# taz.de -- Landwirtschaft und Ernährungssicherheit: Gift aus dem Ausland
       
       > Kleinbauern in Uganda verwenden Pestizide, die in Europa verboten sind.
       > Nun will Deutschland auch deren Export untersagen. Welche Folgen hätte
       > das?
       
 (IMG) Bild: Faustine Mugalula versprüht Insektizide, ohne Schutzkleidung. Aber sie steigern seine Erträge
       
       Kampala taz | Faustine Mugalula schraubt die kleine Plastikflasche auf und
       schüttet vorsichtig etwas Flüssigkeit in einen Messbecher. „25 Milliliter
       auf 20 Liter Wasser reichen aus, um meinen Garten zu sprühen“, sagt er und
       kippt die Flüssigkeit in einen mit Wasser gefüllten Kanister, den er sich
       auf den Rücken schnallt. Auf dem Etikett der Flasche steht: „giftig“.
       
       Mugalula bindet sich ein rotes bereits löchriges Stofftuch um Mund und Nase
       und nimmt das Spritzrohr in die Hand. In Gummistiefeln stapft er in seinen
       Gemüsegarten, um Raupen und anderen Schädlingen auf seinen
       Auberginenpflanzen den Garaus zu machen.
       
       Mugalula ist 50 Jahre alt, ein hagerer Mann mit grauen Bartstoppeln im
       Gesicht. Sein Acker liegt in einem kleinen Dorf im Süden Ugandas, rund 30
       Kilometer von der Hauptstadt Kampala. Er ist einer von Millionen von
       Kleinbauern im Land, der regelmäßig seine Tomaten, Auberginen und Bohnen
       mit Pestiziden besprüht. „Das erhöht meine Erträge“, sagt er und zeigt auf
       die sechs Kinder, die vor seinem Haus mit unverputzten Mauern
       Mensch-Ärgere-Dich-Nicht spielen. „Ich verkaufe meine Ernte, um davon die
       Schulgebühren zu bezahlen“, sagt Mugalula.
       
       Seit sieben Jahren sprühe er, sagt er und erzählt, wie es dazu kam. Ein
       Vertreter einer Firma kam ins Dorf und erklärte ihnen, dass die Pflanzen
       mit Chemikalien besser wachsen. Einer von Mugalulus Nachbarn kaufte sich
       spontan eine Flasche und seine Ernte war sehr gut. Das hat ihn überzeugt
       und deshalb fährt Mugalulu regelmäßig nach Kampala, um dort das
       Pflanzenschutzmittel zu besorgen.
       
       Faustine Mugalula hilft das Gift aus dem Ausland dabei, seine Familie zu
       ernähren. Aber in Zukunft muss er die Schädlinge womöglich anders
       bekämpfen. Denn es gibt – nicht zuletzt in Deutschland – Bestrebungen,
       giftige Insektenbekämpfungsmittel vom Markt zu verbannen. Das hätte
       Auswirkungen nicht nur auf die Arbeit von Landwirten, sondern auch auf die
       Geschäfte großer Chemiekonzerne.
       
       Nachdem Faustine Mugalula fertig gesprüht hat, hängt feiner Sprühnebel
       zwischen den Auberginensträuchern. Darunter picken Küken nach Insekten.
       Eine junge Ziege grast nur wenige Meter entfernt. Die Chemikalie riecht
       ätzend, kommt man dem Sprühnebel zu nahe, wird einem übel und man bekommt
       einen Brechreiz.
       
       „Rocket“ steht auf der Plastikflasche. Als Wirkstoffe sind Profenophos und
       Cypermethrin ausgewiesen, die als Nervengifte nicht nur Raupen und
       Kakerlaken, sondern auch alle Bienen im Umkreis töten. Das Produkt ist
       hergestellt worden für Schädlinge auf Baumwoll- oder Tabaksträuchern –
       nicht für essbare Gemüsepflanzen. So steht es in der Packungsbeilage. Die
       Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit kam 2020 zum Schluss, dass
       diese Wirkstoffe Schilddrüsenkrebs hervorrufen können, und stufte die
       Substanz deshalb als „hormonschädlich für den Menschen“ und „wahrscheinlich
       hormonschädlich für die Umwelt“ ein.
       
       „Ich habe keine Probleme damit“, sagt Mugalula und wäscht sich in einer
       Wanne die Hände mit Seife. Das Schmutzwasser kippt er danach ins Gras, das
       die Ziege frisst. Dann bindet er sich das Stofftuch ab und stopft es
       ungewaschen in seine Hosentasche. „Sie haben uns gesagt, dass wir
       Handschuhe und professionelle Schutzmasken tragen sollen“, sagt Mugalula.
       „Aber das Geld dafür spare ich mir.“
       
       Die 100-Milliliter-Flasche, die Mugalula für umgerechnet rund 1,50 Euro
       einkauft, ist in Uganda abgefüllt. Doch die Inhaltsstoffe darin stammen aus
       dem Ausland und müssen importiert werden: aus Indien und China, aber auch
       aus Deutschland.
       
       Auf der Liste der in Uganda zugelassenen Pestizide stehen 109 Namen, die
       legal eingeführt werden dürfen, zum Teil sind das giftige und gefährliche
       Wirkstoffe. 39 davon stammen von deutschen Herstellern, darunter sind die
       Chemie-Giganten Bayer und BASF, aber auch kleinere Unternehmen. Sie liefern
       Pflanzenschutzmittel, die zum Teil in der EU nicht mehr zugelassen sind.
       Darunter beispielsweise das Fungizid Mancozeb von Bayer oder der Wirkstoff
       Friponil von BASF.
       
       Der Export dieser Substanzen aus Europa ist immer noch erlaubt. Laut dem im
       November [1][von der Heinrich-Böll-Stiftung publizierten Pestizid-Atlas]
       genehmigten europäische und britische Behörden in den Jahren 2018 und 2019
       die Ausfuhr von mehr als 140.000 Tonnen an Pestiziden, die innerhalb der EU
       verboten sind. 10.000 Tonnen davon stammen von deutschen Herstellern.
       
       ## Afrika gilt als Absatzmarkt der Zukunft
       
       Hauptabnehmer sind Länder im globalen Süden mit einem großen Agrarsektor
       wie etwa Brasilien. Rund 13 Prozent gehen nach Afrika: nach Kenia,
       Südafrika, Nigeria und auch Uganda. Hier werden sie nicht nur von großen
       Baumwoll-, Mais- oder Schnittblumenbetrieben verwendet, sondern auch von
       Kleinbauern wie Faustine Mugalula.
       
       Der Absatzmarkt in Afrika ist im Vergleich zu anderen Kontinenten noch
       klein, sagt die Ökotoxikologin Silke Bollmohr, die den Pestizid-Atlas mit
       erarbeitet hat. „Afrika wird dementsprechend von der Industrie als großer
       Absatzmarkt der Zukunft betrachtet.“
       
       Doch daraus wird womöglich nichts werden. „Es geht nicht an, dass wir nach
       wie vor Pestizide produzieren und exportieren, die wir bei uns mit Blick
       auf die Gesundheit der Menschen zu recht verboten haben“, erklärte
       [2][Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir von den Grünen] im September.
       Mit einer neuen Verordnung wolle er das im [3][Koalitionsvertrag
       vorgesehene Ausfuhrverbot] umsetzen. Auf taz-Nachfrage konkretisiert seine
       Pressestelle, dass sie den Export von „bestimmten Pestiziden“ untersagen
       wolle, „die in der EU aus Gründen des Schutzes der menschlichen Gesundheit
       nicht zugelassen sind“. Gemeinsam mit Frankreich wolle sich die
       Bundesregierung zudem für einen EU-weiten Exportstopp einsetzen. Welche
       Pestizide das konkret sein werden, stehe jedoch noch nicht fest. Die
       deutsche Verordnung soll im ersten Halbjahr 2023 kommen.
       
       Ein Exportverbot sei lange überfällig, heißt es in einem [4][offenen
       Brief], den 274 Menschenrechtsorganisationen aus 54 Ländern des globalen
       Südens im November an Özdemir geschickt haben. Sie fordern, dass das Verbot
       sowohl fertige Produkte als auch die Wirkstoffe umfasst. Ein Exportverbot
       dürfe auch nur der erste Schritt sein auf dem Weg zu einem weltweiten
       Verbot. Es bedürfe eines strukturellen Umdenkens hin zu biologischen
       Anbaumethoden, damit die Menschenrechte gewahrt blieben.
       
       Die Hersteller sehen das – wenig überraschend – anders. Bayer und BASF
       betonen auf taz-Anfrage, dass ein Exportverbot nicht zielführend sei, wenn
       man Ernährungssicherheit gewährleisten wolle. Landwirte im globalen Süden
       seien auf wirksame Pflanzenschutzmittel angewiesen, „da der Schädlingsdruck
       durch die klimatischen Bedingungen dort viel höher ist als beispielsweise
       in Europa“, heißt es von Bayer. Ein Exportstopp würde den Landwirten gerade
       den Zugang zu den nach höchsten Umweltstandards produzierten Mitteln
       verwehren, argumentiert BASF.
       
       Ugandas Bauern sind nicht unbedingt auf deutsche Produkte angewiesen. Der
       Laden, in dem Bauer Mugalula sein Insektengift kauft, befindet sich in
       einer geschäftigen Straße in der Altstadt von Kampala. „Container City“
       wird der Straßenzug genannt, weil sich hier hunderte containergroße Buden
       aneinander reihen: alle bis unter die Decke voll mit Chemikalien – vom
       [5][Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat] bis hin zu Insektiziden, die keine
       Biene überleben lassen.
       
       In der Bude, wo Mugalula immer einkauft, sitzt die Verkäuferin mit ihrem
       Baby auf dem Schoß. Hannah Balinda heißt sie, 26 Jahre alt, um sie herum
       türmen sich bis unter die Decke Plastikflaschen mit dem Warnhinweis
       „giftig“. Die meisten sind von indischen und chinesischen Herstellern, die
       billige Generika anbieten. An der Wand hinter ihr hängen einige
       Gummihandschuhe und Atemschutzmasken. Doch die verkaufe sie nur selten,
       gibt Balinda zu: „Die Bauern sparen sich meist das Geld dafür.“ Einige der
       Läden in der Nachbarschaft führen schon gar keine Schutzkleidung mehr, weil
       sie sich nicht gut verkaufen, sagen die Verkäufer. Eine geeignete
       Atemschutzmaske kostet drei Mal so viel wie die Plastikflasche, die Bauer
       Mugalula einkauft.
       
       ## „Das wäre nicht gut für das Image“
       
       In einem etwas größeren Laden sortiert der Verkäufer gerade seine neu
       eingetroffene Ware in die Regale. Im vorderen Bereich präsentiert Oduor
       Ambrose sichtbar die Dosen mit Samen, die er frisch aus Deutschland per
       Luftfracht geliefert bekommen hat: Mais, Wassermelonen, Bohnen, Paprika und
       Zwiebeln – hybride Samen aus den Laboren von Bayer Crop Science in
       Leverkusen.
       
       In den Regalen dahinter stehen Plastikflaschen mit Glyphosat und anderen
       Pestiziden von Bayer, die in Kombination mit diesen Samen angewandt werden
       sollen. „Der Mais wächst sonst nicht gut, wenn man nicht sprüht“, erklärt
       er und zückt ein kleines Handbuch. Auf dem Titel eine aufgehende Sonne über
       einem prallen Maisfeld kurz vor der Ernte. Rechts oben: das Bayer-Logo.
       
       In Comic-artigen Bildern und Fotos ist in dem Handbuch erklärt, für was
       welches Produkt wie angewendet werden soll – und welche Schutzkleidung
       vorgesehen ist: Handschuhe, Ganzkörper-Schutzanzug, Schutzbrille,
       Gummistiefel, Mütze; sowie der Hinweis, dass man sich nach der Anwendung
       duschen und die Schutzkleidung waschen soll. „Wir wollen ja nicht, dass die
       Bauern sterben, wenn sie unsere Produkte anwenden“, sagt Ambrose und lacht:
       „Das wäre nicht gut für das Image.“
       
       Landesweit führt seine Firma im Auftrag von Bayer Trainings zur sachgemäßen
       Anwendung durch, sagt er. Auf seinem Handy zeigt er Fotos in einer
       Whatsapp-Gruppe, die er für Kunden aufgesetzt hat. Darin tauschen sich die
       Bauern aus, welches Mittel am besten wirkt, wie man sie am besten anwendet
       – sie machen damit auch indirekt Werbung.
       
       Unter seinen Kunden sind vor allem Farmbesitzer, die große Flächen als
       Monokulturen mit Pestiziden besprühen und mehr Geld erwirtschaften, sich
       also theoretisch die Schutzkleidung leisten können, erklärt er: „Unsere
       Produkte sind viel teuer als die Generika aus Indien und China nebenan“,
       sagt Ambrose und zeigt auf die 100-Milliliterflasche „Belt“ von Bayer.
       Darin sind dieselben Wirkstoffe wie in Bauer Mugalulas Flasche, nur ist die
       hier zehn mal so teuer.
       
       ## Die Bestimmungen sind unzuverlässig
       
       Auf taz-Anfrage erklärt der Konzern, dass die Trainings, die Agronom
       Ambrose für Bayer in Uganda durchführt, ein Teil des weltweiten
       Verkaufskonzeptes seien: „In den vergangenen Jahren waren dies regelmäßig
       mehr als eine Millionen Trainings durch Bayer pro Jahr“, schreibt die
       Pressestelle in Leverkusen. In Ländern, in denen ein wie auf dem Label
       vorgeschriebener sicherer Umgang mit Pflanzenschutzmitteln nicht
       gewährleistet werden könne, würden diese Pflanzenschutzmittel nicht
       vertrieben.
       
       Sowohl Bayer als auch BASF argumentieren, dass allein die Tatsache, dass
       ein Pflanzenschutzmittel nicht in der EU zugelassen sei, nichts über dessen
       Sicherheit aussage. „Auch viele andere Zulassungsbehörden auf der ganzen
       Welt verfügen über sehr robuste und hochentwickelte Regulierungssysteme zum
       Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt“, so die
       Bayer-Pressestelle.
       
       Doch wie unzuverlässig die Bestimmungen der ugandischen Zulassungsbehörde
       sind, zeigt sich bereits bei der Liste der zugelassenen Pestizide. Dort
       sind drei Vertriebe gelistet, die deutsche Produkte importieren dürfen. Die
       Firma Faith Agro Inputs, für die Ambrose arbeitet, steht nicht darauf.
       Warum, darüber will er keine Auskunft geben, auch nicht, wie er ohne Lizenz
       die Bayer-Produkte ins Land bekommt.
       
       Und auch bei den gelisteten Firmen ergeben sich Fragezeichen. Zum Beispiel
       bei Agrifarm, die laut Liste den Universaldünger Wuxal von Aglukon aus
       Düsseldorf bezieht. Dort geht trotz mehrfacher Versuche niemand ans
       Telefon. Die Firma Agafam importiert von DVA Agro aus Hamburg neben
       Glyphosat auch das hormonschädliche Mancozeb sowie das
       Schädlingsbekämpfungsmittel Fipronil von BASF, das in der EU nach einem
       Skandal mit vergifteten Eiern seit 2018 verboten ist.
       
       Agafam war bis 2019 in Uganda ein führendes Unternehmen, das vor allem in
       den sozialen Netzwerken Werbung für die deutschen Produkte gemacht hat. Wer
       heute die Telefonnummer aus der Werbung anruft, bekommt die Ansage: „Diese
       Nummer ist nicht vergeben.“ Unter der genannten Adresse in einer Kleinstadt
       außerhalb von Kampala gibt es keinerlei Hinweise auf die Firma, nicht
       einmal ein Logo. Dort verkauft eine junge Frau Wasserhähne und Klobrillen.
       
       Auf der Importliste findet sich eine weitere Telefonnummer von Agafam. Der
       Ugander, der ran geht, will seinen Namen nicht nennen. „Ich habe nur meine
       Kontaktdaten für die Lizenz hergegeben – mit Chemikalien habe ich selbst
       nichts zu tun“, sagt er. Per SMS schickt er die Telefonnummer von der Bayer
       East Africa, einer Tochterfirma mit Sitz im benachbarten Kenia, von wo aus
       die ganze Region beliefert wird.
       
       Auch die Firma Uganda Crop Care bezieht von Bayer aus Kenia. Sie ist
       marktführend im Vertrieb deutscher Pestizide in Uganda und zählt zu den 100
       führenden mittelständischen Unternehmen des Landes. Firmenchef Sharad Kumar
       Singh ist geborener Inder. Wie so viele seiner Landleute hat er sich vor
       zwölf Jahren in Uganda niedergelassen. Sein Warenhaus liegt im
       Industrieviertel von Kampala. Darin türmen sich blaue 200-Liter-Fässer voll
       mit Glyphosat aus Leverkusen. Davor stehen rund 20 neue Motorräder, mit
       denen er seine Angestellten zu den abgelegenen Dörfer schickt, um die
       Bauern frei Haus zu beliefern.
       
       An den Wänden des kleinen Büros hängen Fotos des Firmenchefs mit Ugandas
       Präsident Yoweri Museveni. Zu seinen Kunden zählen vor allem Blumenzüchter,
       die ihre Tulpen und Rosen per Luftfracht in die Niederlande exportieren,
       sowie Baumwoll- und Teefarmer, die fast ausschließlich für den Export
       produzieren – ein wichtiger Sektor für Ugandas Wirtschaft. Singh will alle
       Fragen beantworten.
       
       Unter seinen Kunden seien nur wenige Lebensmittelproduzenten, sagt er. Doch
       auch für diese sei die Anwendung deutscher Pestizide wesentlich: „Unsere
       Mittel sind für die Ernährungssicherheit in Uganda von zentraler
       Bedeutung“, sagt Singh. Bei der Frage, welche Folgen ein Exportverbot
       bestimmter Wirkstoffe für sein Unternehmen habe, macht er große Augen.
       Davon habe er noch nichts gehört. Und er findet ein solches Verbot falsch.
       Zwar wisse er als promovierter Chemiker genau, dass einige Substanzen
       krebserregend sind. Auf der anderen Seite: Die Bauern müssen auch etwas
       ernten, damit sie genug zu essen haben. „Die Folgen muss man also abwägen.“
       
       Singh zeigt auf den Stempel des Landwirtschaftsministeriums auf seinen
       Importlizenzen mit dem Verweis auf Bayer, BASF und den Schweizer
       Chemiekonzern Syngenta. „Ugandas Regierung macht hier einen guten Job“,
       sagt er. Die Bevölkerung schützen und gleichzeitig Hungerkatastrophen
       verhindern.
       
       Ugandas Landwirtschaftministerium ist eine der wichtigsten Behörden im
       Land, Anfragen beantwortet es aber nur ungern. Die Pressesprecherin erklärt
       am Telefon, dass der Beauftragte für Pflanzenschutz für diese Fragen
       zuständig sei. Als die taz ihn anruft, verlangt er, alle Fragen schriftlich
       sehen zu wollen, bevor er sich zu einem Interview bereit erklärt. Beim
       nächsten Telefonat wimmelt er ab: „Sie sollten mit dem Staatssekretär dazu
       sprechen.“ Doch der ist nicht erreichbar.
       
       Dafür ist man in Ugandas Umweltbehörde NEMA auskunftswillig. Dort ist der
       promovierte Chemiker Jerome Lugumira zuständig für Probleme mit der
       Bodenqualität, auch für die Langzeitfolgen durch Pestizideinsatz. Er
       vertritt die Umweltbehörde in jenem Gremium des
       Landwirtschaftsministeriums, das über die Importlizenzen entscheidet. „Es
       ist ein riesiges Pro-blem“, sagt Lugumira, und seufzt.
       
       Lugumira, 46, sitzt in einem dunklen vollgestellten Büro und zeigt auf ein
       Ringbuch in seinem Regal, in welchem er die jüngsten internationalen
       Studien zu Langzeitfolgen von Pestiziden abgeheftet hat. „Leider gibt es
       bei uns absolut keine Dokumentation dazu, wie diese Produkte angewandt
       werden und wie viel“, sagt er. „Wir können lediglich über die Importsteuer
       nachvollziehen, wie viele dieser Produkte ins Land kommen, aber nicht, wie
       viele verwendet werden und nach welchen Standards.“
       
       Das größte Problem, so Lugumira, sei die falsche Anwendung der Chemikalien.
       „Sie werden überdosiert oder falsch angewandt, zum Beispiel in der
       Regenzeit, wenn der Regen sie einfach wegspült“, sagt er. Trainings wie die
       von Bayer biete die Regierung nicht an, sagt er. Dafür fehle es an Geld.
       „Wir überlassen das Problem der sicheren Anwendung also den Herstellern,
       die ja keine neutralen Experten sind.“
       
       Im Landwirtschaftsministerium gebe es kaum Expertise zu Pestiziden.
       Diejenigen, die über die Einfuhrlizenzen entschieden, tagten maximal drei
       Mal im Jahr, sagt er. Sie hätten gar keine Kapazitäten, sich mit all den
       Studien zu beschäftigen. „Das ganze System der Zulassung ist absolut
       korrupt“, sagt Jerome Lugumira. Ein Ausfuhrverbot Deutschlands und der EU
       für extrem gesundheitsschädliche Stoffe würde er deswegen begrüßen.
       
       Lugumira verweist auf einen Vorfall vor mehr als zehn Jahren. Damals wurden
       hohe Werte des Insektengifts DDT, das zur Malaria-Bekämpfung eingesetzt
       wird und bereits in den 1980ern weltweit in Verruf geraten war, in
       [6][Fischen aus dem Victoriasee] festgestellt. Die EU verhängte 1999 einen
       Importstopp auf den Victoriabarsch, eine teure Delikatesse in Europa und
       ein lukratives Exportprodukt Ugandas. Das hat Ugandas Wirtschaft über Jahre
       hinweg enorm geschadet: „Doch die Regierung hat nichts daraus gelernt“,
       sagt Lugumira. Sie habe zwar den Import von DDT untersagt, doch bis heute
       finde er immer wieder DDT-Produkte auf dem Markt. „Da fragt man sich, wie
       die eigentlich ins Land kommen.“
       
       8 Jan 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.boell.de/de/pestizidatlas
 (DIR) [2] /Landwirtschaftsminister-Cem-Oezdemir/!5897278
 (DIR) [3] /Ausfuhren-von-Pestiziden/!5881249
 (DIR) [4] https://panap.net/2022/11/274-global-south-civil-society-groups-yes-to-german-export-ban-on-eu-banned-pesticides/
 (DIR) [5] /Schwerpunkt-Glyphosat/!t5008469
 (DIR) [6] /Victoriasee-in-Uganda/!5713745
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Simone Schlindwein
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Pestizide
 (DIR) Schwerpunkt Bayer AG
 (DIR) BASF
 (DIR) Landwirtschaft
 (DIR) Export
 (DIR) Gesundheit
 (DIR) Umwelt
 (DIR) Cem Özdemir
 (DIR) Europäische Union
 (DIR) IG
 (DIR) Recherchefonds Ausland
 (DIR) Schwerpunkt Pestizide
 (DIR) Kenia
 (DIR) Schwerpunkt Pestizide
 (DIR) Landwirtschaft
 (DIR) Schwerpunkt Bayer AG
 (DIR) Schwerpunkt Bayer AG
 (DIR) Schwerpunkt Pestizide
 (DIR) Schwerpunkt Pestizide
 (DIR) Humanitäre Hilfe
 (DIR) Hunger
 (DIR) Schwerpunkt Pestizide
 (DIR) Lesestück Recherche und Reportage
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Gesundheitsgefahren durch Ackergifte: EU exportiert mehr hierzulande verbotene Pestizide
       
       Die Menge habe sich seit 2018 mehr als verdoppelt, sagen Umweltschützer.
       Ein UN-Beauftragter wirft den Europäern wegen der Ausfuhren Doppelmoral
       vor.
       
 (DIR) Ernährungssicherheit in Kenia: Die Hungerkrise ist politisch
       
       Extreme Überschwemmungen wie jüngst in Kenia verstärken Ernährungskrisen.
       Es brauche bessere Planung, fordern Kleinbäuer*innen.
       
 (DIR) Gesundheitsschädliche Chemikalien: FDP blockiert Pestizid-Exportverbot
       
       Vor einem Jahr kündigte Agrarminister Özdemir an, die Ausfuhr von in der EU
       verbotenen Ackergifte zu untersagen. Beschlossen ist das immer noch nicht.
       
 (DIR) Patente auf Lebensmittel: Pflanzen im Scherenschnitt
       
       Bestimmte Techniken zur Genveränderung von Pflanzen sollen nicht mehr
       ausgewiesen werden. Die Biobranche sieht vor allem die Patentierung
       kritisch.
       
 (DIR) Rückzug von Bayer-Chef wegen Glyphosat: Milde Strafe für Totalversagen
       
       Bayer-Chef Baumann ignorierte Warnungen vor dem Kauf des
       US-Glyphosat-Herstellers Monsanto. Nun steht Bayer vor der Zerschlagung.
       
 (DIR) Personalwechsel bei Pestizidkonzern: Bayer-Chef geht wegen Glyphosat
       
       Vorstandschef Baumann verantwortet den Kauf des Pestizidherstellers
       Monsanto. Die Gewerkschaft IG BCE lehnt es ab, den Konzern nun zu
       zerschlagen.
       
 (DIR) Pestizide im Obstanbau: Gift für Äpfel aus Südtirol
       
       Die EU erfasst nicht zentral, wie viele Pestizide wo ausgebracht werden.
       Nun zeigen Daten, dass 2017 im Vinschgau täglich gespritzt wurden.
       
 (DIR) Streit über Bienenkiller: Umweltschützer:innen loben EuGH
       
       Mitgliedstaaten dürfen die von der EU verbotenen Pestizide Thiamethoxam und
       Clothianidin nicht zulassen. Das hat der Europäische Gerichtshof
       entschieden.
       
 (DIR) Zu wenig Berichterstattung laut NGO Care: Vergessene Krisen in Afrika
       
       Viele globale Krisen – insbesondere in Zentralafrika – gehen in der
       derzeitigen medialen Berichterstattung unter. Das fand eine internationale
       NGO heraus.
       
 (DIR) Gates-Stiftung in Afrika: Das Ende der Grünen Revolution?
       
       Bill Gates will industrielle Landwirtschaft und Hybridsaatgut fördern.
       Erzeuger:innen kritisieren den Ansatz. Es geht ums System.
       
 (DIR) In der EU nicht zugelassene Pestizide: Exportverbot mit Schlupflöchern
       
       Ackergifte, die in der EU verboten sind, sollen auch nicht exportiert
       werden dürfen. Kleinbauern im Globalen Süden begrüßen das grundsätzlich.
       
 (DIR) Landwirtschaftsminister Cem Özdemir: Fast ganz oben
       
       Cem Özdemir hat viel erreicht. Er ist Bundesminister – wenn auch nur für
       Landwirtschaft – und wirkt größer als sein Amt. Geht da noch mehr?