# taz.de -- Verkürzung von Ersatzfreiheitsstrafen: Die Klassenjustiz bleibt
       
       > Wer eine Geldstrafe nicht zahlen kann, soll künftig nur noch halb so lang
       > in den Knast. Das ist billiger, löst aber das soziale Grundproblem nicht.
       
 (IMG) Bild: Ersatzfreiheitsstrafen sollen halbiert werden – aber das Problem bleibt
       
       Sie haben sich also endlich geeinigt, Innenministerin Nancy Faeser (SPD)
       und Justizminister Marco Buschmann (FDP): [1][Ersatzfreiheitsstrafen]
       sollen halbiert werden. Das heißt: Wer eine Strafe von 20 Tagessätzen nicht
       zahlt, geht künftig nur noch für 10 Tage ins Gefängnis, nicht mehr für 20.
       Man hätte die Strafen aus guten Gründen auch dritteln können: Immerhin
       orientiert sich der Tagessatz am Verdienst von einem Arbeitstag. Der hat in
       der Regel aber nur acht Stunden, ein Tag im Knast dagegen 24.
       
       Immerhin scheint es eine halbgute Nachricht, dass dieses Problem überhaupt
       adressiert wird. An der Wurzel packt es der Referentenentwurf aus
       Buschmanns Ministerium aber auch nicht unbedingt. Ersatzfreiheitsstrafen
       sind irrwitzig teuer und bringen nichts, beklagen Praktiker seit Jahren.
       Der Deutsche Richterbund und die Innenministerin hielten dem bisher
       entgegen: Dann bräuchte man ja bald überhaupt keine [2][Geldstrafen] mehr
       zu verhängen, wenn der Druck sie auch zu zahlen, entfällt.
       
       Diese Argumentation verkennt allerdings die soziale Realität: Druck bewirkt
       überhaupt nichts, wenn die Ressourcen, ihm nachzukommen, schlicht nicht
       vorhanden sind. In der Realität, die viele Richter nicht zu Gesicht
       bekommen, wenn sie zum Beispiel Strafbefehle nach Aktenlage und ohne
       Verhandlung verhängen, treffen [3][Ersatzfreiheitsstrafen] vor allem
       diejenigen, die zu arm sind, sie zu zahlen. Oder die, bei denen es nichts
       zu pfänden gibt, oder die, deren Leben schon derart in Schieflage geraten
       ist, dass sie Behördenpost nicht mehr aufmachen oder gar nicht verstehen.
       Ersatzfreiheitsstrafen sind Klassenjustiz der übelsten Sorte.
       
       Eine Halbierung entlastet nun die Gefängnisse (und damit den
       Staatshaushalt), ändert aber nichts an der Zahl der Betroffenen. Wenn man
       die ernsthaft reduzieren wollte, müsste man in aufsuchende Sozialarbeit
       investieren. Damit haben etliche Bundesländer, zum Beispiel Niedersachsen,
       gute Erfahrungen gemacht. Leider scheitert dies an vielen Stellen an der
       Personaldecke im Justizsozialdienst – oder am Datenschutz, der die
       Einbindung freier Beratungsstellen erschwert.
       
       19 Dec 2022
       
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