# taz.de -- Ein Ortsbesuch in Thüringen: Immer Ärger mit dem Prinzen
       
       > Bei der Razzia im Reichsbürger-Milieu wurde auch das Jagdschloss von
       > Heinrich XIII. Prinz Reuß durchsucht. Was sagen seine Nachbarn?
       
 (IMG) Bild: Das Jagdschloss Waidmannsheil im Ortsteil Saaldorf
       
       Am Donnerstag, [1][einen Tag nach der großen Reichsbürger-Razzia], stellt
       sich der Ofenbauer Andree Burkhardt im Rathaus der thüringischen Kleinstadt
       Bad Lobenstein den Fragen der New York Times. Im Zuge der Razzia zu Beginn
       der Woche wurden in Thüringen zehn Objekte durchsucht. Eines ist das
       Jagdschloss Waidmannsheil im Ortsteil Saaldorf. Besitzer des Anwesens ist
       Heinrich XIII. Prinz Reuß, Familienspitzname „Enrico“. Er gilt als
       mutmaßlicher Kopf der Verschwörer, die einen gewaltsamen Putschversuch
       gegen die Bundesregierung geplant haben sollen.
       
       „Es muss im Sommer gewesen sein, als wir uns das erste Mal Gedanken über
       den Prinz gemacht haben“, sagt Andree Burkhardt, der kommissarisch die
       Geschäfte der Stadt zusammen mit einem Kollegen führt. Jeder Bad
       Lobensteiner habe ein Schreiben im Briefkasten gefunden. Der wirre Brief
       begann mit der Frage: „Haben Sie auch das Gefühl, daß in diesem Land etwas
       nicht stimmt?“
       
       Laut der Zuschrift seien die Deutschen staatenlos und hätten damit keine
       Rechte. Doch es wurde in dem Brief eine Lösung geboten, wie man ein
       richtiger Deutscher werden könne. Unter
       www.meldestelle-staatsangehoerige-reuss.de könne man seine
       Staatsangehörigkeit nachweisen, „die Sie durch Geburt und Abstammung von
       Ihren Ahnen rechtmäßig ererbt haben“.
       
       Am Vormittag ist auch der Lokalreporter Peter Hagen von der Ostthüringer
       Zeitung im Rathaus. Hagen ist in diesen Tagen ein gefragter Mann. Gerade
       hat er den New Yorkern ein Interview gegeben. Ab 16 Uhr könne man ihn
       anrufen. Nicht vorher!
       
       Hagen, 1964 in Bad Lobenstein geboren, wird im Sommer dieses Jahres Teil
       seiner eigenen Geschichte. Nach den ersten Auffälligkeiten des Prinzen
       recherchierte er zu den Verbindungen zwischen dem adeligen Reichsbürger und
       dem Bürgermeister Thomas Weigelt, der diesen zum offiziellen Empfang des
       Bad Lobensteiner Stadtfestes im August geladen hatte.
       
       Hagen will Weigelt an diesem Tag konfrontieren und dessen Reaktion
       dokumentieren. Mit gezückter Kamera geht er auf den Bistrotisch zu, an dem
       Weigelt und der Prinz zusammen mit dem [2][AfD]-Landtagsabgeordneten Uwe
       Thrum stehen. Wie auf dem Video zu sehen ist, geht Weigelt direkt auf den
       Journalisten los. Hagen stürzt und zieht sich Verletzungen am Ellenbogen
       zu. Weigelt ist mittlerweile suspendiert.
       
       Neben dem Angriff auf Hagen werden ihm die finanzielle Schädigung der Stadt
       und Diffamierung von Verfassungsorganen vorgeworfen.
       
       Auf Anfrage der taz sagt Uwe Thrum, er habe auf Einladung des
       Bürgermeisters den Prinzen auf dem Marktfest kennengelernt. „Wir haben uns
       fünf Minuten über Gott und die Welt unterhalten. Weitere Kontakte gab es
       nicht.“ Die Bilder von der Festnahme des Prinzen seien gravierend. Was
       daran gravierend sei, will Thrum nicht sagen.
       
       Am Jagdschloss selbst geht es einen Tag [3][nach der Razzia] ruhig zu. Es
       ist ein grauer Dezembernachmittag. An einer Wiese steht ein blaues Zelt der
       Polizei sowie ein halbes Dutzend Einsatzfahrzeuge. Am Hang des Schlosses
       grasen die beiden Lamas des Prinzen zusammen mit einer Ziege. Auch die
       Kollegen von der New York Times sind da, machen aber wenig später wieder
       kehrt, nachdem ihnen ein Drohnenflug untersagt wird. „Aus
       Sicherheitsgründen“, wie ein vermummter Polizist mitteilt.
       
       Der Schlossbau von Heinrich liegt auf einer Anhöhe, die Straße hoch zum
       Gebäude säumen die Häuser der bürgerlichen Bewohner des Ortsteils. Auf der
       Straße ist kein Mensch zu sehen, die letzten Meter zum Eingang des Anwesens
       werden von einem Polizeiwagen blockiert. Ein Nachbar des Prinzen, der
       anonym bleiben will, erzählt vor der Dorflinde von den Verhältnissen im
       Ort. Hier kenne jeder jeden, sagt er.
       
       Ob er den Prinzen als Nachbarn vermissen werde? „Nee, auf keinen Fall“,
       sagt der Mann und lacht. Besonders beliebt sei Heinrich unter den
       Saaldorfern nicht gewesen. 1990, nach der Wende, habe der Prinz das Anwesen
       vom Staat zurückerhalten und seine Mitbürger nach und nach durch
       Baumaßnahmen vom Gelände ausgeschlossen. Die Stadt hat deswegen sogar ein
       Kriegerdenkmal verlegt, das ursprünglich beim Schloss stand.
       
       Auch wisse der Nachbar, dass es immer wieder Ärger wegen ausstehender
       Zahlungen gegenüber Handwerksbetrieben aus der Region gegeben habe. Manche
       würden heute noch auf ihr Geld warten. „Verarmter Landadel ist das für
       mich.“ Seit 2012 habe er immer wieder Versammlungen bei Heinrich beobachten
       können. Was genau dort passiert sei, habe er aber nicht gewusst. Dann
       machte er vergangenes Jahr eine merkwürdige Entdeckung.
       
       Im April 2021 hängt eine „öffentliche Bekanntmachung“ an der Dorflinde. Die
       Überschrift in Frakturschrift, links und rechts daneben das Reußische
       Wappen: „Eröffnung der Wahllisten“. Wer im Besitz der „Staatsangehörigkeit
       Reuß“ sei und über 25 Jahre alt, dürfe sich als Stimmberechtigter oder
       Wählbarer für die „Staatliche Gemeinderatswahl und die Wahl des Verwesers“
       eintragen.
       
       Über diesen Aufruf ist auch Lokaljournalist Hagen auf den Prinzen
       aufmerksam geworden. Hagen sitzt im Café in der städtischen Therme und
       nippt an seiner Kaffeetasse. „Adelsgeschichten waren jetzt nicht so mein
       Thema.“ Die Umtriebe der Reichsbürger in der Region hingegen schon.
       
       Nach dem Aushang habe er das erste Mal Kontakt zu Heinrich aufgenommen.
       Doch der Prinz reagierte nicht. Als im Juni die Briefe in den Briefkästen
       landeten, versuchte es Hagen erneut. Dieses Mal antwortete Heinrich. Er
       habe nichts mit den Schreiben zu tun, aber man sei dabei „die
       Verwaltungsstrukturen wiederherzustellen“.
       
       Gemeint war die kaiserliche Ordnung von 1918, wie aus Heinrichs weiteren
       Ausführungen zu entnehmen ist, die der Journalist von seinem Handy abliest.
       „Als ich die Liste der Festnahmen gesehen habe, war ich verwundert, dass
       Weigelt nicht darauf zu finden war“, sagt Hagen. Der Bungalow des
       Bürgermeisters liege unweit des Schlosses. Weigelts Frau habe lange für den
       Prinzen gearbeitet, ehe ihr Mann sie in die Tourismusstelle des Rathauses
       geholt habe.
       
       Eins steht jedenfalls fest: Hagens Video, das den Kontakt des Prinzen mit
       dem Bürgermeister und dem AfD-Mann belegt, bekommt seit Mittwoch noch sehr
       viel mehr Aufmerksamkeit.
       
       10 Dec 2022
       
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