# taz.de -- Buch über „Treiber des Autoritären“: Sie entleeren die Demokratie
       
       > Wilhelm Heitmeyer und Günter Frankenberg beleuchten in einem Sammelband
       > die „Treiber des Autoritären“. Alarmismus liegt ihnen fern.
       
 (IMG) Bild: Bei Trump-Fans gehen mediale Unterhaltung und rechtsautoritäre Politikvorstellungen gut zusammen
       
       Mit dem Aufstieg des neuen (oder gar nicht so neuen) Rechtsradikalismus ist
       der Bedarf nach Ursachenforschung gestiegen. Einer der scharfsinnigsten
       Analytiker ist dabei der [1][Bielefelder Soziologie Wilhelm Heitmeyer]. Er
       untersucht die Anfälligkeit für die „autoritäre Versuchung“ seit
       Jahrzehnten mit großangelegten empirischen Studien und einem ganzen Arsenal
       von treffenden Begriffsbildungen.
       
       Dabei beobachtet er, wie die Zunahme autoritär nationalradikaler
       Einstellungen mit einer „Erosion der Demokratiequalität“, sozialer
       Ungleichheit und gesellschaftlicher Desintegration zusammenhängt: Die
       Deregulierungen der „entsicherten Jahrzehnte“ mit ihren Folgen des
       individuell und kollektiv erlebten Kontrollverlusts und der
       „Demokratie-Entleerung“ bieten rechtsextremen Bewegungen günstige
       Voraussetzungen.
       
       Jetzt hat Heitmeyer gemeinsam mit dem Verfassungsrechtler Günter
       Frankenberg einen Sammelband herausgegeben, in dem ein gutes Dutzend
       Wissenschaftler:innen unterschiedlicher Fachdisziplinen die
       politischen, sozialen, ökonomischen und kulturellen „Treiber des
       Autoritären“ zu Beginn des 21. Jahrhunderts untersuchen.
       
       Bemüht um begriffliche Präzision und fast immer unter dezidiertem Verzicht
       auf Alarmismus entwickeln die Autor:innen eine mehrdimensionale Analyse
       des politischen Autoritarismus. Sie reicht von der „autoritären
       Systemkonkurrenz“ und repressiver Staatlichkeit über autoritäre
       Aufwallungen eines „radikalisierten Konservatismus“ (Natascha Strobl) bis
       zum Zusammenhang von „medialer Unterhaltung und rechtsautoritären
       Politikvorstellungen“ am Beispiel enthemmter Trump-Anhänger und des Sturms
       auf das Kapitol (Paula Diehl).
       
       ## Phantasma des kulturell „Eigenen“
       
       Der [2][Industriesoziologe Klaus Dörre] zeichnet vor dem Hintergrund des
       Ukrainekrieges das große Panorama der „Zangenkrise“, in dem die ökologische
       Krise und ein Kapitalismus, der zur „Pazifizierung interner Konflikte“ auf
       Wirtschaftswachstum angewiesen ist, auf den Kollaps zusteuern. Allerdings
       ist irritierend, wie rasant Dörre alles mit allem verbindet. So gelingt ihm
       das Kunststück, im gleichen Absatz den Esoteriker Dieter Duhm und den
       Systemtheoretiker Dirk Baecker als Stichwortgeber seines Krisenszenarios zu
       bemühen.
       
       Der [3][Historiker Volker Weiß] unternimmt ideengeschichtliche
       Tiefenbohrungen zu den Spengler-Lektüren der identitätspolitischen Neuen
       Rechten und ihrem Phantasma eines kulturell „Eigenen“. Der Theaterdramaturg
       Bernd Stegemann variiert seine schwer zu entkräftende These, linke
       Identitätspolitik trage mit den Paradoxien eines „strategischen
       Essentialismus“ und ihren Distinktionsmechanismen, dem Bewirtschaften des
       Ressentiments und der Blindheit für die ökonomischen Bedingungen
       gesellschaftlicher Teilhabe selbst zu autoritären Entwicklungen bei.
       
       Die Beiträge des Sammelbandes verbindet eine zentrale Frage: „Gibt es eine
       Modernisierung des Autoritären?“, was die Autor:innen aus
       unterschiedlichen Perspektiven bejahen. Als „Grunderzählung des
       Autoritären“ mit der Funktion, „kollektive Ängste zu schüren“, beschreiben
       die Herausgeber Vorstellungen einer bedrohten Ordnung, „das Zerstören von
       Hierarchien und Dominanzen, die Auflösung von Identitäten, der Opferstatus
       aufgrund des Agierens feindlicher Mächte im Inneren“.
       
       ## Absolute Gegnerschaft zur liberalen Demokratie
       
       Weil diese Sicht mit Dichotomien arbeitet, in denen sich das „wahre“ Volk
       gegen die liberalen Eliten wehren muss, lässt sie keinen Raum für
       Kompromisse. Das bedeutet in alter Carl-Schmitt-Tradition ein Denken im
       Freund-Feind-Schema. Ist erst mal absolute Gegnerschaft impliziert, kann es
       nur noch um die Vernichtung des Feindes, etwa der liberalen Demokratie,
       gehen. Das setzt [4][bemühten Dialogversuchen („Mit Rechten reden“)]
       gewisse Grenzen.
       
       „Der Trend weltweiter Erosion der Demokratiequalität setzt sich ungebrochen
       fort“, konstatieren die Herausgeber in ihrem einleitenden
       Überblicksaufsatz. Derzeit leben mehr Menschen in autoritär regierten
       Staaten als in halbwegs funktionierenden Demokratien. In Deutschland bieten
       die einsetzende Rezession und wachsende soziale Ungleichheit rechtsextremen
       Bewegungen ideale Bedingungen, auch wenn sich die AfD momentan selbst
       zerlegt und beim Versuch, „rohe Bürgerlichkeit“ (Heitmeyer) mit offenem
       Rechtsextremismus zu verbünden, ins Stolpern gerät.
       
       Die Vielschichtigkeit und die Themenbreite der hier vorgelegten Aufsätze,
       das wissenschaftliche Niveau wie der Mut zu zugespitzten Thesen machen den
       Sammelband zu einem Debattenbeitrag, der jede ernsthafte Diskussion der
       Ursachen für den Erfolg rechtsautoritärer Bewegungen begleiten wird.
       
       30 Jul 2022
       
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