# taz.de -- Blockaden von Klimaaktivist*innen: Die Hilflosigkeit der Politik
       
       > Die Proteste der „Letzten Generation“ gehen nach dem Tod einer
       > verunglückten Radlerin weiter. Mit Drohungen allein wird die Politik sie
       > nicht stoppen.
       
 (IMG) Bild: Protest von Klimaaktivist*innen Anfang der Woche in Berlin
       
       Irgendwann musste dieser Fall eintreten: Aufgrund einer Straßenblockade von
       Klimaaktivist*innen kommt ein dringend benötigtes Bergungsfahrzeug
       der Feuerwehr [1][verspätet zu einem Unfallort mit einer schwer verletzten
       Person]. So schilderte es zumindest die Berliner Feuerwehr am Montag in
       [2][einem Tweet]. Am Donnerstagabend ist die 44-Jährige nach Angaben der
       Polizei an den Verletzungen gestorben. Eine entsetzliche Nachricht.
       
       Vielleicht werden die Aktivist*innen der „Letzten Generation“ nie mehr
       frei von der Frage nach einer Mitschuld an dem Tod der Frau. Hätte ihr
       Leben gerettet werden können, wenn es die Blockade nicht gegeben hätte?
       Wenn das Feuerwehrfahrzeug zur Beseitigung schwerer Lasten ein, zwei, fünf
       Minuten schneller am Unfallort gewesen wäre? Zuletzt deutete einiges darauf
       hin, dass dies [3][eher nicht der Fall gewesen wäre]. Offiziell dauerte die
       Fahrt des Fahrzeugs knappe 20 Minuten.
       
       Die Klimaaktivist*innen haben dennoch beschlossen, ihr Proteste, ihre
       Blockaden nicht zu unterbrechen, wie [4][Sprecherin Lina Johnsen der taz
       sagte:] „Wir machen das nicht leichtfertig und werden weiterhin friedlichen
       zivilen Widerstand leisten.“ Doch wäre dies nicht der richtige Zeitpunkt,
       kurz innezuhalten, über die Proteste ein bisschen intensiver nachzudenken?
       Sicher. Das gilt freilich auch für die Politik. Denn die Art und Weise, wie
       sie die Debatte über Schuld, Verantwortung und Repression führt, ist höchst
       problematisch.
       
       Das begann bereits unmittelbar nach dem Tweet der Feuerwehr am Montag.
       Politiker*innen zahlreicher Parteien überschlugen sich mit Rufen nach
       härteren Strafen für die Blockierer*innen; in einigen Kommentaren unter dem
       Tweet wird zur Lynchjustiz aufgerufen. Und manche fragen gar mehr oder
       weniger rhethorisch, ob es sich gar um „Terrorismus“ handle.
       
       Etwas nüchterner formuliert lautet die Kritik an den Aktivist*innen, sie
       hätten mit ihren inzwischen fast täglichen Autobahn jedes Maß verloren. Das
       muss auch für die Kritik selbst gelten. Denn es ist nicht klar, ob die
       Aussage der Feuerwehr überhaupt stimmt. Die Polizei untersucht derzeit,
       welchen Einfluss die Blockade auf die Verspätung des Feuerwehrfahrzeugs
       gehabt hat. Und je länger die Woche dauerte, desto vorsichtiger wurden die
       Formulierungen. Schließlich stehen Rettungssanitäter aus vielen Gründen in
       Berlin Stau, erst recht – wie auch in diesem Fall – in der Rush-Hour.
       
       ## Vorverurteilung durch Faeser
       
       Die Frage nach einer möglichen Mitschuld der Aktivist*innen steht auch
       nach dem traurigen Tod der Radlerin weiterhin unbeantwortet im Raum. Umso
       fragwürdiger ist etwa die Reaktion von Bundesinnenministern Nancy Faeser
       (SPD), die am Donnerstag erklärte: „Wenn Straftaten begangen und andere
       Menschen gefährdet werden, ist jede Grenze legitimen Protests
       überschritten. Die Straftäter müssen schnell und konsequent verfolgt
       werden.“ Es ist längst nicht klar, ob es Straftäter gibt – was Faesers
       Zitat auch nicht unbedingt ausdrückt. Aber allein die Nennung des Begriffs
       kommt in dieser aufgeheizten Atmosphäre einer Vorverurteilung gleich.
       
       Weite Teile der Politik versuchen, den Druck auf die Aktivisten massiv
       erhöhen und nutzen dafür den traurigen Vorfall vom Montag dankbar. Auch
       dafür gab es im Verlauf der Woche weitere Beispiele. So erklärte Berlins
       Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) am Dienstag: „Das
       gestrige Rettungsfahrzeug, das nicht durchgekommen ist, war nicht das
       erste, sondern es ist das 18. gewesen.“ Interessant, welche Statistiken
       offenbar geführt werden. Unklar blieb, wer das genau misst und wann ein
       Fahrzeug als „nicht durchgekommen“ gilt.
       
       Damit zeigt dieser Berliner Fall vom Montag, wie unsouverän die
       Öffentlichkeit immer noch mit Beiträgen in den sozialen Medien umgeht. Ein
       simpler Tweet, auf den sich der Vorwurf der Mitschuld weiterhin stützt, ist
       eben ein Tweet und nicht mehr als eine oft spontan erfolgte, bisweilen von
       der Wahrheit nur teilweise gedeckte These.
       
       Doch solche letztlich entscheidenden Feinheiten spielen in der Debatte
       keine Rolle. Es geht wesentlichen Teilen der Politik nur darum, die
       Proteste zu beenden. Ob da unsachlich oder populistisch argumentiert wird?
       Egal. Letztlich hat sich selbst der rot-grün-rote Senat offenbar auf
       Drängen Giffeys nach langer Debatte zu einer kritischen Position
       durchgerungen: „Die Form dieses Protestes, die zu einer Gefährdung der
       öffentlichen Sicherheit und Ordnung führt, ist unangemessen.“
       
       Erstaunlich, dass eine der wenigen Nuancen in der Debatte ausgerechnet vom
       Sprecher der Berliner Gewerkschaft der Polizei kam, der in den letzten
       Wochen zunehmen genervt die täglichen Blockaden der Aktivist*innen
       kommentierte. Doch der GdP-Sprecher Benjamin Jendro twitterte am
       Donnerstag: „Klima-Klebende tragen keine Schuld am Unfall. Ob schnellere
       Maßnahmen den Tod verhindert hätten, ist rein spekulativ.“
       
       Mit ein bisschen Distanz zur aufgeregten Debatte dieser Woche kann man auch
       sagen: Die Klimaaktivist*innen haben mit ihrer Beharrlichkeit ein
       erstes Ziel erreicht. Die Politik von AfD bis SPD und teils noch weiter
       nach links, ist nervös, argumentiert bisweilen hysterisch, weil sie
       fürchtet, vor der auf law-and-order dressierten Öffentlichkeit als
       handlungsunfähig dazustehen. Es stimmt also, was Renate Künast über die
       Proteste sagte: Sie führten „in eine Sackgasse“. Derzeit ist aber erstmal
       die Politik dort gelandet.
       
       ## Zurück zum Dialog
       
       Sie muss einen anderen Umgang finden, als nur nach konsequenten
       Durchgreifen oder gar härteren Strafen zu rufen. Polizei und Justiz werden
       ihren Umgang mit den Aktionen und den Aktivist*innen allein schon
       finden, das zeigt die Geschichte der Bundesrepublik zur Genüge. Derweil
       darf die Politik nicht darauf hoffen, dass die Proteste sich – sei es
       aufgrund der Repression oder vermeintlicher Erfolglosigkeit – irgendwann
       tot laufen. Sie muss selbst tätig werden und einen politischen Weg aus der
       Sackgasse suchen, die in diesem Fall darin besteht, nicht den Anschein zu
       erwecken, dass man erpressbar sei.
       
       Es ist an der Zeit, zu einem Dialog zu finden. Und die Politiker*innen
       müssen den ersten Schritt tun: Schließlich stehen sie in der Bringschuld,
       etwas gegen den drohenden Klimakollaps zu tun – das ist inzwischen
       allgemein Konsens. Und wohl kaum jemand wird behaupten, dass die bisherigen
       Maßnahmen ausreichen, um die Erderwärmung langfristig auf 2 Grad zu
       begrenzen.
       
       Gefordert ist hier zuallererst der Bund, der eigentliche Adressat der
       Proteste, der diese jedoch bislang zumeist als lokales Problem Berlins
       betrachtet hat. Mit der jüngsten Ausweitung etwa nach München ist es damit
       vorbei. Gefragt ist aber auch Berlin, insbesondere Klimaschutzsenatorin
       Bettina Jarasch (Grüne), die noch im Wahlkampf jeden Druck der Straße für
       mehr Klimaschutz begrüßt hatte. Statt vor allem Phrasen zu dreschen, sollte
       die Politik die Zeit nutzen, sich entsprechende Ansätze zu überlegen. Wenn
       die Aktivist*innen es ernst meinen mit ihrem Anliegen, werden – und
       müssen – sie darauf eingehen.
       
       4 Nov 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Blockaden-der-Letzten-Generation/!5888674
 (DIR) [2] http://twitter.com/Berliner_Fw/status/1586990594894839808
 (DIR) [3] http://www.sueddeutsche.de/politik/letzte-generation-unfall-berlin-radfahrerin-1.5686980?reduced=true
 (DIR) [4] /Nach-Hirntod-von-Radfahrerin/!5889054
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bert Schulz
       
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