# taz.de -- Merz unterstellt „Sozialtourismus“: Der Brandbeschleuniger
       
       > CDU-Chef Friedrich Merz hat Geflüchteten aus der Ukraine
       > „Sozialtourismus“ unterstellt. Solche Parolen sind perfide – und alles
       > andere als harmlos.
       
 (IMG) Bild: Friedrich Merz (r), CDU Bundesvorsitzender, am Dienstag vor Beginn der Fraktionssitzung der CDU/CSU
       
       Friedrich Merz kann es nicht lassen. Da bemüht der CDU-Chef sich in der
       Öffentlichkeit um ein neues Image – empathischer, sozialer. Nur um dann
       doch zurückzufallen in die Rolle des konservativen Unionspolitikers, der am
       rechten Rand fischt. Er tut das auf dem Rücken der Menschen, die vor dem
       russischen Krieg mitsamt seiner Kriegsverbrechen in der Ukraine fliehen.
       Das ist perfide. Und es ist gefährlich.
       
       „Wir erleben mittlerweile einen Sozialtourismus dieser Flüchtlinge“, sagte
       Merz am Montagabend bei „Bild Live“; „nach Deutschland, zurück in die
       Ukraine, nach Deutschland, zurück in die Ukraine.“ Unter den Geflüchteten
       mache „mittlerweile eine größere Zahl sich dieses System zunutze“.
       
       Merz macht sich damit einen Begriff zu eigen, mit dem sonst vor allem die
       AfD hausieren geht. Und er springt auf ein Gerücht auf, dass seit Wochen
       auf WhatsApp und Facebook kursiert, das gezielt Stimmung macht gegen
       Geflüchtete und ihnen Sozialbetrug unterstellt: Seit Geflüchtete aus der
       Ukraine Hartz IV statt Asylbewerberleistungen bezögen, reisten Menschen
       kurzzeitig aus der Ukraine ein, nur um einen Antrag zu stellen und
       unrechtmäßig Leistungen zu beziehen.
       
       Belege dafür gibt es aber keine. Das [1][Recherchezentrum Correctiv] hat
       schon Anfang September beim Busunternehmen Flixbus nachgefragt, ob es
       auffälligen Pendelverkehr gebe, und sich bei Bundesagentur für Arbeit und
       Bundesarbeitsministerium nach verdächtigen Hartz-IV-Anträgen erkundigt.
       Nirgendwo gibt es Hinweise auf solche Vorfälle.
       
       „Schäbig“ [2][nannte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD)] die
       „Stimmungsmache auf dem Rücken ukrainischer Frauen und Kinder, die vor
       Putins Bomben und Panzern geflohen sind“. Das Wort „Sozialtourismus“ sei
       2013 Unwort des Jahres gewesen, erinnerte die Ministerin, und es sei auch
       2022 „jedes Demokraten unwürdig“. Auch Grüne, FDP und Linke kritisierten
       Merz heftig, ebenso Organisationen, die die Lebensrealität der Geflüchteten
       aus der Praxis kennen, [3][darunter zum Beispiel die Caritas].
       
       Sogar Merz’ eigene Leute sind nicht erfreut. Es dürfe nicht der Eindruck
       entstehen, dass Geflüchtete aus der Ukraine Sozialtourist*innen
       seien, sagte am Dienstag [4][Thorsten Frei, parlamentarischer
       Geschäftsführer der Unionsfraktion]. Und letztlich ruderte auch der
       Parteichef selbst zurück. Er „bedauere“ die Verwendung des Wortes
       „Sozialtourismus“, [5][twitterte] Merz. Es sei eine „unzutreffende
       Beschreibung“, und statt um eine „größere Zahl“ geht es ihm plötzlich nur
       noch um „Einzelfälle“.
       
       ## Gerade erst jährte sich Rostock-Lichtenhagen
       
       Dieses ungelenken Zurückruderns zum Trotz: Merz’ Äußerung ist in der Welt
       und bricht mit der Solidarität, die Deutschland der Ukraine und den von
       dort geflüchteten Menschen in den vergangenen Monaten quer durchs
       demokratische Spektrum entgegengebracht hat.
       
       Dem umfassenden Widerspruch sei Dank, ist es zunächst nur ein kleiner
       Kratzer. Doch aus dem kann leicht ein tiefer Spalt werden. Wenn Merz mit
       solcher Rhetorik rechts auf Stimmenfang geht, dann ist das nicht nur würde-
       und anstandslos. Es ist gefährlich – und zwar nicht zuletzt für das Leben
       derer, auf deren Rücken er sich zu profilieren sucht.
       
       Auch 2015 war die Solidarität mit den Geflüchteten aus Syrien zunächst
       groß. Angela Merkel sagte „Wir schaffen das“, selbst die Bild erschien mit
       „Refugees Welcome“-Slogan. Dann zündeten Rechte Flüchtlingsunterkünfte an,
       jagten Menschen, zog die AfD in immer mehr Landesparlamente ein und
       Innenminister Horst Seehofer verschärfte das Asylrecht.
       
       Gerade erst hat sich das Pogrom von Rostock-Lichtenhagen zum dreißigsten
       Mal gejährt. Damals, 1992, war sie allgegenwärtig, die Parole vom Boot, das
       voll sei. Dann griffen mehr als Tausend Menschen das Sonnenblumenhaus an,
       ein Wohnheim für vietnamesische Vertragsarbeiter*innen. Nur durch viel
       Glück kam niemand ums Leben. Regierung und Parlament änderten daraufhin das
       Grundgesetz und beschnitten das Asylrecht drastisch. Wenig später
       ermordeten Rechtsextreme bei rassistischen Brandanschlägen drei Menschen in
       Mölln und fünf in Solingen.
       
       So schnell kann verbale Brandstiftung in reale Flammen umschlagen. Wieder
       mal zeigt die Union, [6][dass es nicht weit her ist mit der „Brandmauer“
       gegen rechts], als die sie sich selbst gerne sieht. Mit solchen Äußerungen
       ist sie vielmehr Benzin.
       
       27 Sep 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://correctiv.org/faktencheck/2022/09/15/kein-belege-fuer-angeblichen-hartz-iv-betrug-durch-ukrainer-die-per-flixbus-einreisen/
 (DIR) [2] https://twitter.com/NancyFaeser/status/1574631682069901318
 (DIR) [3] https://twitter.com/Caritas_web/status/1574710232109965312
 (DIR) [4] https://twitter.com/SabineamOrde/status/1574669889775738881
 (DIR) [5] https://twitter.com/_FriedrichMerz/status/1574673117594656768
 (DIR) [6] /Unterstuetzung-der-EVP-durch-die-Union/!5880164
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dinah Riese
       
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