit noch auf Arbeiter:innen, deren Monatseinkommen 1.800 Euro
       brutto nicht überschreitet und die in Berlin wohnen. Die Initiative hofft
       aber, dass sich im Laufe der Zeit andernorts weitere Ableger von Payday
       gründen. Sie versteht sich nicht als Konkurrenz zu den Gewerkschaften.
       Stattdessen soll mit dem Vorteil der Handlungsschnelligkeit einer kleinen
       Gruppe deren Arbeit ergänzt werden. Mit dem Fonds könne im besten Falle aus
       einzelnen erfolgreichen Geschichten eine kollektive Erzählung vom Gewinnen
       erwachsen, ist Schapira überzeugt.
       
       ## „Ein Abschreckungsinstrument“
       
       Eigentlich sind die Arbeitsgerichte für die Feststellung von unrechtmäßigem
       Lohnrückbehalt zuständig. Ein Prozess zieht sich jedoch nicht selten über
       zwei Jahre hin. Wenn Betroffene materiell von ihrem monatlichen Lohn
       abhängig sind, kommen diese Entscheidungen zu spät. Und ein weiteres
       Problem benennt Schapira: „Wenn der Fall dem Gericht vorgelegt wird, kommt
       es nicht zur Prüfung, ob eine gewerkschaftsfeindliche Strategie
       dahintersteht.“
       
       An der Technischen Universität Chemnitz befasst sich der Arbeitssoziologe
       Oliver Thünken mit Gewerkschaften und Betriebsräten. Er ist Mitautor einer
       aktuellen Studie, die Angriffe gegen aktive Arbeiter:innen genauer
       untersuchte.
       
       Solche Attacken hätten auch eine Dimension jenseits des angegriffenen
       Individuums, sagt er: „Der strategische Gehalt liegt darin, Einzelne, die
       sich engagieren, exemplarisch abzustrafen.“ Das führe der Belegschaft vor,
       dass bei entsprechendem Handeln Konsequenzen zu befürchten seien. „Es ist
       ein Abschreckungsinstrument“, so Thünken.
       
       Für den Wissenschaftler hat sich gezeigt: „Trotz aller Angriffe auf
       Einzelne ist es wichtig, deren Abwehr in eine eigenständige
       betriebspolitische Strategie einzubinden.“ Das bestätigt auch
       Lieferando-Betriebsrat Moritz W.: „Kleine Dinge verbessern sich, aber nur
       solange wir Druck machen. Ohne den bekommen wir nichts oder Alibilösungen
       wie Winterhandschuhe im Wert von 50 Cent.“
       
       Auch Dorian R. begrüßt die Idee von Payday. „Aber wenn wir bestimmte Dinge
       verändern wollen, gibt es keine Alternative, als dass wir uns als
       Arbeit:innen leidenschaftlich zusammentun“, sagt er. Die
       Payday-Initiative will dafür in den Erstgesprächen die kollektiven
       Handlungsmöglichkeiten der Angegriffenen ausloten. Denn, so
       Verdi-Aktivistin Schapira: „Eine organisierte Belegschaft mit einer
       gemeinsamen Strategie ist die beste Prävention vor künftigen Angriffen auf
       Arbeiter:innen, ob diese nun durch Lohnklau oder in anderer Form erfolgen.“
       
       15 Dec 2022
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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