# taz.de -- taz-Recherche zu Reichsbürger-Razzia: Gefahr von außen und von innen
       
       > Reichsbürger:innen sollen geplant haben, ins Reichstagsgebäude
       > einzudringen. Sie hatten eine Liste mit Namen von Abgeordneten.
       
 (IMG) Bild: Im August 2020 versuchten Coronaleugner und Rechtsradikale den Reichstag zu stürmen
       
       Man mag die Pläne der Reichsbürgergruppe, [1][die Bundesregierung
       abzusetzen und ihren Prinzen als Kanzler einzusetzen], für rechtsradikale
       Hirngespinste halten. Aber zumindest der erste Schritt ihres Plans hätte
       gelingen können: Über ein Mitglied der Gruppe, [2][die ehemalige
       AfD-Abgeordnete und Richterin Birgit Malsack-Winkemann], hatten sie einen
       Hausausweis des Bundestags. Und sie hatten Waffen.
       
       Viele Bundestagsabgeordnete sind beunruhigt. Was die bisherigen
       Ermittlungen des Generalbundesanwalts ergeben haben, ist ja auch
       ungeheuerlich. Einige der Terrorverdächtigen sollen geplant haben, mit
       einer kleinen bewaffneten Gruppe gewaltsam in den Deutschen Bundestag
       einzudringen, um dort anwesende Mitglieder der Bundesregierung und
       Abgeordnete festzunehmen. Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
       (Grüne) kündigte an, die Sicherheitsvorkehrungen des Parlaments überprüfen
       zu lassen.
       
       Wie konkret war die Gefahr für Abgeordnete? Recherchen der taz zeigen:
       offenbar konkreter als bisher bekannt.
       
       Bei einem der Beschuldigten wurde nach taz-Informationen eine Liste mit
       Namen gefunden. 18 Personen stehen darauf, Politiker:innen und
       Journalist:innen. Die betroffenen sieben Bundestagsabgeordneten wurden am
       Mittwochmorgen vom Bundeskriminalamt (BKA) informiert. Unter ihnen sind
       hochrangige Mitglieder der Regierung und Opposition: Außenministerin
       Annalena Baerbock (Grüne), SPD-Vorsitzende Saskia Esken und
       SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert. Aber auch der ehemalige Kanzlerkandidat
       der Union, Armin Laschet. Nach taz-Informationen aus Sicherheitskreisen
       steht auch CDU-Partei- und Fraktionsvorsitzender Friedrich Merz auf der
       Liste. Dieser wollte sich auf Anfrage nicht dazu äußern.
       
       SPD-Chefin Esken sagte: „Die Gefahr, die von gewaltbereiten Reichsbürgern
       ausgeht, dürfen wir nicht unterschätzen. Diese Leute fantasieren nicht nur
       über Verschwörungstheorien. Sie hatten konkrete Pläne, die sie auch bereit
       waren umzusetzen.“
       
       ## Sogenannte „Feindeslisten“
       
       Es ist nicht das erste Mal, dass bei Reichsbürger:innen und
       Rechtsextremisten Namenslisten gefunden wurden, die als Feindeslisten zu
       verstehen sind. Wie groß die Gefahr für jene ist, die auf der Liste stehen,
       ist schwer einzuschätzen. Die Liste wurde den Ermittler:innen zufolge
       nicht bei den Durchsuchungen am Mittwoch, sondern bereits vor Einleitung
       des aktuellen Verfahrens sichergestellt. Die Gefährdungseinschätzung, die
       das Bundeskriminalamt dem Bundestag übermittelte, ist zurückhaltend. Die
       Bedeutung der Liste sei gegenwärtig nicht eindeutig geklärt. Es hätten sich
       bislang keine Anhaltspunkte für eine Konkretisierung der Gefährdung
       ergeben.
       
       Nach taz-Informationen stehen auf der Liste auch drei prominente
       Fernsehmoderator:innen von ARD und ZDF: Eine Moderatorin ließ
       mitteilen, dass sie nicht von Sicherheitsbehörden informiert worden sei.
       Auch beim anderen Sender wusste man nichts über den Sachverhalt. Der
       Generalbundesanwalt wollte sich mit Verweis auf die laufenden Ermittlungen
       nicht äußern.
       
       Grundsätzlich ist für Betroffene, die keine Bundespolitiker sind, nicht das
       BKA zuständig, sondern die örtliche Polizei. Diese nehme eine eigene
       Bewertung vor und informiere die Personen nur, wenn „gefährdungserhöhende
       Erkenntnisse“ vorliegen, teilt die BKA-Pressestelle mit.
       
       Wie mit Namenslisten von Rechtsextremist:innen umzugehen ist, wird in
       Deutschland seit Jahren diskutiert. Personen, die auf Feindeslisten der
       [3][rechtsextremen Preppergruppe Nordkreuz] standen, wurden erst nach
       öffentlichem Druck darüber informiert. Die Bedeutung einer Namensliste
       [4][des Bundeswehroffiziers Franco A.] versuchte dieser noch im Prozess als
       „To-do-Liste“ oder „Rechercheliste“ herunterzuspielen. Er wurde dann aber
       im Juli als Rechtsterrorist verurteilt. Das Oberlandesgericht Frankfurt sah
       es als erwiesen an, dass er Personen von der Liste töten wollte. Seit einer
       Gesetzesverschärfung im vergangenen Jahr ist auch die Verbreitung
       sogenannter Feindeslisten strafbar.
       
       Die nun aufgefundene Liste gibt Hinweise darauf, dass die Gefahr für einige
       Bundestagsabgeordnete real ist. Was würde passieren, wenn Abgeordnete in
       den Räumen des Bundestags angegriffen werden?
       
       ## Die Bundestagspolizei soll das Parlament beschützen
       
       Es ist der Moment, für den die Bundestagspolizei gegründet wurde. Für den
       sie als besondere Polizei eigens im Grundgesetz erwähnt wird, in Artikel
       40, Absatz 2. Die Bundestagspolizei besteht aus rund 200 Polizist:innen
       und hat die Aufgabe, das Parlament als sensibles Verfassungsorgan zu
       beschützen. Sie ist der Präsidentin des Bundestags, Bärbel Bas,
       unterstellt. So soll sichergestellt werden, dass sich der Bundestag im
       Falle eines Putsches selbst verteidigen kann.
       
       Nun stellt sich die Frage, ob die Bundestagspolizei dafür gewappnet ist.
       Zumindest in der Vergangenheit war sie nicht dafür bekannt, Bedrohungen von
       rechts sonderlich ernst zu nehmen.
       
       Im Sommer 2021 [5][hatte die taz berichtet], dass in der Bundestagspolizei
       Reichsbürger, Rassisten und Corona-Leugner arbeiteten. Einer der Polizisten
       war in einer Reichsbürgerpartei aktiv, er ist seit der taz-Recherche
       suspendiert. Bei einer internen Ermittlung wurden alle 200 Polizisten
       einzeln zu den Vorwürfen befragt. Die internen Ermittler:innen
       interessierten sich dabei besonders dafür, wer mit der taz gesprochen
       hatte. Eine externe Untersuchung, wie sie die damalige Vizepräsidentin des
       Bundestags, Claudia Roth, gefordert hatte, hatte Wolfgang Schäuble und
       später auch seine Nachfolgerin Bas abgelehnt.
       
       Im Januar [6][hatte die taz zudem berichtet], dass der neu ernannte Chef
       des Polizei- und Sicherheitsreferats des Bundestags selbst aktives Mitglied
       der Burschenschaft Gothia ist. Zudem war er in den neunziger Jahren
       politisch aktiv bei einer rechten Splitterpartei. [7][Aufgrund der
       taz-Recherche wurde er versetzt]. Er arbeitet nach wie vor als
       Referatsleiter im Bundestag und ist bei den wissenschaftlichen Diensten
       unter anderem für den Bereich Strafrecht zuständig. Doch der Referatsleiter
       ist nicht der einzige Mitarbeiter des Bundestags, der nachgewiesenermaßen
       Kontakte in ein ultrarechtes Milieu pflegt.
       
       Bereits im vergangenen Jahr hatte die taz über einen anderen
       Burschenschaftler berichtet, der beim Besucherdienst des Bundestags
       arbeitete. Dieser Mann ist Oberstleutnant der Reserve und zudem Mitglied
       einer Berliner Reservistenkameradschaft, in der vor allem Gothia-Leute
       organisiert sind.
       
       Er hat in der Vergangenheit mehrere Bundestagsmitarbeiter zum
       Schießtraining eingeladen. Das geht aus einer Mail hervor, die der taz
       vorliegt. Auf Facebook ist er Mitglied der Gruppe „Wir Deutsche rufen Georg
       Friedrich von Preußen zum Deutschen König aus“. Angesichts der aktuellen
       Ermittlungen erscheinen solche Positionierungen in anderem Licht. Der
       Mitarbeiter wurde versetzt und arbeitet nicht mehr im Besucherdienst,
       sondern beim Lobbyregister des Bundestags.
       
       Die Mitgliedschaft in einer rechten Burschenschaft ist für Mitarbeiter des
       Bundestags nicht verboten. Und doch stellt sich die Frage, ob sie sich mit
       der Arbeit in einem besonders sensiblen Verfassungsorgan verträgt. Nach den
       Razzien forderte Innenministerin Nancy Faeser (SPD), dass Verfassungsfeinde
       leichter aus dem öffentlichen Dienst entfernt werden können. Ein lange
       angekündigter Gesetzentwurf soll demnächst vorgestellt werden.
       
       ## Potenzielle Gefahren waren „stets beherrschbar“
       
       Wie gut war die Bundestagspolizei vorbereitet? Der Spiegel berichtet, dass
       sie „seit Wochen“ von der Bedrohung wusste. Auf taz-Anfrage teilt die
       Pressestelle des Bundestags nur allgemein mit: „Die Sicherheit des
       Deutschen Bundestages ist zu jeder Zeit umfassend gewährleistet.“ Auch laut
       einer internen Einschätzung der Bundestagspolizei, die der taz vorliegt,
       waren die potenziellen Gefahren durch die Zusammenarbeit der
       Sicherheitsbehörden „stets beherrschbar“.
       
       Hört man sich in der Bundestagspolizei um, ergibt sich ein anderes Bild: Es
       habe keine zusätzlichen Schichten gegeben, man sei wegen vieler
       Krankheitsfälle eher schlechter besetzt gewesen als üblich. Besondere
       Warnungen oder Vorsichtsmaßnahmen habe es nicht gegeben. Gewarnt wurden die
       Polizist:innen zuletzt explizit vor Aktionen von Klimaaktivist:innen.
       
       Sowohl die Beamten des Bundestags als auch die Abgeordneten wissen aber,
       dass sich eine Gefahr von Innen auch mit den besten Sicherheitsmaßnahmen
       kaum beherrschen lässt. Abgeordnete und rechtsextreme Mitarbeitende der AfD
       können im Bundestag ein- und ausgehen, ganz ohne Verschwörung.
       
       9 Dec 2022
       
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