# taz.de -- Unentschieden gegen Spanien: Kompromisslos draufgehauen
       
       > Verletzungen warfen Niclas Füllkrug oft zurück, vielleicht auch sein
       > kantiger Charakter. Nun ist er der Stürmer, den Trainer Flick unbedingt
       > braucht.
       
 (IMG) Bild: Trainer und Spieler nach dem erlösenden Tor für Deutschland
       
       Doha Sie nennen ihn Lücke. Und er hat satt getroffen. Lücke ist Stürmer,
       macht Stürmerdinge. Alte Schule. Sein Schuss krachte in den Winkel des
       spanischen Tores. Bumm. Niclas Füllkrug ist der Mann, der zum 1:1 traf. Er
       hatte kompromisslos draufgehauen. Lücke heißt er wegen eines fehlenden
       Schneidezahnes. Ist seit der Geburt so. Das lässt Füllkrug recht schelmisch
       erscheinen, und er ist ja wirklich ein ganz spezieller Typ. Oder sagen wir
       so: eine coole Socke.
       
       Dass er die [1][Nationalmannschaft nach dem 1:2 gegen Japan] vor einer
       erneuten Niederlage bewahrte und in den sozialen Medien dafür gefeiert
       wurde, nimmt der 29-Jährige fast so gelassen hin wie den Wasserstand der
       Weser in seiner fußballerischen Heimat Bremen: „Ich bin in solchen
       Situationen sehr entspannt, es ist ja nicht das erste Tor, das ich
       geschossen habe, auch nicht das erste wichtige“, sagte er im
       Al-Bayt-Stadion, in dem das DFB-Team an seine Leistungsgrenze gegangen war
       und jene Reaktion zeigte, die sich Bundestrainer Hansi Flick erwartet
       hatte.
       
       „Man braucht jetzt keine Riesenfreudensprünge machen, wir haben das
       wichtigste Spiel noch vor der Brust.“ Am Donnerstag braucht die DFB-Elf
       gegen Costa Rica einen Sieg, um ins Achtelfinale der Weltmeisterschaft
       einzuziehen; gleichzeitig ist ein wenig Schützenhilfe der Spanier nötig,
       aber über mangelndes Turnierglück brauchen sich die Deutschen nun wahrlich
       nicht beschweren, denn wer konnte schon davon ausgehen, dass sich Japan von
       den Mittelamerikanern übertölpeln lässt: „Das eine Tor bringt mir am Ende
       wenig, wenn wir die Gruppenphase nicht überstehen“, sagte Niclas Füllkrug,
       der, zumindest in der Nationalmannschaft, ein Wiedergänger von Horst
       Hrubesch zu sein scheint.
       
       Der legendäre Angreifer wurde auch erst mit Ende 20 in den Kreis der Elite
       berufen, nach einer Station in der Zweiten Liga. 1980 bei der
       Europmeisterschaft war das. Klaus Fischer verletzte sich. Hrubesch kam als
       Ersatz rein. Im Finale gegen Belgien schoss Hrubesch beide Tore, seine
       ersten überhaupt im Trikot mit dem Adler drauf. Die Notlösung schlug ein.
       Europameister.
       
       ## Immer mal einen Spruch auf den Lippen
       
       „Ich habe auch meine Zeit gebraucht“, sagte Hrubesch unlängst in einem
       Interview mit der FAZ: „Niclas war auch immer ein bisschen ein Schlitzohr
       und ist teilweise sicher auch angeeckt. Ich als Trainer mochte aber seine
       Art und dass er immer mal einen Spruch auf den Lippen hatte.“ Füllkrug
       könne Ähnliches leisten wie er selbst, der Altmeister. „Er ist auf jeden
       Fall ein Stürmer in der Form, wie du ihn im Moment so sonst nicht im Kader
       hast.“ Füllkrug hat in der bisherigen Bundesliga-Saison 10 Treffer in 14
       Einsätzen erzielt, hinzu kommen zwei Torvorlagen. Er hat in der Liga 46-mal
       auf den Kasten des Gegners geschossen und ihn 20-mal genau ins Visier
       genommen. Hansi Flick kennt diese Werte.
       
       Nach den Verletzungen von Timo Werner und Marco Reus war seine Nominierung
       klar, auch wenn er zuletzt 2014 in einem DFB-Dress steckte; seinerzeit lief
       Füllkrug fürs U20-Team auf, und auch für die U18 und U19 sind ein paar
       Einsätze verzeichnet. Dann scheint die vielversprechende Karriere
       abzubrechen: Füllkrug, das große Talent, [2][ausgebildet bei Werder
       Bremen], verschwindet in der Zweiten Liga, zunächst bei Greuther Fürth.
       
       Verletzungen werfen ihn immer wieder zurück, vielleicht auch sein manchmal
       kantiger Charakter, der ihm Händel mit Vorgesetzen einbringt und Strafen
       übergeordneter Instanzen: So wurde er wegen Fehlverhaltens bei einer
       Dopingkontrolle vom Sportgericht des DFB zu einer Strafe von 10.000 Euro
       verurteilt. Im Oktober 2021 folgte eine 15.000-Euro-Strafe durch seinen
       Verein Werder Bremen nach einer heftigen Auseinandersetzung mit dem
       Lizenzbereichsleiter des Klubs, Clemens Fritz. Und wegen des Schwenkens
       eines bengalischen Feuers beim Bundesligaaufstieg der Hanseaten kam im
       Sommer 2022 eine weitere Strafe durch das DFB-Sportgericht hinzu, diesmal
       in Höhe von 25.000 Euro.
       
       Heute sind beide Knie schwer lädiert. Füllkrug versucht die Defizite mit
       superdefinierter Oberschenkelmuskulatur zu kompensieren. „Ich kenne meinen
       Körper heute besser.“ Trotzdem, die Zehnerjahre sind hart für ihn. Er
       spielt für den 1. FC Nürnberg und scheitert 2016 in der Relegation zum
       Bundesligaaufstieg. Füllkrug wechselt in seine Heimat, zum
       Bundesligaabsteiger Hannover 96. Aufstieg. Abstieg. 2019 Rückkehr nach
       Bremen. Kreuzbandriss. Abstieg. Aufstieg. Es ist ein bewegtes
       Fußballerleben. Ein Auf und ab, das Füllkrug hat reifen lassen und die
       One-Way-Biografien der meisten anderen Nationalspieler konterkariert.
       
       ## Respekt vor Füllkrugs Weg
       
       Weil sie offenbar Respekt haben vor dem Weg, den Füllkrug gegangen ist,
       haben ihn seine Kollegen in der Nationalmannschaft von Anfang an „so
       herzlich aufgenommen, wie ich es selten erlebt habe. Es war nicht schwer
       für mich, hier anzukommen“, sagte Füllkrug nach seinem zweiten Tor im
       dritten Länderspiel. Bereits bei seinem Debüt in der WM-Generalprobe im
       Oman (1:0) hatte er als Einwechselspieler getroffen. „Es freut mich, dass
       ich hier Fuß fasse, dass ich meinen Stempel hinterlasse und der Mannschaft
       helfen kann. Dass ich zeigen kann, dass es gut ist, dass ich dabei bin.“
       
       Am Sonntagabend ersetzte Niclas Füllkrug übrigens Thomas Müller im Sturm,
       der im Zuge der Flick’schen Umbaumaßnahmen auf diesem Posten gelandet war.
       Auch in der Abwehr korrigierte der Bundestrainer Fehler der ersten Partie:
       Rechts außen stand nun Thilo Kehrer, Niklas Süle rückte in die
       Innenverteidigung, Leon Goretzka bildete mit Joshua Kimmich das defensive
       Mittelfeldduo.
       
       All das führte zu mehr Stabilität in dieser sehenswerten Pressing-Schlacht
       gegen die Spanier. Für die Durchschlagskraft sorgte derweil Niclas „Lücke“
       Füllkrug – und nicht einer dieser polyvalenten Seidenfüße aus dem
       Mittelfeld. „Er ist ein sehr guter Junge, mit dem Herz am rechten Fleck“,
       sagte Flick, „wir sind sehr froh, dass er dabei ist.“ So einen braucht der
       Hansi jetzt.
       
       28 Nov 2022
       
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