# taz.de -- Razzia bei Reichsbürgern: Die Putschpläne des Prinzen
       
       > Rechtsextremen werden Umsturzpläne vorgeworfen. An ihrer Spitze: Ein
       > abgedrifteter Adliger.
       
       Im August noch war Heinrich Prinz Reuß, der auch unter dem Adelstitel Prinz
       Heinrich XIII. firmiert, in seiner Heimatgemeinde Bad Lobenstein zum
       Empfang des Bürgermeisters eingeladen. Schon da sorgte der Auftritt für
       Unruhe. Ein Lokaljournalist fragte bei Stadtoberhaupt Thomas Weigelt nach,
       warum denn gerade ein Reichsbürger eingeladen sei – später folgte ein
       [1][Handgemenge des Parteilosen mit dem Reporter], das bundesweit für
       Schlagzeilen sorgte.
       
       Nun sorgt Heinrich Prinz Reuß wieder für Schlagzeilen – aber auf einem ganz
       anderen Niveau. Am Mittwochmorgen gegen 6 Uhr tauchten Polizeibeamte an
       seinem Thüringer Jagdschloss und vor einem Frankfurter Altbau auf, wo der
       71-Jährige eine Finanzberatung betreibt – und nahmen ihn fest. Fotos
       zeigen, wie er in Karosakko, blauem Hemd und mit Schutzmaske abgeführt
       wird. Die Bundesanwaltschaft hatte die Beamten geschickt. Und der Vorwurf
       gegen Prinz Reuß wiegt schwer: Er soll Anführer einer terroristischen
       Vereinigung sein.
       
       Neben Prinz Reuß schlugen die Beamten auch in zehn weiteren Bundesländern
       zu, ebenso im österreichischen Kitzbühel und im italienischen Perugia. Gut
       130 Objekte wurden durchsucht von rund 3.000 Beamten, darunter auch die
       Spezialtruppe der GSG 9. Es war die größte deutsche Terrorrazzia seit
       Jahren. 52 Beschuldigte sind im Visier, 25 von ihnen wurden verhaftet.
       Darunter frühere Bundeswehrangehörige, ein suspendierter Polizist, eine
       Ärztin, ein Jurist und die [2][AfD-Politikerin Birgit Malsack-Winkemann].
       Alle bewegten sich im Reichsbürger- und [3][Coronaverharmlosermilieu]. Und
       ihnen allen wird nun die Bildung oder Unterstützung einer terroristischen
       Vereinigung vorgeworfen – und Umsturzpläne. Ziel der Gruppe sei eine
       „gewaltsame Beseitigung“ der Bundesregierung gewesen und die Errichtung
       einer „neuen staatlichen Ordnung“, erklärte die Bundesanwaltschaft.
       
       Neben Prinz Heinrich Reuß, der sich schon länger in der Reichsbürgerszene
       bewegte und als neues „Staatsoberhaupt“ vorgesehen war, gilt der frühere
       Fallschirmjägerkommandeur Rüdiger von P. als zweiter Anführer. Er soll
       den militärischen Arm der Vereinigung geleitet haben.
       
       Spätestens seit Ende November 2021 sollen die Männer Gleichgesinnte um sich
       geschart haben. Gezielt seien aktive oder frühere Bundeswehr- und
       Polizeiangehörige angesprochen worden, die sich in „Heimatschutzkompanien“
       organisieren sollten. Statt die Umsturzpläne den Sicherheitsbehörden zu
       melden, ließen sich die Beschuldigten darauf ein.
       
       Dafür sollen mehrere geheime Treffen stattgefunden haben. Noch im Oktober
       soll der „militärische Arm“ Bundeswehrkasernen in Hessen, Baden-Württemberg
       und Bayern ausgekundschaftet haben, um zu prüfen, ob dort nach einem
       Umsturz „Truppen“ untergebracht werden könnten. In der Gruppe soll auch
       diskutiert worden sein, mit einer kleinen, bewaffneten Gruppe in den
       Bundestag einzudringen. Laut Medienberichten sollten dafür
       elektromagnetische Impulse zu einem Stromausfall führen. Eine konkrete
       Umsetzung soll dann aber nicht bevorgestanden haben.
       
       Die Beschuldigten hätten billigend in Kauf genommen, bei ihren
       Umsturzplänen auch Tötungsdelikte zu begehen, erklärte die
       Bundesanwaltschaft. Eine „tiefe Ablehnung der staatlichen Institutionen“ in
       Deutschland verbinde die Beschuldigten. Sie seien der festen Überzeugung,
       dass die Bundesrepublik eigentlich von Angehörigen eines deep state regiert
       werde. Ihr Ziel sei ein „Systemwechsel auf allen Ebenen“ gewesen.
       
       Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) erklärte, die Ermittlungen ließen
       „in den Abgrund einer terroristischen Bedrohung aus dem Reichsbürgermilieu
       blicken“. Der Rechtsstaat aber werde sich „mit aller Härte gegen die Feinde
       der Demokratie wehren“. Auch Kanzler Olaf Scholz begrüßte die Razzien.
       Justizminister Marco Buschmann (FDP) sprach vom Verdacht eines „bewaffneten
       Überfalls auf Verfassungsorgane“.
       
       Heinrich Prinz Reuß bewegte sich schon länger in der Reichsbürgerszene.
       Bereits 2019 trat er beim sogenannten Worldwebforum in Zürich auf.
       Deutschland sei kein souveräner Staat und bis heute von den Alliierten
       besetzt, erklärte er dort auf der Bühne. Ein Klassiker des
       [4][Verschwörungsmilieus]. Solche Äußerungen setzte der nun 71-Jährige auch
       in der Folgezeit fort. Was seine Familie, ein Thüringer Adelsgeschlecht,
       schon im Sommer veranlasste, sich von ihm „aufs Deutlichste“ zu
       distanzieren. Er habe schon vor 14 Jahren den Familienverbund verlassen und
       sei ein „teilweise verwirrter“ Mann, der „verschwörungstheoretischen
       Irrmeinungen“ anhänge, hieß es in einer Erklärung.
       
       Auch die Sicherheitsbehörden hatten die Auftritte von Heinrich Prinz Reuß
       notiert. Nach taz-Informationen führte der Verfassungsschutz ihn als
       Reichsbürger, die Polizei gar als Gefährder. Die nun als Terroristen
       Beschuldigten sollen sich in seinem Jagdschloss getroffen haben. Geplant
       war ein von ihm angeführter „Rat“, er hatte dafür sogar einen persönlichen
       Referenten. Auch Posten für ein Außenministerium, Gesundheit oder
       Völkerrecht waren schon vergeben – allesamt an Reichsbürger.
       
       Nach taz-Informationen waren die Ermittler bereits im Frühjahr auf das
       Netzwerk gestoßen, als sie mit einer ersten Razzia gegen vier Männer aus
       dem Coronaprotestspektrum vorgingen. Die hatten sich in Telegram-Gruppen
       etwa unter dem Namen Vereinte Patrioten organisiert. Auch ihnen wurden
       Umsturzpläne vorgeworfen und die geplante [5][Entführung von
       Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD)].
       
       Damals hatten Beamte auch die Wohnung von Peter W. durchsucht, einem
       ehemaligen Fallschirmjäger der Bundeswehr, der heute Überlebenskurse in der
       Natur anbietet. Die Ermittler fanden damals Schusswaffen und Munition. Und
       stellten Kontakte zu weiteren früheren Soldaten fest, darunter Rüdiger von
       P., dem zweiten nun beschuldigten Rädelsführer. Im Bundeskriminalamt begann
       daraufhin eine Großermittlung mit etwa 350 Ermittler:innen und einer
       Sonderkommission „Schatten“.
       
       Rüdiger von P. war in den neunziger Jahren Kommandeur des
       Fallschirmjägerbataillons 251 in Calw, aus dem 1996 das Kommando
       Spezialkräfte (KSK) hervorging, der Eliteverband der Bundeswehr. Von P.
       schied damals aus der Eliteeinheit aus, weil er bei der Bundeswehr Waffen
       aus NVA-Beständen entwendete. Nun soll er einer der Anführer der
       Umsturzpläne sein. Allein im Sommer soll er vier konspirative Treffen in
       Baden-Württemberg geleitet haben. Auch sei bereits die Beschaffung von
       Ausrüstung geplant gewesen, ebenso Schießtrainings.
       
       Fallschirmjäger sind von ihrer Ausbildung her für sogenannte
       Tag-X-Szenarien gut vorbereitet. Unter ihnen gibt es auch ein großes
       Traditionsbewusstsein, das oft vor einer Verherrlichung der Wehrmacht nicht
       haltmacht. An aufgeflogenen Umsturzplänen in der Truppe waren in den
       vergangenen Jahren oft Fallschirmjäger beteiligt.
       
       Mehrere Beschuldigte sind außerdem Reservisten, die auch in jüngerer Zeit
       für die Bundeswehr tätig waren. Auch ein aktiver Soldat ist unter den
       Beschuldigten, Andreas M., ausgerechnet stationiert beim KSK in Calw. Es
       handelt sich indes nicht um einen Kommandosoldaten, der Unteroffizier ist
       im Stab eingesetzt. Er war in der Truppe als Reichsbürger und Impfgegner
       aufgefallen, gemeldet und überwacht. Nun wurde auch sein Dienstzimmer in
       der streng gesicherten Kaserne in Calw durchsucht.
       
       Nach Angaben des für extremistische Umtriebe in der Truppe zuständigen
       Militärischen Abschirmdienstes wurden bislang aber keine Verbindungen zu
       anderen KSK-Soldaten gefunden, die als Rechtsextremisten aufgefallen sind.
       Der nun Beschuldigte hatte demnach nichts zu tun mit [6][dem
       Hannibal-Netzwerk] oder dem Netzwerk um den verurteilten KSK-Soldaten
       Philipp Sch., der Sprengstoff und Munition beim KSK entwendet hatte.
       
       Ein anderer nun beschuldigter ehemaliger Soldat hat seine Ansichten ganz
       offen verbreitet. Oberst a. D. Maximilian E. war zu Gründungszeiten im KSK
       und verbreitet als Querdenker schon lange Verschwörungserzählungen. Einmal
       forderte E. auf einer Coronakundgebung, das KSK müsste mal in Berlin
       „ordentlich aufräumen“.
       
       Vor wenigen Wochen erst wurde ein Video veröffentlicht, in dem E. im Wald
       sitzt, er trägt eine Uniform, obwohl ihm ein Uniformtrageverbot auferlegt
       ist. In dem Video schildert er, wie das politische und gesellschaftliche
       System zum Wackeln gebracht werden könne. Er kündigt ein „Nürnberg
       2.0“-Tribunal an, noch vor Weihnachten 2022. Mit einer erneuerten Justiz
       werde abgerechnet, sagt er. „Das wird gewaltfrei und friedlich erfolgen,
       wenn die Leute mitmachen, am besten selber abdanken und irgendwohin
       verschwinden.“
       
       Unter den Festgenommenen ist auch die frühere AfD-Bundestagsabgeordnete und
       Richterin Malsack-Winkemann. Sie war als künftige „Justizministerin“
       vorgesehen. Auch sie wurde am Morgen verhaftet, in ihrem Haus in
       Berlin-Wannsee. Der 58-Jährigen, die bis 2021 im Bundestag saß, war erst im
       Oktober nach einem Rechtsstreit wieder erlaubt worden, in Berlin als
       Richterin zu arbeiten. In der AfD ist sie aktuell Beisitzerin im
       Bundesschiedsgericht.
       
       Im Hinblick darauf, wie sich die mutmaßlichen Putschist*innen Zugang zum
       Bundestag verschaffen wollten, ist die Person Malsack-Winkemann womöglich
       interessant: Laut der Pressestelle des Bundestags verfügt die ehemalige
       AfD-Abgeordnete über einen Ehemaligenausweis und dürfte damit gemäß
       Hausordnung nach einem Sicherheitscheck alle Bundestagsgebäude betreten.
       Aus der Pressestelle des Bundestags hieß es dazu: „Bis zum Vorliegen
       weiterer Erkenntnisse aus dem Ermittlungsverfahren des Generalbundesanwalts
       erhält Frau Malsack-Winkemann keinen Zutritt zu den Liegenschaften des
       Deutschen Bundestages.“
       
       Die Berliner Senatsverwaltung für Justiz hatte kürzlich versucht, die
       Richterin aus dem Dienst zu entfernen. Das Dienstgericht hatte aber keinen
       Anlass gesehen sie in den Ruhestand zu schicken – trotz ihrer
       AfD-Mitgliedschaft, dokumentierter Kontakte zum offiziell aufgelösten,
       rechtsextremen Flügel der AfD sowie ihrer Beteiligung an einer
       Querdenkerdemo im August 2020 in Berlin, die zur Erstürmung der Treppen des
       Reichstages geführt hatte. Das Gericht sah es dagegen als nicht erwiesen
       an, dass Malsack-Winkemann „die Nähe von Parteimitgliedern sucht, die
       rechtsextremistische Ansichten vertreten“. Ebenso sei eine „Nähe zu
       verschwörungstheoretischen Kreisen mit rechtsextremen Hintergrund“ nicht
       nachzuweisen. Parallel lief schon damals gegen Malsack-Winkemann das
       Terrorermittlungsverfahren wegen eines geplanten Staatsumsturzes.
       
       Die Berliner Justizbehörde bestätigte der taz am Mittwoch, dass die
       Berufung gegen das Urteil noch am selben Tag rausgeschickt werden sollte.
       Das habe man allerdings bereits vor der Razzia geplant, die Frist für
       Rechtsmittel läuft bis zum 11. Dezember. Die Berufung dürfte nun um einiges
       leichter zu begründen sein. Julia Önel vom Berliner Kammergericht teilte
       auf Anfrage mit, dass der Präsident des Landgerichts den
       Geschäftsverteilungsplan „per Eilverfügung vom heutigen Tage“ geändert habe
       und Richterin Malsack-Winkemann aus ihrer Kammer 19a für zivilrechtliche
       Bausachen ausscheidet.
       
       In ihrer Zeit im Bundestag war Malsack-Winkemann mit scharfen und
       rassistischen Reden aufgefallen, in denen sie unter anderem Verbindungen
       von Krankheiten und Flüchtlingen andeutete. Der Grünen-Abgeordnete Sven
       Kindler, der mit Malsack-Winkemann im Haushaltsausschuss saß, twitterte
       anlässlich der Durchsuchungen, dass diese dort „oft und lang ihre
       wahnhaften Verschwörungsthesen zu Corona, Impfen, Geflüchteten oder der UN
       ausgebreitet“ habe. Die Hassrede der AfD sei brandgefährlich und führe zu
       Taten.
       
       Malsack-Winkemann ist nicht die einzige festgenommene AfDlerin. Im
       Erzgebirge traf es auch einen früheren AfD-Stadtrat. Die AfD-Spitze gab
       sich zu den Festnahmen schweigsam. Davon habe man erst aus den Medien
       erfahren, erklärten Parteichefs Tino Chruppalla und Alice Weidel. „Wir
       verurteilen solche Bestrebungen und lehnen diese nachdrücklich ab.“ Es
       blieben die Ermittlungen abzuwarten. Konsequenzen in der Partei? Vorerst
       keine.
       
       Auffällig ist auch, dass die Umstürzler die Nähe Russlands suchten – wie
       die Reichsbürgerszene generell. Ziel war offenbar, dass Russland den „Rat“
       um Heinrich Prinz Reuß nach der Machtübernahme als Regierung anerkennt.
       Laut Bundesanwaltschaft soll die Partnerin des Adligen, die
       russischstämmige Vitalia B., dafür Kontakte nach Russland vermittelt haben.
       
       Der Prinz selbst soll nach taz-Informationen auch einmal das russische
       Generalkonsulat in Leipzig besucht haben. Die Bundesanwaltschaft aber hält
       fest, dass es keine Anzeichen gebe, dass russische Ansprechpartner „auf
       sein Ansinnen positiv reagiert haben“. Und auch die russische Botschaft in
       Berlin wies am Mittwoch Verbindungen zur deutschen Reichsbürgerszene
       zurück: Man unterhalte keine Kontakte zu terroristischen Gruppen.
       
       ## Razzia war ein „offenes Geheimnis“
       
       Die Sicherheitsbehörden hatten die Reichsbürgerbewegung lange eher abgetan.
       Erst als [7][2016 ein Anhänger in Georgensgmünd einen Polizisten erschoss],
       änderte sich der Kurs. Der Verfassungsschutz nahm das Milieu genauer unter
       Beobachtung, laut Innenministerium wurden seitdem auch 1.500 Waffenscheine
       in der Szene eingezogen. Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang
       warnte am Mittwoch, von Reichsbürgern gehe „eine anhaltend hohe Gefahr
       aus“. Die Szene habe zuletzt „erheblichen Zulauf erhalten“, das aufgedeckte
       Netzwerk sei „ein Musterbeispiel für die Herausbildung einer neuen
       gewaltorientierten Mischszene“.
       
       Die Linke-Innenexpertin Martina Renner, die seit Jahren das Milieu
       verfolgt, lobte den Schlag der Bundesanwaltschaft, kritisierte aber, dass
       die Razzia seit Tagen „ein offenes Geheimnis“ gewesen sei. Es sei kaum
       vorstellbar, dass niemand der Durchsuchten im Vorfeld Bescheid wusste. Ein
       solches Vorgehen gefährde den ganzen Erfolg der Ermittlungen, monierte
       Renner.
       
       Tatsächlich warteten am Mittwochmorgen schon kurz nach den Razzien einige
       Medien mit sehr detaillierten Berichten auf. Was nicht gänzlich
       ungewöhnlich ist, wenn diese vorab zu solchen Fällen recherchierten und von
       Sicherheitsbehörden womöglich einen Fingerzeig bekamen. Die
       Bundesanwaltschaft war zunächst nicht zu der Frage erreichbar, ob
       Durchsuchte vorab von den Razzien informiert waren.
       
       Generalbundesanwalt Peter Frank berichtete am Mittwochnachmittag vor
       Kameras in Karlsruhe nur von zahlreichen Beweismitteln, die aufgefunden
       wurden und nun ausgewertet würden. Auch seien bereits acht der 25
       Haftbefehle richterlich bestätigt worden. Einer davon gegen Heinrich Prinz
       Reuß.
       
       7 Dec 2022
       
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