# taz.de -- Die These: Kein Bikini ist auch keine Lösung
       
       > Dass Frauen oben ohne sonnen dürfen, löst längst nicht alle Probleme.
       > Denn öffentliche Nacktheit kann auch eine Landnahme sein, Vertreibung
       > inklusive.
       
 (IMG) Bild: Mit und ohne Bikinioberteil ungesund
       
       Neulich an einem Weiher im Schwarzwald. Auf einer Wiese liegen viele, die
       sich sonnen, einige gehen baden, alle tragen Badehose, Bikini, Badeanzug.
       Bis auf ein Paar, das nackt ins Wasser geht. Der Mann schwimmt los; der
       Frau ist es zu kalt, knietief bleibt sie stehen, verschränkt ihre Arme vor
       den Brüsten so, dass diese nicht zu sehen sind. Es ist ein erbärmlicher
       Anblick. Da will jemand frei und unverfroren sein und ist unfrei und
       friert.
       
       Trotzdem: Die Nackten am Weiher sind ein Signal; zwischen Bekleideten ist
       ihre Nacktheit ein Statement. Sie erlauben sich etwas, was andere nicht
       tun. I teach you a lesson.
       
       An einem Wasserspielplatz im Plänterwald, einem Park in Berlin, dürfen
       Leute sich jetzt [1][oben ohne sonnen]. Männer und Frauen. [2][Eine Frau
       hatte geklagt], dass sie nicht oben ohne da sitzen darf, während Männer es
       dürfen, und bekam recht. Es wird als Akt der Gleichberechtigung verkauft.
       Auch ich finde es ungeheuerlich, dass Männer sich entblößen dürfen und
       Frauen nicht.
       
       Trotzdem: Dass nun Frauen, deren Brüste sexuell konnotiert sind, sich
       zeigen können, ist leider nicht der Befreiungsschlag, den ich mir wünsche.
       Die sexuelle Konnotation geht ja nicht weg, indem nun alle Geschlechter
       oben ohne rumliegen dürfen. Frauen mit entblößten Brüsten werden weiterhin
       angegafft werden, von heimlich aufgenommenen Fotos ganz zu schweigen.
       Welche Frau will das?
       
       ## Männer ohne freien Oberkörper wären gerechter
       
       Mehr Gleichheit würde doch nur dann entstehen, wenn auch Männer ihren
       Oberkörper bedecken müssten. Was mir entgegenkäme, denn mir sind bekleidete
       Männerbrüste angenehmer. Die nackigen finde ich hässlich. Gut, nicht von
       allen Männern, junge Männer, da, wo die Haut glatt ist, die Haare nicht
       grau …
       
       Wer immer sich jetzt über meine Wertung aufregen möchte, bedenke:
       Ungeheuerlich ist, dass sich viele Männer das jeden Tag erlauben – die
       Körper von Frauen zu beurteilen. Am liebsten wenn sie nackt sind. Und jung.
       
       Eine andere Spielwiese: Ich habe einen Schrebergarten. Neben meinem hat ein
       muslimische Familie den ihren. Die meisten Frauen laufen auch an heißesten
       Tagen mit Kopftuch und schlabbrigen langen und langärmligen Gewändern rum.
       Der Mann dagegen in kurzen Hosen und – zu meinem ästhetischen Missfallen –
       oberkörperfrei. Seine Bigotterie widert mich an. Denn nichts anderes kann
       ich darin sehen. Schon gar keine Kultur, kein religiöses Gebot.
       
       Gleiches mit Gleichem vergelten geht im Schrebergarten nicht. Ich will
       nicht oben ohne durch den Garten flanieren. Den verhüllten Frauen würde ich
       damit nicht helfen. Wobei: Vielleicht würde der Mann dann endlich einen
       Sichtschutz aufstellen – obwohl die Schrebergartensatzung das verbietet. Es
       käme uns beiden gelegen.
       
       Wie dem auch sei, nicht die öffentliche Verordnung, dass Frauen nun oben
       ohne im Park liegen dürfen, würde gleiche Ausgangslagen bringen – sondern
       eine öffentliche Verordnung, dass auch Männer sich im Park zu bedecken
       haben. So wie es jetzt ist, hilft es nicht gegen Sexismus und verletzt
       gleichzeitig das Schamgefühl von einigen Menschen so sehr, dass sie an den
       Wasserspielplatz im Plänterwald nicht mehr gehen können.
       
       ## Nackte Widersprüche lassen sich nicht auflösen
       
       Denn die Sache mit der Nacktheit ist verzwickt und voller Widersprüche,
       auch für mich, weil ich doch selbst sehr gern nackt bade. Vor allem an
       Seen. Wobei ich immer in Erwägung ziehe, dass meine Nacktheit anderen den
       Raum nimmt und sie da nicht mehr hin können, weil Nacktheit für sie ein
       Tabu ist. Ich weiß das, denn ich habe es erlebt.
       
       Als ich Teenager war auf dem Dorf in den 70er Jahren gab es im Sommer
       nichts, wo wir uns vergnügen konnten, außer einem Baggersee. Dort
       verbrachten wir die Nachmittage, dort konnten wir schwimmen. Bis sich
       plötzlich Unbekleidete auf unsere Wiese legten, und das veränderte alles.
       They taught us a lesson. Wir wussten jetzt, dass wir von hinterm Mond
       waren.
       
       Innerhalb kürzester Zeit pilgerten Heerscharen nackter Leute an den See.
       Sie lagen nicht in einem abseitigen Winkel, sie lagen mitten am Weg. Der
       Sommer war ruiniert. Was sie sagten: Mit Klamotten geht hier nichts.
       
       Nur leider ging nackig für uns auch nichts, denn die Nacktheit am Baggersee
       war im Dorf ein Skandal. Der Pfarrer sah Sodom und Gomorrha und verdammte
       von der Kanzel aus alle, die es wagten, auch nur an den Baggersee zu
       denken. Die einzige Alternative, die wir hatten, war, abseits auf einem
       schmalen, steinigen Strandstreifen unsere Decken auszubreiten, wir mussten
       an den Nackigen vorbei. „Ach, dort drüben sind die Dörfler“, hieß es dann,
       weil wir Badeanzüge trugen.
       
       ## Wer nackt ist, zieht einen Kreis um sich
       
       Die Nackigen hatten unseren Raum besetzt, und ich bin bis heute empört
       darüber. Seither ist mir klar: Öffentliche Nacktheit kann eine Landnahme
       sein, Vertreibung inklusive. Denn es gibt Leute, die öffentliche Orte, wo
       nackte Menschen sich versammeln, meiden oder meiden müssen. Da muss es
       nicht mal um Religion gehen, es kann auch einfach ein gesteigertes
       Schamgefühl sein, ein introvertierter Wesenszug oder, seien wir ehrlich:
       ästhetisches Empfinden. Besonders schön sind die meisten fremden Menschen
       nackt nämlich nicht.
       
       Umgekehrt gilt die Landnahme auch. Wer nackt ist, zieht automatisch einen
       größeren Kreis um sich, den niemand betreten soll.
       
       FKK-Strände sind ein Kompromiss. Und wenn ich eine Wahl habe, gehe ich
       immer an den Nacktbadestrand. Auch an den illegalen am Flughafensee in
       Berlin, den Freikörperkulturfans befestigten, damit der Strand nicht
       abrutscht, und wo sie dafür sorgen, dass er nicht zugemüllt wird.
       
       Mülleimer haben sie hingehängt, Aschenbecher kann man sich holen. Denn
       „Kippen im Kies ist mies“, so steht es an einer Pfostenwand. Illegal hin
       oder her – auf mehreren privat betriebenen Webseiten wird er als einer der
       besten FKK-Strände beworben. Ein Spazierweg führt direkt daran vorbei.
       
       Im Mai, so erzählen es sich die Dauergäste des FKK-Strands am Flughafensee,
       seien sie vom Weg aus beschimpft und mit Steinen beworfen worden. Von
       Männern, die verschleierte Frauen im Schlepptau hatten. Indiskutabel ist
       das, falls es stimmt, aber indiskutabel auch die Diskussion, der ich
       beiwohnte zum Vorfall: dass die Leute sich an die Sitten in Deutschland zu
       halten hätten und bei uns sei nackt baden nun mal Usus. „So einfach ist es
       nicht“, intervenierte ich. Unsere Nacktheit kann auch das Schamgefühl von
       Deutschen verletzen. „Sollen sie halt an einen anderen Strand“, wurde
       geantwortet.
       
       Ich weiß nicht, wie der Konflikt zu lösen ist. Der alte Fritz muss her.
       Jeder soll nach seiner Façon selig werden. Die Nackigen sollen nackig sein,
       aber um die Befindlichkeit der Nichtnackigen wissen und sie nicht belehren
       wollen. Die Bekleideten sollen bekleidet sein, aber um die Befindlichkeit
       der Nackigen wissen und sie nicht belehren wollen.
       
       Ob das geht? Keine Ahnung.
       
       14 Aug 2022
       
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